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Der ewig unterschätzte Hollande

Zum zweiten Mal hat Frankreich einen Sozialisten zum Präsidenten gewählt

Von Ralf Klingsieck, Paris *

Er ist der siebte Präsident der 5. Republik, doch erst der zweite Sozialist in diesem Amt: Auf den Tag genau 31 Jahre nach seinem Vorbild François Mitterrand wurde am Sonntag François Hollande zum Staatsoberhaupt Frankreichs gewählt.

Für François Hollande schien das höchste Staatsamt noch vor einem Jahr völlig außerhalb seiner Möglichkeiten zu liegen. Doch seither überstürzten sich die Ereignisse, die Franzosen entdeckten dadurch einen Politiker, den sie so zuvor nicht gekannt hatten. Nicht nur seine rechten Gegner, sondern auch viele sozialistische Parteifreunde hatten ihn einfach unterschätzt. Hollande galt zwar als kluger und fleißiger, aber sachlich-nüchterner Parteiarbeiter ohne Charisma. Der Posten des Parteivorsitzenden, den ihm der 1997 zum Premier aufgestiegene Lionel Jospin übergeben hatte, schien ihm auf den Leib geschneidert. Seine Stärken lagen im Ausgleich von Differenzen in der Sozialistischen Partei und im Aushandeln von Kompromissen, was ihm bei Freunden den Spitznamen »François la Synthèse« eintrug.

Was unmöglich schien, wurde möglich

Wohl wollte er im Sommer 2011 zur Urabstimmung um die sozialistische Kandidatur für die Präsidentschaftswahl antreten, aber Illusionen machte er sich nicht: Haushoher Favorit war Dominique Strauss-Kahn. Doch als der seinerzeitige Chef des Internationalen Währungsfonds durch seine Affäre in einem New Yorker Hotel aus dem Rennen katapultiert wurde, änderten sich die Konstellationen schlagartig. Für François Hollande schien das Unmögliche möglich zu werden.

Durch eine klug durchdachte und organisierte Kampagne mit vielen erfolgreichen Auftritten an der Parteibasis im ganzen Land sicherte sich Hollande bei der Abstimmung der Mitglieder und Sympathisanten der PS im Oktober die Kandidatur. Amtsinhaber Nicolas Sarkozy, dessen Sieg 2007 nicht nur bei rechts eingestellten Franzosen durchaus Hoffnungen geweckt hatte, war wegen seiner Politik zugunsten von Konzernen, Banken und reichen Franzosen und durch sein persönliches Auftreten immer unbeliebter geworden. Die Aussicht, diesen Mann schlagen zu können, machte Hollande zum Hoffnungsträger für viele, die sich daher auch für seine Person zu interessieren begannen.

François Hollande wurde am 12. August 1954 in Rouen in der Familie eines stramm rechten Arztes und einer links fühlenden katholischen Sozialarbeiterin geboren. Nach dem Abitur studierte er in Paris zuerst an der juristischen Fakultät der Sorbonne, dann an der renommierten Handelshochschule HEC und an der Hochschule für Politische Wissenschaften. Anschließend bestand er mit Glanz die Aufnahmeprüfung für die Elitehochschule ENA, aus der die meisten Spitzenbeamten, Politiker und Konzernchefs Frankreichs hervorgehen. An der ENA, wo ein erbitterter Konkurrenzkampf herrscht, anerkannten ihn die meisten seiner Kommilitonen mehr oder weniger neidlos als »einen der Klügsten«. Aber auch mit seiner Fähigkeit, Frauen zum Lachen zu bringen, soll er sehr erfolgreich gewesen sein. So fand er in seiner Mitstudentin Ségolène Royal eine langjährige Lebensgefährtin und die Mutter seiner vier inzwischen erwachsenen Kinder.

Der brave Parteiarbeiter triumphiert

Tatsächlich ist Hollande, der in der Öffentlichkeit oft trocken und gehemmt wirkt, im persönlichen Umgang durchaus locker und humorvoll. Nach dem Abschluss der ENA 1980 widmeten sich Hollande und Royal, die 1979 der Sozialistischen Partei beigetreten waren, der Vorbereitung des Präsidentschaftswahlkampfes für François Mitterrand. Der machte nach seinem Sieg im Mai 1981 Ségolène Royal zur Beraterin im Elysée. Für ihren Lebensgefährten fand sich im Präsidialamt kein Posten, er wurde im Parteiapparat der PS »zwischengeparkt«. Hollande suchte sich einen Wahlkreis in der Provinz, wurde 1983 Stadtrat in Ussel, 1988 Parlamentsabgeordneter für die Region Corrèze und 1989 stellvertretender Bürgermeister von Tulle. Gleichzeitig amtierte er im Nationalrat, dem »Parlament« der Sozialistischen Partei, der er schließlich von 1997 bis 2008 vorstand.

