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Französische Rafale-Kampfflugzeuge für Indien? Rüstungsdeal in der Warteschleife

Ein Beitrag von Jürgen Webermann in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator):
In Europa haben die Rüstungsunternehmen zurzeit einen schweren Stand. Überall werden die Streitkräfte reduziert, im Verteidigungsbereich wird kräftig gespart. Die Folge: Die fetten Jahre für die Rüstungsbranche sind vorbei. Auch deshalb hat der EADS-Konzern in dieser Woche den Abbau von mehr als 5.000 Arbeitsplätzen angekündigt.

Gleichzeitig suchen Rüstungsunternehmen seit längerem das Heil im Export. Vor allem in Asien steigen die Verteidigungsausgaben. Dort wollen viele Länder ihre Streitkräfte modernisieren. Das gilt auch für Indien. Das Land will neue Kampfflugzeuge beschaffen. Ein Riesengeschäft. Vor zwei Jahren machten sich gleich drei europäische Anbieter gegenseitig Konkurrenz. EADS hatte sich große Hoffnungen gemacht, den Eurofighter nach Indien zu verkaufen. Das Kampfflugzeug hatte es zwar bis in die Endausscheidung geschafft – die Inder entschieden sich damals dann aber für den Kauf von 126 Rafale-Kampfjets aus Frankreich. Doch die Folgeverhandlungen haben sich schwieriger gestaltet als zunächst gedacht. Offiziell ist der Rafale-Waffendeal noch immer nicht unter Dach und Fach. Möglicherweise scheitert das Milliardengeschäft sogar. Unser Korrespondent Jürgen Webermann zu den Hintergründen - er beginnt mit einem Blick zurück:


Manuskript Jürgen Webermann

O-Ton Nachrichten:
„The French Rafale will be India’s next fighter aircraft. After a competition that has twisted and turned and drama and intrigue for years, it is finally over, with the iconic French fighter jet on course to win the holy grail of modern aerospace deals…”

Es war die Nachricht, auf die die indischen Medien seit langem gewartet haben: Das Verteidigungsministerium und die indische Luftwaffe wollen mit der französischen Firma Dassault über das größte Rüstungsgeschäft in der Geschichte des Landes verhandeln – 126 neue Kampfjets, Typ Rafale, ein Umfang von zehn bis 15 Milliarden Euro. Es schien, als sei das Geschäft beschlossene Sache. Die Verhandlungen nur noch eine Formalie. Luftwaffen-Veteranen wie Marschall PS Ahluwalia zeigten sich begeistert von der anscheinend klaren Linie Indiens:

O-Ton PS Ahluwalia (overvoice):
„Zweifelsohne, die Luftwaffe nutzt das Flugzeug, die Luftwaffe hat dieses Modell gewählt. Und ganz offensichtlich ist das die richtige Wahl, was das künftige Kampfpotenzial angeht, und es gibt keinen Grund, an dieser Wahl zu zweifeln.“

Äußerungen wie diese liegen inzwischen lange zurück, sie stammen aus dem Januar 2012.

O-Ton Nachrichten:
„French President Francois Hollande is in India, topping the agenda for the French president’s two-day visit is the meeting with Prime Minister Manmohan Singh. Defense deals including the Rafale fighter jet is expected to top the agenda…”

Das letzte Lebenszeichen dann zu Beginn dieses Jahres, während des Staatsbesuchs von Frankreichs Präsident Hollande in Indien. Aber Spekulationen, dass Hollande und Indiens Premier Manmohan Singh das Milliardengeschäft endgültig auf den Weg bringen würden, bestätigten sich nicht.

