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Wie der Vater so die Tochter

Jean-Marie Le Pen übergibt FN-Parteivorsitz an Marine

Von Ralf Klingsieck, Paris *

Mit den Stimmen von mehr als zwei Dritteln der Mitglieder der rechtsradikalen Partei Front National ist der Parteivorsitz von Jean-Marie Le Pen (82) an seine Tochter Marine (42) übergegangen.

Die Mitglieder der rechtsradikalen Partei Front National (FN) hatten die Wahl und sie haben sich entschieden: Das Ergebnis der Briefwahl der rund 23 000 FN-Mitglieder, die dafür mit ihren Beiträgen auf dem Laufenden sein mussten, wurde am Sonntag zum Abschluss eines dreitägigen Parteitages in Tours verkündet. Die 42-Jährige Marine Le Pen habe sich in der Mitgliederbefragung mit 67,65 Prozent der Stimmen gegen Parteivize Bruno Gollnisch durchgesetzt, sagte der bisherige Front-National-Chef Jean-Marie Le Pen auf einem Parteikongress in Tours.

Die demokratische Methode der Mitgliederbefragung ist ein Novum, denn seit Jean-Marie Le Pen die Partei 1972 gegründet hatte, wurde er auf allen Parteitagen stets per Akklamation im Amt bestätigt.

Dass Marine Le Pen das Rennen machen würde, war schon lange klar. Überraschend ist höchstens das Stimmenverhältnis gegenüber dem Mitbewerber Bruno Gollnisch, einem Japanistik-Professor aus Lyon, der über viele Jahre Vizepräsident und designierter »Kronprinz« von Parteichef Le Pen war. Dass dieser sich vor etwa zwei Jahren anders entschied und seitdem seine Tochter bei ihren Ambitionen unterstützte, die Parteiführung zu übernehmen, liegt nicht an grundlegenden politischen Differenzen. Marine Le Pen und Bruno Gollnisch sind beide für eine Politik der »nationalen Priorität«, also der Bevorzugung von Franzosen gegenüber Ausländern bei der Beschäftigung, der Wohnungsvergabe oder sozialen Leistungen. Sie sind beide gegen die Einwanderung weiterer Ausländer und für die Abschiebung illegal in Frankreich lebender oder straffälliger Ausländer. Ebenso treten sie beide für die Abkehr vom Euro und für die Wiedereinführung der Todesstrafe ein.

Der Unterschied der beiden Kandidaten liegt eher im Stil, denn während Bruno Gollnisch die traditionell rechstextremen Positionen vertritt und dabei vor allem vom »harten Kern« der alten Parteimitglieder unterstützt wird, versucht Marine Le Pen den Einfluss der Partei zu erweitern und auch jüngere Menschen zu gewinnen. So plädiert sie sogar für die Tolerierung der Abtreibungen und des PACS, der offiziell anerkannten Lebensgemeinschaft von gleichgeschlechtlichen Partnern. Um den Ruch des Reaktionären abzustreifen, geht sie auch auf Distanz zu den katholischen Integristen um den verstorbenen Bischof Marcel Lefebvre, zu den Nostalgikern des Vichy-Regimes von Marschall Philippe Pétain, zu den offenen Antisemiten und Schoah-Leugnern.

Auch beim traditionellen Schwerpunktthema, der Warnung vor einer »Überfremdung« durch Einwanderer, setzt Marine Le Pen eigene Akzente. Sie warnt jetzt vor allem vor der »Islamisierung« und spielt sich demagogisch als Verteidigerin der laizistischen, also über allen Religionen stehenden Republik auf. So will sie ganz offensichtlich neue Anhänger bis weit in die Basis der rechten Regierungspartei UMP hinein gewinnen. Dort sieht man diesen Trend mit wachsender Besorgnis, weil das sogar die Wiederwahl von Nicolas Sarkozy 2012 gefährden könnte. Doch der Präsident hat ja selbst mit dem Feuer gespielt, indem er im Wahlkampf 2007 FN-Themen aufgegriffen und so viele Anhänger auf seine Seite gezogen hat. Jetzt schlägt das Pendel zurück ...

Der nicht grundlegend andere, aber zeitgemäß modifizierte Ansatz von Marine Le Pen, ihr Erfolg in den Medien und ihre umgängliche Art, die ihr viel Sympathie im Kontakt mit einfachen Menschen auf der Straße einbringt, während Bruno Gollnisch eher verschlossen und kontaktscheu wirkt, hat letztlich Jean-Marie Le Pen bewogen, seinen schon vor Jahren designierten Nachfolger fallen zu lassen, offen für Marine zu werben und ihr jetzt die Geschicke der Partei anzuvertrauen. Die Umfragen geben ihm recht, denn danach könnte Marine heute bei Präsidentschaftswahlen mit bis zu 27 Prozent der Stimmen rechnen. Auf das Vorbild und den Rat ihres Vaters wird Marine auch künftig nicht verzichten müssen: Jean-Marie Le Pen wurde auf dem Parteitag zum Ehrenvorsitzenden der Front National erklärt.

* Aus: Neues Deutschland, 17. Januar 2011


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