Im Zusammenhang mit der Urabstimmung über den sozialistischen Präsidentschaftskandidaten 2007 trennte er sich wegen politischer und persönlicher Differenzen nach 37 Jahren von Ségolène Royal, deren Wahlkampf er aber demonstrativ unterstützte. Inzwischen bezeichnet Hollande die 47-jährige Journalistin Valérie Trierweiler als die Frau seines Lebens.

Royal unterlag bei der Präsidentenwahl 2007 mit 47 zu 53 Prozent der Stimmen gegen Sarkozy. Beim anschließenden Krisenparteitag der Sozialisten 2008 in Reims hatte Hollande alle Hände voll zu tun, ein Auseinanderbrechen der Partei abzuwenden. Das bewog ihn auch, den Parteivorsitz an Martine Aubry abzutreten. Fortan widmete er sich mehr und mehr der Vorbereitung der Präsidentschaftswahl 2012 - mit dem inzwischen bekannten Ergebnis: François Hollande erhielt 51,62 Prozent der Stimmen, Amtsinhaber Nicolas Sarkozy erreichte 48,38 Prozent. Das waren rund 18 Millionen gegen 16,87 Millionen Wähler.

Nächste Herausforderung folgt im Juni

Er wolle ein »normaler Präsident« sein, hatte Hollande im Wahlkampf immer wieder betont und sich auch auf seinen Kundgebungen und bei seinen Begegnungen mit den Bürgern im Lande deutlich vom sprunghaften und selbstgefälligen Nicolas Sarkozy abgegrenzt. In seinen ersten Reden als Wahlsieger am Sonntagabend zunächst in Tulle, danach auf dem Pariser Bastille-Platz riet er bei aller Freude zu Besonnenheit und rief zu weiteren Anstrengungen auf. »Dieser Wahlerfolg ist eine Herausforderung, die wir alle gemeinsam annehmen sollten.« Bei den Parlamentswahlen im Juni gelte es, dem Präsidenten die nötige Mehrheit zur Durchsetzung seiner Politik zu verschaffen. »Dann muss jeder auf seinem Platz das Seine beitragen, um Frankreich aus der Krise zu führen und wieder stark zu machen«, rief er aus.

In ersten Reaktionen versicherte die PS-Vorsitzende Martine Aubry, dies sei »nicht nur ein Sieg der Sozialisten, sondern aller links gesinnten Franzosen«. Ségolène Royal betonte, dass auf den Schultern Hollandes jetzt große Verantwortung laste und dass es die Pflicht aller Linken sei, ihn bei der »Wende zu einem gerechteren Frankreich« mit aller Kraft zu unterstützen. Laurent Fabius hob hervor, das Wahlergebnis zeige, »dass in Europa künftig der Ausweg aus der Krise links zu suchen ist«. Jean-Luc Mélenchon, der bei der Präsidentschaftswahl für die Linksfront aus Kommunisten und Partei der Linken kandidiert und für den zweiten Wahlgang dazu aufgerufen hatte, »mit dem Wahlzettel in der Hand Sarkozy zu stürzen«, erinnerte daran, dass Hollande nicht ohne vier Millionen Wähler der Linksfront gesiegt hätte. Dies müsse in der Politik angemessen Berücksichtigung finden.

Wahlverlierer Nicolas Sarkozy räumte seine Niederlage schon am frühen Sonntagabend in einer ungewöhnlich sachlichen Rede ein. Er gratulierte Hollande und wünschte ihm Erfolg. Gleichzeitig deutete er an, dass er für den Parlamentswahlkampf nicht zur Verfügung stehen und sich weitgehend aus der Politik zurückziehen werde. Jean-François Copé, Vorsitzender der Rechtspartei UMP, rief die Rechte zur Sammlung aller Kräfte für die Parlamentswahlen auf, um »zu verhindern, dass die Linken alle Macht in Frankreich bekommen«. Auch der bisherige Arbeitsminister Xavier Bertrand plädierte für einen offensiven Kampf um möglichst viele Plätze im Parlament, um »für einen Ausgleich zum linken Präsidenten und so für politisches Gleichgewicht zu sorgen«. Im Klartext bedeutet das: Die Rechte will im Parlament über ausreichend Stimmen verfügen, um eine Wende in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft jederzeit torpedieren zu können.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 8. Mai 2012


Die Kanzlerin wartet mit offenen Armen

Beide Seiten wollen die enge deutsch-französische Zusammenarbeit fortsetzen, stehen aber vor einigen Hürden

Von Olaf Standke **


Wie werden sich die deutsch-französischen Beziehungen nach dem Machtwechsel in Paris gestalten? Beide Seiten haben den Willen zur Fortsetzung der engen Zusammenarbeit bekundet, sehen aber auch substanzielle Divergenzen.

