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Trikolore auf halbmast

"Wir sind alle Charlie Hebdo" – das andere Frankreich gedenkt seiner von Islamisten ermordeten Satiriker. Präsident Hollande verordnet Staatstrauer

Wenn Terroristen über Leichen gehen, fordert das offizielle Frankreich die Solidarität seiner Bürger ein, es ruft nach schärferen Gesetzen, mehr Polizei und nach der Armee gegen das Böse, das in der Regel aus dem Orient oder aus Afrika drohen soll. Das andere Frankreich aber zieht zur »Place de la République« und trauert. Mehr als 100.000 Menschen weinten dort am Mittwoch abend um die acht Redakteure und Karikaturisten des Pariser Satiremagazins Charlie Hebdo und die anderen Opfer. Die Journalisten waren am Vormittag desselben Tages ermordet worden, mitten in der Redaktionskonferenz, von zwei Männern, die bewaffnet in das Zeitungsgebäude im Zentrum der Hauptstadt eingedrungen waren und aus Kalaschnikow-Gewehren das Feuer eröffnet hatten.

In der Nacht zum Donnerstag hatte sich ein dritter Mann, der 18 Jahre alte Mourad H., im Kommissariat von Charlesville-Mézière den Sicherheitskräften gestellt. Gesucht wird nach den mutmaßlichen Schützen, dem 32 Jahre alten Sherif und dem 34jährigen Saïd Kouachi, denen Mourad H. – er ist der Schwager von Sherif – als Fahrer des Fluchtautos geholfen haben soll, was er bestreitet. Die Fahndung nach den in Paris geborenen und aufgewachsenen Brüdern französischer Nationalität führte die Beamten der Spezialeinheit RAID am Donnerstag in die Ardennen im Norden des Landes. Bis jW-Redaktionsschluss waren die mutmaßlichen Täter weiter auf der Flucht.

Unter den insgesamt zwölf Todesopfern sind auch ein Personenschützer des Herausgebers und Zeichners Stéphane Charbonnier, ein Gast der Redaktion und ein Polizist, der im Viertel auf dem Fahrrad patrouillierte. Dazu kommen nach Angaben der Polizei zwölf Personen, die verletzt wurden, vier davon lebensgefährlich. Die beiden Mörder und ihr Chauffeur waren gegen 11.30 Uhr in der Rue Nicolas Appert Nummer 10 im 11. Pariser Arrondissement vorgefahren und hatten das Gebäude nach der Bluttat in aller Ruhe wieder verlassen. In ihrem schwarzen Kleinwagen entkamen sie anschliessend, nicht ohne vorher die Fahrradpatrouille niederzustrecken und den danach verletzt am Boden liegenden Beamten mit einem Kopfschuss zu töten. Videoaufnahmen eines Anliegers zeigen zwei schwarz gekleidete, mit Gesichtsmasken vermummte Gestalten, die in der Straße »Allahu Akbar« rufen und ihre Bluttat rühmen, bevor sie im Auto fliehen: »Wir haben den Propheten gerächt. Wir haben Charlie Hebdo getötet.«

Das Satiremagazin arbeitete seit neun Jahren unter dem Druck islamisch- fundamentalistischer Drohungen. Seit vier Jahren lebten Journalisten mit Personenschutz, nachdem in der Redaktion Hunderte von Mordankündigungen eingegangen waren und im November 2011 ein Brandsatz die Räume zerstört hatte. Grund der Feindseligkeiten und des Massakers am Mittwoch: die Weigerung der Redaktion, auf Karikaturen des Propheten Mohammed zu verzichten und ihren strikt antiklerikalen und antimilitaristischen Kurs zu verlassen. 2006 hatte Charlie Hebdo den Propheten unter einem als Bombe geformten Turban mit glimmender Lunte veröffentlicht. Am Mordtag war Charlie Hebdo mit einer Zeichnung Stéphane Charbonniers, Künstlername »Charb«, erschienen. Ein Taliban widerspricht dort dem Motto der Karikatur – »Immer noch keine Attentate in Frankreich« – mit den Worten: »Wartet ab, wir haben bis Ende Januar Zeit, um unsere Neujahrsgrüße zu präsentieren.«