O-Ton Saurabh Joshi (overvoice):
„Seitdem, seit acht bis zehn Monaten, ist es sehr ruhig geworden. Das letzte, was wir gehört haben, waren Unstimmigkeiten zwischen dem indischen Partner von Dassault, Hindustan Aeronautics HAL, und Dassault selbst. Dabei geht es um die Frage, zu welchen Bedingungen die HAL den Jet baut, und wie der Technologietransfer geregelt werden soll.“

Sagt Saurabh Joshi, Verteidigungsexperte beim indischen Fachblatt StratPost. Es scheint, dass das große Schachern um neue Kampfjets für Indien erneut los geht. Plötzlich wittert auch das Eurofighter-Konsortium mit der Münchener Firma Cassidian wieder eine Chance. Die politische Szene in Indien arbeitet an allen denkbaren Szenarien. Ganz konkreter Gesprächspartner derzeit ist Russland. Die indische Luftwaffe will einen neuen Kampfjet entwickeln, vergleichbar mit den amerikanischen Tarnkappenjets, gemeinsam mit russischen Firmen. Die Gespräche sind noch in einem frühen Stadium, schon macht sich Ärger breit über angeblich überzogene Preisforderungen aus Russland, und doch stellt sich vor diesem Hintergrund auch Saurabh Joshi eine Frage:

O-Ton Saurabh Joshi (overvoice):
„Inzwischen ist das, was wir in der Rafale-Ausschreibung verhandelt haben, schon ziemlich alt. Die Technologie hat sich weltweit weiter entwickelt. Indien will mit Russland einen eigenen Jet bauen. Und wenn Indien da 35 Milliarden Dollar investieren will, ist es dann überhaupt sinnvoll, noch auf den Rafale zu setzen?“

Fakt ist: Die indische Luftwaffe greift derzeit vor allem auf veraltete Kampfflugzeuge vom Typ MiG zurück. Ausgerüstet werden sie von der Hindustan Aeronautics, der HAL. In Indien müssen ausländische Investoren solche Joint Ventures eingehen, nicht nur im Verteidigungssektor – Indien will dadurch seine Importabhängigkeit verringern und im Falle von Rüstungsgeschäften die eigene Industrie stärken. Doch die HAL wird selbst in Indien von vielen Experten als eher zweifelhafter und vor allem überforderter Partner angesehen. Die MiGs wurden im Land schon als fliegende Särge verspottet. Auch Dassault meldete im vergangenen Sommer laut indischen Medien Bedenken an, dass HAL die Rafale-Maschinen nicht adäquat montieren und ausstatten kann. Ein Sprecher der Firma wollte das später aber nicht kommentieren. Worum es den indischen Partnern tatsächlich geht, das betont Kapil Kak, ein Veteran und früherer General der Luftwaffe:

O-Ton Kapil Kak (overvoice):
„Es geht um die Frage, welche Technologie wir benötigen, damit die Plattform, auf der wir bauen, ein indisches Design hat, der Bau der Jets in Indien stattfindet und alle Reparaturen durch uns gemacht werden können. Dieser Rafale-Deal, und der Tarnkappenjet, den wir mit den Russen bauen, werden die letzten großen Importe und Geschäfte mit anderen Ländern sein. Danach werden wir alles selbst bauen können.“

Deshalb geht Kapil Kak auch davon aus, dass das Rafale-Geschäft am Ende zu einer Einigung führen wird – und die Verzögerung durchaus nicht ungewöhnlich ist. Und weil Indien gerade neben China der bedeutendste Käufer von Waffensystemen sei, rechnet er damit, dass Indien mit Rafale einen sehr weitgehenden Transfer von Know-how vereinbaren wird – weitgehender, als es den Franzosen wohl lieb ist. Schließlich hat Indien die Auswahl zwischen mehreren Anbietern. Dennoch: Der Verteidigungsexperte Saurabh Joshi ist skeptisch, wenn er solche Aussagen hört:

O-Ton Saurabh Joshi (overvoice):
„Mein Gefühl sagt mir, dass – weil es überhaupt keine Informationen über Fortschritte gibt und aufgrund der Tatsache, dass das alles so lange dauert - es doch scheint, dass es immer noch nicht so etwas wie einen Durchbruch gibt. Und bei uns in Indien wird 2014 gewählt. Die Regierung scheint sich deswegen auch nicht gerade zu beeilen mit einer endgültigen Entscheidung.“