Ein Gespenst ging um in Berlin! Das jedenfalls suggerierte die Schlagzeile einer großen Tageszeitung mit offensichtlich besten Einblicken in die bundesdeutsche Machtzentrale am Vorabend der französischen Stichwahl ums Präsidentenamt: Die Angst im Kanzleramt vor François Hollande schwindet. Zuvor hatte Angela Merkel ganz im Unterschied zu den SPD-Genossen jeden Kontakt mit dem Sozialisten gemieden und kein Hehl aus ihrer Hoffnung gemacht, dass Nikolas Sarkozy im Palais de l'Elysée verbleiben möge. Dessen Partei UMP und die CDU gehören zur konservativen Parteienfamilie in der Europäischen Union, und dort versuchten Merkel und Sarkozy in enger Absprache, den Kurs zu bestimmen. So war denn auch das »Merkozy«-Tandem, sprich die Beziehungen zum andererseits immer übermächtiger erscheinenden deutschen Nachbarn, eines der Wahlkampfthemen in Frankreich.

Nach der ersten Wahlrunde verließ die Kanzlerin aber lieber das sinkende Sarkozy-Boot. Und noch am Sonntagabend rief sie Hollande an, gratulierte zum Sieg und lud den künftigen französischen Präsidenten ein, möglichst bald nach seiner Amtseinführung - die spätestens am 15. Mai über die Bühne gehen muss - nach Berlin zu kommen. »Mit offenen Armen« wolle sie Hollande empfangen, bekräftigte Merkel gestern; man werde »gut und intensiv zusammenarbeiten«.

Ob nun aus »Merkozy« allerdings gleich »Merkollande« wird, darf man bezweifeln. Schon im Wahlkampf hatte der Sozialist Sarkozys Gleichschritt mit der Kanzlerin vor allem mit Blick auf den von 25 EU-Staaten signierten Fiskalpakt für mehr Haushaltsdisziplin und den strikten deutschen Sparkurs samt Schuldenbremse heftig kritisierte. Unmittelbar nach seinem Wahlerfolg untermauerte er seine Ankündigung, in Europa stärker auf Wachstum und Beschäftigung zu setzen. Das werde er den europäischen Partnern so schnell wie möglich sagen, »allen voran Deutschland - im Namen der Freundschaft, die uns verbindet, und im Namen der Verantwortung, die wir teilen«. Ein deutsch-französisches Direktorium in der EU allerdings will er nicht.

Aber Hollande scheint auch zurückzurudern, inzwischen ist weniger von Neuverhandlung und Veränderung des Fiskalpakts die Rede, sondern von seiner Ergänzung durch einen Wachstumspakt. Der fände in Berlin sogar Zustimmung, doch gehen die Positionen beim Kleingedruckten weit auseinander; etwa wenn es um die von Merkel abgelehnte Finanzierung über Gemeinschaftsanleihen, sprich Eurobonds, oder die Rolle der EZB geht. Hollande will, dass die Europäische Zentralbank das Wachstum mit niedrigeren Zinssätzen sowie Direktkrediten auch für Staaten stärkt, Berlin sperrt sich dagegen.

Auch auf außenpolitischem Gebiet gibt es Divergenzen. Hollande will direkt nach Amtsantritt mit dem Abzug der 3600 noch am Hindukusch stationierten französischen Soldaten beginnen. Er soll bis Ende des Jahres abgeschlossen sein, ein Jahr früher, als der NATO-Zeitplan und die Berliner Termine vorsehen. Aber auch in Sachen Syrien präsentiert sich der Sozialist als Vorreiter und hat bereits eine französische Beteiligung an einem möglichen UN-Militäreinsatz angekündigt. Der ist für führende CDU-Außenpolitiker zur Zeit noch »unrealistisch«.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 8. Mai 2012


"Sarko – c’est fini"

François Hollande gewinnt mit 51,7 Prozent die Wahl und wird neuer Präsident Frankreichs. Hunderttausende feiern den neuen Staatschef an der Bastille

Von Hansgeorg Hermann, Paris ***


Der Sozialist François Hollande wird neuer Präsident von Frankreich. Nach in der Nacht zum Montag vom Innenministerium veröffentlichen Zahlen gewann er die Wahl mit knappen 51,7 Prozent vor dem bisherigen Amtsinhaber Nicolas Sarkozy, der auf 48,3 Prozent der gültigen Stimmen kam. Der Rechtskonservative hatte am Sonntag abend seine Niederlage gegen 21 Uhr, knapp eine Stunde nach Schließung der Wahllokale eingeräumt.