Nach dem Brand in der Redaktion vor gut drei Jahren hatte Charbonnier, damals 44 Jahre alt, zu Protokoll gegeben: »Ich habe weder Frau noch Kinder, ich habe kein Auto und keinen Kredit, nichts kann mich bedrohen. Ich ziehe es vor, aufrecht zu sterben, statt auf Knien zu leben.« Mit ihm wurden nun die Karikaturisten Georges Wolinski (80), Jean Cabut (76), Künstlerkürzel »Cabu«, und Bernard Verlhac (57), Kürzel »Tignous«, ermordet. Die vieltausendköpfige Trauergemeinde reckte am Abend auf der »Place de la République« Schilder in den Himmel mit der Aufschrift »Je suis Charlie – Ich bin Charlie«. Die vor 22 Jahren gegründete, wöchentlich mit einer Auflage von 50.000 Exemplaren erscheinende Satirezeitschrift und ihre Zeichner waren für zwei Generationen von Franzosen Teil des täglichen Lebens.

Präsident François Hollande sprach am Mittwoch abend im Fernsehen von einem »Angriff auf Frankreich«. Die ermordeten Journalisten bezeichnete er als »talentierte Künstler und mutige Chronisten«. Für Donnerstag hatte er Staatstrauer angeordnet und die Nationalflagge, die Trikolore, für drei Tage auf halbmast setzen lassen. »Frankreich ist groß, wenn es bedroht wird«, sagte der Staatschef. Der »Zusammenschluss aller Franzosen« sei die Antwort, die die Nation dem Terrorismus geben werde. Der ehemalige Präsident und Vorsitzende der rechtskonservativen Partei UMP, Nicolas Sarkozy, verlangte die »unerbittliche Verfolgung und Bestrafung« der Terroristen. Der frühere Justizminister Robert Badinter, der unter der Präsidentschaft François Mitterrands in den achtziger Jahren die Todesstrafe in Frankreich abgeschafft hatte, bezeichnete die getöteten Journalisten als »Soldaten der Freiheit« und »Helden der Nation«. Der Sekretär der Kommunistischen Partei Frankreichs, Pierre Laurent, erklärte, er habe in Charbonnier und dessen Kollegen »gute Freunde« verloren.

Vertreter der Muslime in Frankreich verurteilten den Mord entschieden und bezeichneten die Täter als »Teufel«, die nichts mit den Werten des Islam zu tun hätten. In der Redaktion von Charlie Hebdo und bei der französischen Regierung gingen Solidaritäts- und Beileidsadressen aus aller Welt ein. Auch von Russlands Präsident Wladimir Putin und der US-Regierung, die die Journalisten des Charlie 2006 wegen der Mohammed-Karikatur noch als »Provokateure« abgetan hatte.

* Aus: junge Welt, Freitag, 9. Januar 2015


Barbarenstabilität

Das Attentat in Paris und der Westen

Von Arnold Schölzel **


Die beiden Massenmörder, die unter Jubelrufen über einen Gott und dessen Größe in Paris am Mittwoch zwölf Menschen umbrachten, setzten den Zivilisationsbruch fort, den Kriminelle ihrer Art an vielen Orten der Welt täglich zelebrieren. Es sind Barbaren.

Bemerkenswert erscheint, dass die Blutsäufer sich für ihre Tat eine kritische linke Zeitschrift aussuchten, nicht gesellschaftliche oder staatliche Symbole. Sie ließen einen Staat in Ruhe, der die Barbarei der westlichen Weltordnung permanent demonstriert. Der Krieg gegen Libyen 2011, den der damalige Präsident Nicolas Sarkozy vom Zaun brach, kostete Zehntausenden Moslems das Leben. Anlass für die Attacke mit Unterstützung von USA und NATO war mit hoher Wahrscheinlichkeit die Tatsache, dass Libyens Staatsführer Muammar Al-Ghaddafi Sarkozy mit einer Spende von 50 Millionen Euro die Wahl zum Präsidenten gesichert hatte. Eine der ersten Amtshandlungen des Sarkozy-Nachfolgers François Hollande waren die Feldzüge im mehrheitlich moslemischen Mali und in der Zentralafrikanischen Republik. Seit 2011 drängt Paris außerdem darauf, an die Spitze der Lenkung des Krieges in seiner ehemaligen Kolonie Syrien zu gelangen.

