Elysée erklärt Roma den Krieg
Frankreichs Regierung verschärft Kontrollen und Sanktionen / Kein Vorstoß auf EU-Ebene
Von Ralf Klingsieck, Paris *
Eine von Präsident Nicolas Sarkozy anberaumte Krisensitzung am Mittwoch (28. Juli) im Elysée-Palast beschloss ein »hartes Durchgreifen« gegen illegal in
Frankreich lebende Roma. So sollen in den nächsten drei Monaten die
Hälfte der rund 300 illegalen Siedlungen abgerissen und »kriminelle
Ausländer« abgeschoben werden.
Die Zahl der mit Touristenvisa eingereisten und illegal im Lande
gebliebenen Roma, von denen die meisten aus Rumänien und Bulgarien
kommen, wird auf 30 000 geschätzt. Sie leben zumeist auf Brachland am
Rande der Städte in notdürftig zusammengezimmerten Hütten. Während
einige sich durch Schwarzarbeit über Wasser halten, werden andere - vor
allem Kinder, die nicht strafrechtlich verfolgt werden können - von
mafiösen Banden zum Betteln und Stehlen angehalten. Durch wiederholte
Personenkontrollen der Polizei und den oft aus »Hygienegründen«
angeordneten Abriss ihrer Hütten machen die Behörden ihnen schon jetzt
das Leben so schwer wie möglich. Auf der anderen Seite versucht man, sie
durch eine Prämie von 300 Euro pro Erwachsener und 100 Euro pro Kind
sowie ein freies Ticket zur Rückkehr zu bewegen. Dafür müssen sie sich
verpflichten, zehn Jahre lang nicht nach Frankreich zurückzukehren.
Das tun die meisten aber offenbar doch schon nach wenigen Monaten, so
dass man jetzt die biometrische Erfassung der Abgeschobenen beschlossen
hat, um ihre Wiedereinreise zu verhindern. Im vergangenen Jahr machten
die rund 10 000 abgeschobenen Roma 40 Prozent aller des Landes
verwiesenen Ausländer aus.
Europa-Staatssekretär Pierre Lelouche hatte sogar erwogen, im
EU-Ministerrat vorzuschlagen, das Schengen-Abkommen über den visafreien
Reiseverkehr nicht wie geplant 2011 auf Bulgarien und Rumänien
auszuweiten. Es sollte so lange ausgesetzt werden, bis in diesen Ländern
»menschenwürdige Lebensbedingungen für die Roma geschaffen sind, die
deren massiven Zustrom nach Westeuropa hinfällig machen«. Doch da ein
solches Ansinnen sicher eine Krise in der EU heraufbeschworen hätte, hat
der Krisengipfel im Elysée diesen Vorstoß nicht aufgegriffen. Dafür
wurde das »harte Durchgreifen« auch auf die französischen Roma und Sinti
ausgeweitet, die im Gegensatz zu den Ausländern vom Balkan unter dem
Sammelbegriff »Fahrendes Volk« zusammengefasst werden. Ihre Zahl liegt
bei 400 000. Obwohl sie als französische Staatsbürger eigentlich
gleichberechtigt sind, haben sie zusätzlich zum Personalausweis ein
»Reisebuch«, das alle drei Monate durch die Polizei abgestempelt werden
muss. Um ihnen für den Halt bei ihren Fahrten durchs Land ordentliche
Lebensbedingungen zu bieten, sieht ein 2002 in Kraft getretenes Gesetz
vor, dass alle Ortschaften mit mehr als 5000 Einwohnern über einen
befestigten Lagerplatz für das »Fahrende Volk« und ihre Wohnwagen
verfügen müssen, mit Wasser- und Stromanschluss sowie Müllabfuhr. Doch
von den geplanten 42 000 Plätzen wurden bis heute erst 20 000 eingerichtet.
HALDE, eine unabhängige Behörde gegen Diskriminierung und für
Gleichheit, wies kürzlich in einem Bericht nach, dass das »Fahrende
Volk« regelmäßig Diskriminierungen bei der Suche nach einem Lagerplatz,
bei der Vermittlung von Arbeit und bei Polizeikontrollen ausgesetzt ist.
Wenn es Diebstähle, Körperverletzungen oder andere Vergehen aufzuklären
gilt, dann sucht die Polizei meist zuerst in den umliegenden Lagern der
Sinti und Roma, obwohl unter ihnen die Zahl der Kriminellen nicht größer
ist als beim Durchschnitt der Franzosen. Auch der Auslöser für die
Krisensitzung im Elysée war ein solcher Fall, bei dem ein junger
Angehöriger des »Fahrenden Volkes« nach einem Diebstahl in einem Dorf in
der Bretagne von der Polizei verfolgt und später erschossen wurde.
Daraufhin unternahmen Freunde und Angehörigen eine »Strafexpedition«.
Sie zündeten Autos an, zertrümmerten Läden und demolierten die Fassaden
eines Rathauses und eines Polizeikommissariats.
»Wir werden ein solches Verhalten des 'Fahrenden Volkes' und der Roma
nicht hinnehmen«, hatte Präsident Sarkozy sofort erklärt und umgehend
die Minister für Inneres, Justiz und Einwanderung, den
Europa-Staatssekretär und die Chefs von Polizei und Gendarmerie ins
Elysée zitiert.
Die Vertreter des »Fahrenden Volkes« ebenso wie Menschenrechtsverbände
und linke Oppositionsparteien sind empört, dass der Präsident und die
Regierung französische wie ausländische Roma und Sinti pauschal
kriminalisieren und nicht einmal Vertreter der betroffenen
Bevölkerungsgruppe zu dem Treffen hinzugeladen oder zumindest vorab
konsultiert haben. Der Verdacht liegt nahe, dass die Rechtsregierung dem
eigenen Vertrauensverlust in den Umfragen entgegenzuwirken versucht,
indem sie populistisch auf Vorbehalte bei vielen Franzosen gegen das
»Fahrende Volk« eingeht. Davon zeugt die Äußerung von Innenminister
Brice Hortefeux nach der Krisensitzung im Elysée, man werde
Finanzpolizisten und Steuerfahnder in die Lager sowohl der ausländischen
Roma als auch der einheimischen Angehörigen des »Fahrenden Volkes«
schicken. »Sie sollen Nachforschungen anstellen über die Herkunft der
Mittel, mit denen diese Leute ihr Leben bestreiten«, sagte Hortefeux,
»denn viele Franzosen sind mit Recht verwundert über die Größe mancher
ihrer Autos und Wohnwagen.«
* Aus: Neues Deutschland, 30. Juli 2010
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