Mit François Hollande kommt 31 Jahre nach dem historischen Wahlsieg des Sozialisten François Mitterrand zum zweiten Mal nach dem Weltkrieg ein Mann des linken politischen Lagers an die Macht. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die sich während der Kampagne unmißverständlich auf die Seite ihres konservativen Kollegen Sarkozy gestellt und sich seine Wiederwahl gewünscht hatte, gratulierte dem Sieger noch am Sonntag abend und lud ihn zu einem Besuch in Deutschland ein.

Mehr als 200000 Menschen feierten in der französischen Hauptstadt Paris Hollands Sieg bis weit in die Nacht hinein. An der Bastille, Symbol der Revolution von 1789, der Abschaffung des Feudalismus und der Verwirklichung der Ideen der Aufklärung, skandierten die überwiegend jungen Leute »Sarko – c’est fini« (Sarko – es ist zu Ende) und »Hollande, président! Merci, François!« Der Sozialist hatte während seiner Wahlkampagne die Bildungspolitik zu einem seiner politischen Schwerpunkte gemacht und unter anderem die Schaffung von 60000 neuen Stellen in Schulen und Universitäten versprochen. Jene Wähler, die in Hollande zunächst lediglich einen politisch blassen Kompromißkandidaten gesehen hatten, sprachen an der Bastille von einem »Sieg der gesamten Linken Frankreichs«.

Der scheidende Präsident Sarkozy stellte sich noch am Sonntag abend in Paris seinen Anhängern und kündigte seinen möglichen Rückzug aus der Politik an, in der er seit 35 Jahren gearbeitet habe, davon »zehn Jahre in höchsten Ämtern«. Sarkozy hatte sich während seiner Kampagne stark an den Forderungen der rassistischen, fremdenfeindlichen politischen Rechten des Landes orientiert. Seine Strategie, dieser durch den Front National (FN) und dessen Führerin Marine Le Pen vertretenen Rechten möglichst viele Stimmen abzujagen, war bereits im ersten Wahlgang vor zwei Wochen fehlgeschlagen. Der FN war mit rund 18 Prozent drittstärkste Kraft im Land geworden.

Über das Internet war schon am Nachmittag klar geworden, daß der Sieger der Wahl wohl Hollande heissen würde. Als Sarkozys Partei UMP gegen 16 Uhr die Vorbereitungen für die an der Place de la Concorde (Platz der Eintracht) vorgesehene Feier der Konservativen einstellen ließ, zogen Tausende durch die Straßen der Hauptstadt in Richtung Platz der Bastille. Hollande traf gegen 23 Uhr aus seinem Wahlbezirk Corrèze in Paris ein. In Tulle, wo er mit seiner Lebensgefährtin Valérie Trierweiler und engen Freunden zu Mittag gegessen hatte, kündigte er nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses einen »grundlegenden Wandel« in der Politik des Landes an. Er flog anschließend mit einer Chartermaschine in die Hauptstadt und sprach gegen Mitternacht zu der Menge an der Bastille.

Nicolas Sarkozy hatte sich in den fünf Jahren seiner Präsidentschaft zunächst als »Mann aus dem Volk« ausgegeben. Er zeigte sich mit spiegelverglaster Sonnenbrille, dicker Rolex-Uhr und Handy am Ohr vor den Fernsehkameras. Er ließ sich als Jogger in verschwitzter Sportkleidung auf den Treppen des Elysée fotografieren und er legte sich nach der Scheidung von seiner Frau Cécilia per Casting eine neue Gefährtin zu, die Franko-Italienerin Carla Bruni, ein ehemaliges Model aus steinreicher Familie und skandalerprobtes Schlagersternchen. Die letzten zwei Jahre seiner Amtszeit prägten vor allem dunkle Finanzskandale. In den vergangenen Wochen hatten Journalisten aufgedeckt, daß Sarkozys erste Wahlkampagne im Jahr 2007 möglicherweise mit 50 Millionen Euro vom ehemaligen libyschen Staatschef Muammar Al-Ghaddafi gesponsert worden ist.

*** Aus: junge Welt, Dienstag, 8. Mai 2012


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