Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Waffen, Diamanten, Demokratie

Was Frankreich und seine Kriegsmaschinerie in Afrika zu schützen haben

Von Hansgeorg Hermann *

Kriege sind gut fürs Geschäft. Von dieser Erkenntnis hat sich auch der Waffenhersteller und Presseherr Serge Dassault sein Unternehmerleben lang leiten lassen. Und wer an solchen Geschäften verdienen, respektive überhaupt erst ins Geschäft kommen will, der muß mit dem Staat und seiner Armee möglichst im Einvernehmen sein. Am besten, indem er selbst ein Teil staatlicher Institutionen ist – als Fabrikant (siehe Spalte) und als Politiker mit parlamentarischer Immunität. Der Staat Frankreich, dem Dassault nicht nur als einfacher Bürger, sondern als Senator mit dem Recht auf die Einbringung vorteilhafter Gesetzesvorlagen verbunden ist, führt in letzter Zeit ziemlich viele Kriege.

Seit Januar 2013 etwa in Mali. Dort werden, ließ François Hollande – sozialdemokratischer französischer Präsident und oberster Feldherr Frankreichs – am 15. Januar die Öffentlichkeit wissen, »Terroristen vernichtet«, Minderheiten geschützt und die Rechte der Frauen eingefordert. Alles in allem verteidige Frankreich im bis dahin weitgehend unbekannten Wüstenstaat auch seine eigene Demokratie und die Europas.

In den Tagen von Mali präsentierte sich Hollande nicht nur in der Attitüde eines Herrschers über »Françafrique«, wie man früher die afrikanischen Kolonien des Regimes zu nennen pflegte, sondern auch in deren moderner Version – der des Präsidenten von »France à fric« (Das Frankreich des Mammons). Der Ökonom und Soziologe Lahouari Addi, Algerier, angesehener Professor der Sience Politique (Politikwissenschaften) in Lyon, jedenfalls befand: »Frankreich wird gegenwärtig angeklagt, Dämonen des Kolonialismus geweckt zu haben. Der Verdacht ist nicht ganz unbegründet, wenn man bedenkt, welche Bodenschätze in der Region lagern – Uran, zum Beispiel, und Erdgas –, die den Appetit der westlichen Großmächte anregen. Nicht zuletzt im Hinblick auf den wachsenden Einfluß Chinas in Afrika.«

Daß »Frankreich nicht wirklich groß ist, solange es nicht auf den Schultern Afrikas steht«, wie es in einem kongolesischen Sprichwort heißt, mag einer der Gründe sein, weshalb sich der Präsident Frankreichs seit Anfang Dezember 2013 nun auch in Zentralafrika engagiert. Mit beifälliger Unterstützung der rechtskonservativen Oppositionellen Alain Juppé (Außenminister unter Nicolas Sarkozy) und François Fillon (zuletzt Ministerpräsident unter Sarkozy). Wie immer ist auch der militärische Einsatz in der von Bandenkriegen und Massenmorden heimgesuchten Region als »humanitärer Einsatz« deklariert und kann sich auf ein UNO-Mandat stützen.

Die Wirklichkeit sieht anders aus und hat vor allem eine ökonomische Komponente. Die türkische Zeitung Stargazete zitierte den zentralafrikanischen Diamantenhändler Idris Mohammed jüngst mit den Worten: »Den Großteil unseres Nationaleinkommens erzielen wir durch den Diamantenverkauf. Der Vertrieb der Diamanten erfolgt über französische, belgische und israelische Büros in Zentralafrika. Die Diamanten dürfen lediglich an diese drei Staaten verkauft werden. Wir wollten den Vertrieb und die Abnehmer selbst bestimmen und suchten nach Alternativen. Frankreich hat einen Krieg zwischen Muslimen und Christen angezettelt, um in Zentralafrika eingreifen zu können. Paris will die Diamantenproduktion unter Kontrolle halten.«

Frankreich, so heißt es in Paris, wolle mit seinen bestens ausgerüsteten und im Afrika-Einsatz seit Jahrzehnten erprobten Spezialtruppen vor allem den Einfluß Chinas in Afrika zurückdrängen. Im Einvernehmen mit den USA.

* Aus: junge welt, Montag, 27. Januar 2014


»Aus der eigenen Tasche«

Stimmenkauf und Korruption: Frankreichs Justiz versucht bisher vergeblich, das »System Dassault« zu knacken

Von Hansgeorg Hermann **


Es war 1956, mitten im Wirtschaftsboom der Nachkriegsjahre, als der Soziologe Charles Wright Mills seine Landsleute einen Blick in das Herrschaftsgefüge US-Amerikas werfen ließ: »Es gibt hier eine Machtelite, die aus Männern der Wirtschaft, der Politik und des Militärs besteht, deren Interessen einander immer näher gekommen sind. Und um die Rolle des Militärs in dieser Machtelite zu verstehen, müssen wir die Rolle des Konzernmanagers und des Politikers in ihr ebenfalls verstehen.« Mills, einer der ersten und wichtigsten Erforscher »demokratischer Herrschaftsstrukturen« im Kapitalismus, starb 1962 im Alter von 45 Jahren an einem Herzinfarkt. Er hätte im Europa der Gegenwart die meisten seiner Thesen bestätigt gefunden. In Frankreich etwa, wo die Justiz des Landes in diesen Tagen den 88 Jahre alten Waffenfabrikanten, Multimilliardär, Politiker und Senator der rechtskonservativen Partei UMP, Serge Dassault, des Stimmenkaufs, der Gründung einer kriminellen Vereinigung und der Korruption verdächtigt.