Begründet werden diese Kriege mit dem, was »westliche Werte« genannt wird. Auf die sei in Paris ein Anschlag verübt worden, erklärte die deutsche Bundeskanzlerin kurz nach dem Attentat. Dabei war es nur in bezug auf Datum und Uhrzeit ein Zufall, dass das deutsche Kabinett unter ihrer Leitung ungefähr zur selben Minute, als in Paris gemordet wurde, beschloss, den Einsatz deutscher »Patriot«-Raketen zum angeblichen Schutz der Türkei vor Syrien bis zum Januar 2016 zu verlängern. Die Hilfe gilt einem Regime, das z.B. Ende März 2014 Terrorbanden ermöglichte, die syrische, christlich-armenische Grenzstadt Kessab anzugreifen. Es war die von einem Sympathisanten der Muslimbrüder regierte Türkei, die dort ein Flugzeug der syrischen Luftwaffe abschoss. Es ist das NATO-Mitglied Türkei, das logistisch und technisch den »Islamischen Staat« bis heute unterstützt. Jeder sucht sich seine Terroristen selbst.

Oder liefert ihren Finanziers in Saudi-Arabien oder Katar Waffen – wegen »Stabilität« (Merkel 2012). Dazu passt ein weiterer Zufall, der keiner ist: Laut dpa wird am heutigen Freitag vor einer Moschee im saudiarabischen Dschidda an dem Journalisten und Blogger Raif Badawi eine Strafe vollzogen, zu der er neben zehn Jahren Haft und Zahlung von umgerechnet fast 200.000 Euro im Mai 2014 verurteilt wurde: 1.000 Peitschenhiebe. Laut Amnesty International soll sein Vergehen darin bestanden haben, ein öffentliches Forum für Debatten geschaffen zu haben. Ein »Werte«aufschrei war nicht zu hören.

Warum auch? Die Attentäter von Paris sind das Spiegelbild solcher »Stabilität«. Deren Gehalt ist die Tendenz zu Autokratie und faschistischer Herrschaft, die globale gesellschaftliche Spaltung mit barbarischen Mitteln.

** Aus: junge Welt, Freitag, 9. Januar 2015 (Kommentar)


Wunderbare Leute

Reaktionen: Mit denen, die am Mittwoch die amtliche Trauer zelebrierten, hatten die Redakteure des Charlie Hebdo nichts gemein

Von Hansgeorg Hermann, Paris ***


Mit denen, die am Mittwoch die amtliche Trauer zelebrierten, hatten die Redakteure und Zeichner des Charlie Hebdo rein gar nichts gemein. Regierende und Opposition, die Politikerkaste des von Eliteschulen und den Bedürfnissen der herrschenden Bourgeoisie geprägten repräsentativen Frankreich waren bevorzugtes Ziel dieses einzigartigen Satiremagazins. Der Altrechte Charles Pasqua lenkte die Aufmerksamkeit daher noch am Tag des Massakers auf das, was ihn und seinesgleichen – die Führerin des rechtsradikalen Front National, Marine Le Pen, etwa oder den rechtslastigen Expräsidenten Nicolas Sarkozy – nach dem blutigen Attentat wirklich umtreibt: Wie man es für Stimmungsmache ausschlachten kann, und wie man erneut beweisen könnte, dass der Islam das Abendland bedroht.

Charb, Cabu, Altmeister Wolinski und der Sarkozy-Experte Tignous waren für ihre auf der »Place de la République« trauernden Freunde »wunderbare Leute«. Sie waren die Besten ihres Fachs und unersetzlich. Doch sie waren nicht nur das. Sie waren vor allem unerbittliche Chronisten des politisch-gesellschaftlichen Lebens der 5. Republik, sie produzierten im Charlie Hebdo das allwöchentliche »Theater für Staatsfeinde«, wie es in den siebziger Jahren der deutsche Satiriker Gerd Wollschon mit seinem Rockkabarett »Floh de Cologne« ausgedrückt hatte. Schonungslos gegen alle, ob christlichen, jüdischen oder muslimischen Glaubens, egal welch politischer Couleur, taten sie mit ihrer Arbeit das, was Satire zu tun hat: »Den Gegner totlachen«. Und das, was (laut Tucholsky) Satire darf: »Alles«.

