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Lustlose Debatte um Laizismus

Frankreich: Islam-Polemik hat Präsident Sarkozy nur geschadet

Von Ralf Klingsieck, Paris *

Die von Präsident Nicolas Sarkozy gewollte und von seiner Regierungspartei UMP monatelang vorbereitete Debatte um die Gefahren für den Laizismus der französischen Republik fand nun in Paris statt – und wurde zum großen Flop.

Da ursprünglich eine Auseinandersetzung mit radikalen Erscheinungen des Islam in Frankreich geplant war, von der sich der Präsident und seine Parteifreunde Zulauf vom rechten Rand der Gesellschaft erhofft hatten, erregte das Thema lange und heftig die Gemüter. Die politischen Absichten waren durchsichtig, so dass die UMP viel Kritik nicht nur von der Opposition, sondern auch von allen Kirchen und vielen namhaften Persönlichkeiten auf sich zog. Selbst innerhalb der Regierungspartei war der Widerspruch sehr stark. Zahlreiche Abgeordnete und Minister spielten nicht mit, bis hin zu Premier François Fillon, der die »Stigmatisierung einer Religionsgemeinschaft« kritisierte und deswegen vom UMP-Vorsitzenden Jean-François Copé öffentlich so rüde angepöbelt wurde, dass Sarkozy die beiden zur Versöhnung ins Elysée bestellen musste.

Als der Schaden überhand zu nehmen drohte, vollzog die UMP eine Wende und erklärte scheinheilig, ihr gehe es gar nicht um Islam und Muslime, sondern ganz allgemein um die Verteidigung des Laizismus, der durch das Gesetz von 1905 über die Trennung von Kirche und Staat begründet wurde und der jede Religion und ihre Rolle in der Gesellschaft betrifft. Doch damit kann die UMP niemanden täuschen, zumal wenn der ehemalige Sarkozy-Berater und neue Innenminister Claude Guéant die Wende zur Harmlosigkeit nicht mitvollzieht und erst dieser Tage erklärte: »Die steigende Zahl der Muslime und das Verhalten vieler von ihnen ist ein Problem.«

Zur dreistündigen Debatte am Dienstag (5. Apr.) in einem Pariser Hotel kam nur die Hälfte der Regierung, die eingeladenen Kirchen und Religionsgemeinschaften schickten demonstrativ nur subalterne Vertreter. Fast die Hälfte des Saals wurde von mehr als 200 Journalisten eingenommen, in der Hoffnung auf heftige Polemik. Sie wurden schwer enttäuscht, denn in allen Reden wurden die Rolle des Laizismus für die Republik und der Wunsch nach einem harmonischen Zusammenleben mit allen Religionen betont. Auch die 26 Vorschläge, die die UMP vorbereitet hatte, waren nicht wirklich neu, sondern griffen nur bewährte Praktiken oder längst existierende Regeln und Gesetze auf.

Beispielsweise sollen Freitagsgebete auf der Straße verboten werden und Unternehmen das Recht haben, demonstratives Tragen religiöser Zeichen und Kleidung am Arbeitsplatz zu untersagen, wie das schon in öffentlichen Einrichtungen der Fall ist. Oder es dürfe keine separaten Öffnungszeiten kommunaler Schwimmbäder für Frauen geben, wie sie von manchen Muslimen gefordert werden. Da das Gesetz von 1905 den Kommunen verbietet, Kultstätten mit öffentlichen Geldern zu bauen, andererseits aber ein eklatanter Mangel an Moscheen oder islamischen Gebetsräumen besteht, soll eine Stiftung geschaffen werden, die das finanziert. Den Baugrund dürfen die Kommunen per Pachtvertrag zur Verfügung stellen. Sarkozys vor Monaten leichtfertig geäußerten Wunsch nach einem »Frankreich ohne Minarette« hat höflicherweise niemand erwähnt.

Die Vorschläge wurden der Rechtsregierung übergeben, und man kann sicher sein, dass sie bald vergessen sein werden, weil sie von den Realitäten des Lebens überholt werden oder schon sind. So gibt es in ganz Frankreich nur zehn Straßenabschnitte, die freitags von Muslimen für ihr Gebet genutzt werden, und nur vier kommunale Schwimmbäder, die getrennte Öffnungszeiten für Frauen und Männer eingeführt haben. Und von keinem der landesweit 30 Minarette wird zum Gebet gerufen.

* Aus: Neues Deutschland, 8. April 2011


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