Auch Verteidigungsminister AK Antony machte Ende Oktober deutlich, dass es keine schnelle Einigung mit Dassault über die Rafale-Jets geben werde. Wir gehen streng nach unseren Regeln vor, sagte Antony, der jeden Korruptionsverdacht vermeiden möchte – Indien ist gerade im Rüstungssektor hierfür extrem anfällig. Dabei hat Dassault jedoch vor allem auch aus politischen Gründen in Indien gute Chancen, seinen Rafale-Jet zum ersten Mal überhaupt und vor allem schnell zu exportieren. Frankreich gilt neben Russland in Indien als verlässlicher Rüstungspartner. Die USA zum Beispiel haben Neu-Delhi verärgert, weil sie in den 90er Jahren Sanktionen gegen Indien erlassen haben – nach einem Atomtest in der indischen Wüste. Dass die amerikanischen F-16 und F- 18 auch deshalb nicht zum Zuge gekommen sind, gilt als ausgemacht. Und der Eurofighter? Immerhin liegt das Konsortium in den Vereinigten Arabischen Emiraten derzeit gut im Rennen. Dort hat die Regierung einen ähnlich großen Milliardendeal ausgeschrieben wie damals Indien. Experten wie Saurabh Joshi gehen jedoch im Falle Indiens davon aus, dass ein Konsortium aus vier Staaten mit vier verschiedenen außenpolitischen Ausrichtungen ein zu komplizierter Partner für Indien wäre. Was, wenn das Land einen Krieg gegen Pakistan führt? Greifen dann zum Beispiel deutsche oder spanische Exportbeschränkungen? Würde der Eurofighter dann dauerhaft einsetzbar sein? Oder kann die British Aerosystems BAE als führender Partner diese Probleme auffangen? Alles unwägbar - auch deshalb sieht Militärkenner Joshi die Chancen für den Eurofighter nicht unbedingt dramatisch gestiegen, seit das Rafale-Geschäft zu einer scheinbar unendlichen Geschichte geworden ist.

O-Ton Saurabh Joshi (overvoice):
„Also von der Technologie her wäre der Eurofighter optimal, sicher. Aber was ich aus verschiedenen Gesprächen heraus höre, vor dem Hintergrund der indischen Pläne für einen russisch-indischen Jet, und vor dem Hintergrund, dass sich die Technologien weiter entwickeln, glaube ich, dass es eine völlig neue Ausschreibung für alle geben wird.“

Doch auch das, damit rechnet Joshi, werde die indische Regierung vor den Wahlen im Frühjahr 2014 vermutlich nicht mehr entscheiden. So gibt es immer noch die dritte Möglichkeit für die indische Luftwaffe, die viele nicht in der Lage sehen, es mit den nicht gerade befreundeten Nachbarn China und Pakistan aufzunehmen. Derzeit rüstet Dassault Indiens Mirage 2000-Kampfflugzeuge nach, angeblich sollen sie bis 2030 einsetzbar sein. Und: Indien modernisiert seine MiG 29-Jets. Auch diese Flugzeuge wären dann variabel einsetzbar – und das vermutlich über viele Jahre. So würde die Einsatzbereitschaft von Teilen der indischen Luftwaffe vorerst gesichert.

O-Ton: Kapil Kak (overvoice):
„Trotzdem müssen wir dringend die ja weiterhin bestehende Lücke füllen.“

Sagt der frühere Luftwaffen-General Kapil Kak. Und während die Zeit drängt, bewegt sich Indien auf seinem Weg zu einer moderneren Luftwaffe weiter zwischen den verschiedenen Geschäftswelten: Der Bau der indisch-russischen Tarnkappenjets ist noch ferne Zukunft, konkret vereinbart ist lediglich ein gemeinsames Manöver im kommenden Winter. Und ob und wann die ersten Rafale-Jets kommen, bleibt offen. Selbst der Eurofighter GmbH scheint die derzeitige Lage zu ungewiss, um wieder aktiv zu werden in Indien. Wichtige Lobbyisten hat das Konsortium in diesem Herbst vorerst aus Neu-Delhi abgezogen.

* Aus: NDR Info: Das Forum STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 14. Dezember 2013; www.ndr.de/info


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