Am Mittwoch hatten sie in der jüngsten Charlie-Ausgabe ihre letzten gezeichneten Boshaftigkeiten veröffentlicht: den als bittere Lachnummer entlarvten jüngsten Roman Michel Houellebecqs, in dem der sogenannte Skandalschriftsteller über die Wahl eines Muslims zum französischen Präsidenten im Jahr 2022 phantasiert. Und den Führer des »Islamischen Staats«, Al-Baghdadi, der den Franzosen seine Wünsche für das neue Jahr präsentiert – »vor allem für die Gesundheit«. Dass dies eine Prophezeiung der bösen Sorte sein würde, ahnten sie nicht. Ihr Kollege Jean-Baptiste Thoret, der dem Attentat nur entgangen war, weil er die Redaktion mit einer halben Stunde Verspätung erreichte, erkannte: »Die Freiheit der Presse ist seit heute nicht mehr nur eine Idee für mich, sie ist als Forderung konkret geworden.«

Die Charlie-Redakteure wurden nicht nur Opfer eines primitiven Racheaktes gegen politische Karikaturen, wie Politiker und die sie unterstützenden Medien sogleich verkündeten – sie starben sicher auch für eine aggressive, imperialistische Nahost- und Nordafrikapolitik Frankreichs, deren erklärte Gegner sie waren. »Entschlossen, die Werte von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu leben«

*** Aus: junge Welt, Freitag, 9. Januar 2015

Reaktionen ****

Erklärung der Französischen Kommunistischen Partei (PCF) zum Terrorakt von Paris am Mittwoch:

Das barbarische Blutbad, dem die Redaktion von Charlie Hebdo zum Opfer fiel, hinterlässt uns in Entsetzen und Schmerz und verlangt eine kräftige Antwort der ganzen Nation.

Pierre Laurent und der Parteivorstand der PCF rufen dazu auf, dass sich im ganzen Land alle republikanischen Kräfte gegen die Barbarei wenden. Wenn eine Zeitung so angegriffen wird, wenn Menschen massakriert werden, deren Leidenschaft die Information und die Freiheit des Wortes waren, dann ist in der Tat jeder von uns angegriffen, dann ist die Republik ins Herz getroffen. Die Täter dieser abscheulichen Tat müssen gefasst werden und vor Gericht kommen.

Unsere Gedanken sind bei den Opfern, bei ihren Familien und Freunden. Heute morgen war es die Welt der Karikatur, der politischen Frechheit, des Humors und der Liebe zum Leben, die die Terroristen zum Schweigen bringen wollten. Die Brüderlichkeit und Gemeinschaft, die uns mit den Zeichnern von Charlie Hebdo einte, insbesondere beim Pressefest der L'Humanité, lassen den Schmerz noch tiefer sitzen.

Heute ist ein Tag, um in größtmöglicher Zahl Bürgerinnen und Bürger um die republikanischen Werte zu versammeln. Lasst uns als Millionen die Entschlossenheit unseres Landes bekräftigen, die Werte von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu leben.

Die Mitglieder der PCF und sämtliche kommunistischen und republikanischen Abgeordneten beteiligen sich an allen Initiativen der kommenden Tage, wenn es darum geht, die Nation in einem Geiste der großen Zuversicht im Sinne der republikanischen Grundsätze zu vereinen, unabhängig von philosophischen, politischen oder religiösen Weltanschauungen. Wir fordern dazu auf, alle Pauschalisierungen und Stigmatisierungen abzulehnen und Aufrufe zu Hass und Rassismus zurückzuweisen.


Wir dokumentieren nachstehend eine Auswahl von Stellungnahmen verschiedener politischer Kräfte, Regierungen und Medien zum gestrigen Anschlag auf die französische Satirezeitung Charlie Hebdo:

Der »Pol der Kommunistischen Renaissance in Frankreich« (PRCF), ein Zusammenschluss von Kritikern des gegenwärtigen Kurses der PCF, veröffentlichte am Donnerstag eine lange Erklärung:

