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Atomkraftfreies Frankreich ist möglich

Szenarien kritischer Wissenschaftler halten Ausstieg zwischen 2030 und 2040 für machbar

Von Susanne Götze, Paris *

Trotz Fukushima denkt die französische Politik nicht an einen Atomausstieg. Einige Umweltschützer und Forscher haben trotzdem schon mal Szenarien eines Ausstiegs à la Deutschland vorgelegt.

Atomkraft gehört zu Frankreich wie dicke Autos zu Deutschland. Daran hat auch die Katastrophe von Fukushima nichts geändert. Deshalb geht es bei der französischen Energiewende nicht einfach um den Austausch von Energiequellen, sondern auch um einen Bruch mit der Wirtschaftsstrategie, die das Handeln seit dem Zweiten Weltkrieg bestimmt. 1948 wurde der erste Atomreaktor gebaut – heute hat die »Grande Nation« nach den USA und Japan die meisten AKW. Die großen Atomkonzerne Areva und EDF werben mit ihrem »billigen und CO2-freien« Strom und ihrer hochspezialisierten Technologie, die weltweit verkauft wird. Die Devise: Atomkraft nutzt uns allen! Mittlerweile macht der Energiesektor gut zwei Prozent des französischen Bruttoinlandsproduktes aus – das französische Atomforum SFEN schätzt die Exporte der Atomwirtschaft auf 11 Milliarden Euro pro Jahr, vor allem durch AKW-Expertise und Stromverkauf in Nachbarländer. 2008 wurde unter der Regierung Sarkozy sogar eine eigene Agentur für die internationale Nutzung von ziviler Atomenergie gegründet.

Doch auch in Frankreich gibt es kritische Wissenschaftler. Der Energieexperte Benjamin Dessus vom Forscherverband »Global Chance« hat das ambitionierteste Szenario für den Atomausstieg errechnet, laut dem bis 2031 alle 58 Atommeiler abgeschaltet werden können. Schon im Jahr 2000 schrieb er im Auftrag des damaligen sozialistischen Premiers Lionel Jospin den ersten Leitfaden für ein atomkraftfreies Frankreich – ohne Folgen versteht sich. Dessus' noch unveröffentlichtes aktuelles Szenario sieht vor, bis 2020 die Atomstromleistung von derzeit rund 409 auf 180 Terawattstunden zu senken, um 2030 die Produktion von Atomstrom ganz zu stoppen. Dies soll mit drastischen Energiesparmaßnahmen, der Förderung von erneuerbaren Energien und dem Stopp überflüssiger Stromexporte ins Ausland erreicht werden. »In den letzten Jahren ist der französische Pro-Kopf-Verbrauch an Energie enorm gestiegen – wir liegen nun 30 Prozent über den Deutschen –, deshalb muss beim privaten Verbrauch mit dem Sparen angefangen werden«, fordert der Experte. Der Energieverbrauch der Industrie mache hingegen nur etwas mehr als ein Viertel aus.

Ein ähnliches, aber moderateres Szenario hat die Forschergemeinschaft Négawatt aufgestellt: Der Atomausstieg kann demnach bis 2040 vollzogen werden, die Umstellung auf Erneuerbare bis 2050. Auch Négawatt stellt vor allem auf umfangreiche Energiesparmaßnahmen in Privathaushalten ab. Dabei geht es um eigentlich selbstverständliche Maßnahmen wie Gebäudedämmung oder die Abschaffung der weitverbreiteten Elektroheizungen und Elektroboiler.

»In Frankreich gibt es keine Lobby fürs Energiesparen – das ist eine völlig neue Herausforderung für uns«, meint Guillaume Duval, Chefredakteur des Magazins »Alternatives Economiques«. Einen Ausstieg bis 2031 hält er für zu ambitioniert, das Modell von Négawatt sei dagegen realistischer. Ein Grund: Während sich Deutschland längst eine Industrie vor allem im Windenergiebereich aufgebaut hat, steht Frankreich noch ganz am Anfang. Deshalb brächte die Umstellung auf Erneuerbare den Franzosen auch weniger Gewinn: »Wir müssen die gesamte Technik importieren – es werden also nicht automatisch Arbeitsplätze geschaffen wie in Deutschland«, so Duval. Was die Kosten einer französischen Energiewende betrifft, ist er sich allerdings mit den Autoren beider Studien einig: Ein »atomares Weiter-so« werde für den Verbraucher mindestens genauso teuer. Allein die Kosten des Baus der AKW der dritten oder gar vierten Generation, das ungelöste Problem des Atommülls sowie die bisher nicht einkalkulierten Risiken von Unfällen ließen den »wahren Strompreis« schon heute explodieren.

* Aus: Neues Deutschland, 24. Mai 2011


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