»Geradewegs der mittelalterlichen Finsternis entsprungen haben Terroristen unbewaffnete Menschen abgeschlachtet. Fassungslosigkeit und Empörung. Zwölf Tote, schwer Verletzte … Wir teilen den Schmerz und den Abscheu, den die den Opfern Nahestehenden empfinden wie auch die Bürger aller Überzeugungen, die die Weltlichkeit des Staates und die Redefreiheit vertreten, wie alle jene, die es ablehnen, auf unserem Boden die Straftat der ›Blasphemie‹ wiedereinführen wollen, die durch die laikalen Gesetze abgeschafft wurde, um kirchlich verbreiteten Angst und Schrecken zu überwinden. Alle Opfer verdienen unseren Respekt, aber uns sei ein besonderes Gedenken erlaubt für Charb (Stephane Charbonnier), der die Gedenkversammlung des PRCF zum 70. Jahrestag von Stalingrad unterstützt hatte, für Georges Wolinski, einer der wenigen Zeichner, der über Jahrzehnte hinweg den Antikommunismus und Antisowjetismus bekämpfte und der mutig das sozialistische Kuba verteidigte, oder für Bernard Maris, der die aktuellen Erklärungen des PRCF gegen die europäische Einheitswährung nachhaltig unterstützt hatte. Der PRCF verurteilt aufs schärfste diese schreckliche Tat wie ihre Täter und Urheber, die in keiner Weise entschuldigt werden kann.

Über den Abscheu hinaus haben wir uns mit klarem Kopf diesen Taten zu stellen und zu analysieren, was hinter diesem Verbrechen steht. Nichts deutet bis jetzt klar auf die Hintermänner dieses Attentats. Marine Le Pen hat ein Attentat ›fundamentalistischer Islamisten‹ angeprangert. Diese Hypothese ist selbstverständlich plausibel, aber es ist nur eine Hypothese, und eine beabsichtigte Provokation des Front National, der hofft, aus den Ereignissen Profit zu schlagen, um für ihre fremdenfeindlichen Unternehmungen zu mobilisieren. Vergessen wir nicht die 77 von dem Nazi Anderes Brejvik in Norwegen Ermordeten oder die 40 von Nazis lebendig Verbrannten in Odessa. Die religiösen Fundamentalisten haben kein Monopol auf den Terror, ganz und gar nicht!«
(Übersetzung: Georges Hallermeyer)


Die linksliberale französische Libération schrieb am Donnerstag:

»Sie haben ›Charlie‹ angegriffen und damit die Toleranz, die Ablehnung von Fanatismus und Dogmatismus. Sie haben diese offene, religionsfreie und friedfertige Linke angegriffen, die sich sicherlich über den Zustand der Welt empört, sich jedoch lieber darüber lustig macht, als anderen ihren Katechismus aufzuzwingen. Die Fanatiker verteidigen keine Religion, weil Religion tolerant sein kann, und sie verteidigen nicht die Muslime, die in ihrer überwältigenden Mehrheit mit Entsetzen auf diese niederträchtigen Morde reagiert haben. Die Fanatiker greifen die Freiheit an. Alle Republikaner sind vereint gegen den Gegner. Dieser Gegner ist der Terrorismus, nicht der Islam, der Gegner ist der Fanatismus, keine Religion, und der Gegner ist der Extremismus. Der hat nichts zu tun mit unseren muslimischen Mitbürgern.« (Übersetzung: dpa)


Die Gruppe der deutschen Linkspartei im Europaparlament erklärte am Mittwoch unter der Überschrift »Wir trauern«:

»Wir sind bestürzt über das Attentat und trauern heute mit den Hinterbliebenen der zwölf feige ermordeten Menschen. Wir alle müssen jetzt mehr denn je die Meinungsfreiheit schützen und verteidigen. Satire war stets treibende Kraft für die kritische Auseinandersetzung mit den herrschenden Verhältnissen und damit eine Kraft für Freiheit und gegen Unehrlichkeit, Unterdrückung und Dummheit.

Es ist widerwärtig, wie sich die Dresdner Pegida-Bewegung und die AfD im Handumdrehen die Opfer des entsetzlichen Attentats zunutze machen und für ihre extremistischen Ziele missbrauchen.

Der heutige Anschlag ist durch nichts zu rechtfertigen, so wie es Gewalt gegen unschuldige Menschen niemals ist. Freiheit lässt sich jedoch niemals dadurch beschützen, indem man sie an anderer Stelle beschränkt. Die politische Antwort auf die feigen Morde darf nicht sein, mit einer Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten und mit Diskriminierung und Vorurteilen gegen gesellschaftliche Gruppen zu reagieren. Die opportunistischen Reaktionen der Pegida-Bewegung und der AfD zeigen, dass dadurch rechten Rattenfängern in die Hände gespielt würde. Feindseligkeit gegen Ausländer, Fremdenhass und Diskriminierung haben in einer offenen, solidarischen Gesellschaft keinen Platz.«


Der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Gregor Gysi, erklärte:

»Der terroristische Überfall zweier Männer auf die Redaktion des Pariser Satiremagazins Charlie Hebdo mit mindestens elf Toten ist eine zutiefst verabscheuungswürdige Tat. Mein Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen der Ermordeten, den Verletzten und ihren Angehörigen. Der Mord muss mit aller Konsequenz juristisch verfolgt werden. Mörder, die ihre Tat mit einer Religion zu rechtfertigen versuchen, sind genauso Verbrecher wie alle anders motivierten Mörder auch. Wir dürfen aber nicht hinnehmen, wenn Rassisten und Ausländerfeinde eine solche fürchterliche Tat dazu missbrauchen, ihre Parolen gegen friedliche Mitbürgerinnen und Mitbürger anderer Herkunft bei uns zu verschärfen. Das eine wie das andere ist nicht hinnehmbar.«


Das venezolanische Außenministerium verbreitete in Caracas nachstehende Erklärung:

»Der Präsident der Bolivarischen Republik Venezuela, Nicolás Maduro Moros, verurteilt im Namen der venezolanischen Regierung und des Volkes energisch den terroristischen Angriff, der sich am Mittwoch, 7. Januar 2015, am Sitz der französischen Wochenzeitung Charlie Hebdo in Paris ereignete und der einen das französische Volk mit Trauer erfüllenden Verlust von Menschenleben verursachte.

Die Bolivarische Regierung Venezuelas spricht dem Volk und der Regierung Frankreichs und insbesondere den Familienangehörigen der Opfer dieses verabscheuungswürdigen Ereignisses ihr tiefes Beileid aus.

Die Regierung der Bolivarischen Republik Venezuela verurteilt den Terrorismus in allen seinen Formen und spricht sich einmal mehr dafür aus, das Leben und die Toleranz zu respektieren. Sie bekräftigt die Bande der Freundschaft, die beide Länder verbinden. Ebenso ruft sie zu Ruhe und Frieden in dieser europäischen Nation auf und hofft, dass die Ermittlungen es erlauben werden, die Urheber dieser feigen und verbrecherischen Tat zu identifizieren und zur Rechenschaft zu ziehen.«


Das iranischen Außenministerium in Teheran verurteilte ebenfalls den Terroranschlag auf die Redaktion der Charlie Hebdo und erklärte, jede Art von terroristischen Anschlägen gegen unschuldige Menschen sei unvereinbar mit der islamischen Lehre bezeichnet. Dem iranischen Rundfunk IRIB zufolge verurteilte Außenamtssprecherin Marzieh Afkham gleichzeitig auch den Missbrauch der Meinungsfreiheit für beleidigende Attacken gegen den Islam und andere Religionen sowie Anschläge auf Moscheen und Gewalttaten gegen Geistliche und sichtbar religiöse Menschen. Dies alles sei Folge des Extremismus, der in den letzten zehn Jahren stark zugenommen habe. Die Politik habe darauf oft nicht eindeutig oder mit falschen Maßnahmen reagiert.


Auch Syrien schloss sich der internationalen Verurteilung des Verbrechens an. Ein Sprecher des Außenministeriums in Damaskus sagte der staatlichen Nachrichtenagentur SANA, diese terroristische Tat zeige klar die Gefahren des Ausbruchs von extremistischem Terrorismus, der die Stabilität und Sicherheit der gesamten Welt gefährde. Notwendig sei eine ernsthafte Politik, die zur Zusammenarbeit bei allen Anstrengungen führt, um die Epidemie des Terrorismus zu eliminieren. »Syrien hat wiederholt vor den Gefahren gewarnt, die sich aus der Unterstützung des Terrorismus ergeben, der besonders Syrien und die Region ins Visier genommen hat, und davor, dass der Terrorismus auf seine Unterstützer zurückfallen werde.« Die Ereignisse zeigten die »Defizite der europäischen Politik und ihre Verantwortung für das Blutvergießen in Syrien«, so der namentlichj nicht genannte Diplomat. »Syrien, dessen Volk Extremisten und Terrorismus standfest bekämpft und dessen beste Teile Opfer des von außen kommenden Terrorismus geworden sind, erneuert seinen Aufruf zur Korrektur der falschen Politik und des falschen Verhaltens, um im Einklang mit dem Völkerrecht alle Formen des Terrorismus zu bekämpfen.«

**** Aus: junge Welt, Freitag, 9. Januar 2015




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