Der greise Patriarch des Multis Dassault Industries, zu dem auch ein weitverzweigter Medienkonzern mit der Tageszeitung Le Figaro an der Spitze gehört, ist nicht nur mit den Nachforschungen französischer Untersuchungsrichter und Staatsanwälte bestens vertraut. Schon 1998, in Belgien, wurde er im Rahmen der »Agusta-Dassault-Affäre« zu zwei Jahren Gefängnishaft auf Bewährung verurteilt. Dassault und der italienische Rüstungsbetrieb Agusta hatten – um an Aufträge für Kampfhubschrauber und Bordausrüstung zu kommen – mehr als 160 Millionen Francs (24 Millionen Euro) an die damals in Brüssel regierende Sozialistische Partei gezahlt. Die Pflege der politischen Landschaft, sagten Vertraute des Unternehmers nun den Untersuchungsrichtern in Paris, habe dem Alten immer am Herzen gelegen.

Zum Beispiel in der 30 Kilometer südlich von Paris gelegenen, 45000 Einwohner zählenden Kleinstadt Corbeil-Essonnes, wo er von 1995 bis 2009 Bürgermeister war. Eine ursprünglich von den Kommunisten beherrschte Gemeinde, deren ehrenwerten, traditionellen – allerdings mit Armut und Erwerbslosigkeit verbundenen – Proletarierstolz er offenbar mit harter Währung und milden Gaben zu brechen wußte. Bis die Opposition schließlich seine erneute Wiederwahl erfolgreich anfocht – und auch die Wahl des an seiner Stelle nominierten Kandidaten Jean-Pierre Bechter, einer seiner engsten Mitarbeiter zu dieser Zeit. Die Anklage gegen Dassault: Während seiner Bürgermeisterjahre ein »Klientelsystem zur Wahrung des sozialen Friedens« – wie er selbst es nennt – aufgebaut und durch Stimmenkauf jeweils seine Wiederwahl sowie die Wahl seines von ihm selbst bestimmten Nachfolgers Bechter gesichert zu haben.

Dassault streitet nicht ab, Geld verteilt und (verlorene) Kredite gewährt zu haben. Dies sei »alles aus der eigenen Tasche« finanziert worden – um jungen Leuten zu helfen. Unter anderen dem inzwischen 40 Jahre alten Younès Bounouara, der ihm als Kontaktmann zu den Familien im Elendsquartier »Les Tarterêts« diente, einer gigantischen Hochhaussiedlung mit 15 Stockwerke hohen Gebäuden und rund 10000 Einwohnern in 2300 Wohnungen – fast einem Viertel der Bevölkerung der Stadt.

Über Bankverbindungen im Libanon hatte ihm der Alte im Jahr 2011, »für treue Dienste seit 1995« rund zwei Millionen Euro zukommen lassen, weil ­Bounouara – wie Dassaults Anwälte erläuterten – ein eigenes Unternehmen in Algerien habe aufbauen wollen. »Weil er ziemlich viel für mich getan hat und ich ihm vorher nie Geld gegeben hatte, habe ich halt O.K. gesagt«, ließ Dassault wissen. Die Untersuchungsrichter sehen das anders. Ihrer Meinung nach wurde das Geld zum Stimmenkauf benutzt. Bounouara soll das Geld unter die Wahlberechtigten der »Tarterêts« gebracht haben.

Die sehr speziellen Gunstbezeugungen des Patriarchen schürten nach Meinung der Richter offenbar Eifersucht unter seinen jungen Helfern – und provozierten schließlich auch Gewalt. Bounouara streckte im Februar 2012 am hellen Tag den 32 Jahre jungen Boxer Fatah Hou mit Pistolenschüssen nieder. In Untersuchungshaft beteuerte er, Opfer »einer Bande« aus den Tarterêts gewesen zu sein, die glaubte, Dassault habe ihm einen Haufen Geld »zum Austeilen« gegeben. ­Bounouaras Opfer Fatah Hou, auch er zunächst ein Helfer des Milliardärs in den »sensiblen Quartieren« Corbeil-Essonnes’, kennt das »System Dassault« nach eigener Aussage im Detail.

Im November 2012 filmten er und einige seiner Freunde aus der Siedlung im Rathaus heimlich ein Treffen zwischen Dassault und seinen mit Geldforderungen an den Alten herangetretenen zahlreichen jungen Bewunderern. Das Video landete in der Redaktion des Internet-Nachrichtendienstes Mediapart, der am 15. September 2013 Auszüge »dieses Korruptionsgeständnisses« veröffentlichte. Orginalton Dassault auf dem Videoband: »Ich kann (euch) nichts mehr geben, das ist verboten (…) Ich werde von der Polizei überwacht (…) Das Geld ist ausbezahlt worden, komplett. Ich habe Geld gegeben. Aus dem Libanon gibt es nichts mehr, dort ist niemand mehr, das ist vorbei. Wenn das schlecht ausgegangen ist, dann ist das nicht meine Schuld. Ich werde nicht zweimal zahlen.«

Im vergangenen Dezember bekannte Dassault in der Zeitung Journal de Dimanche, rund 1,2 Millionen Euro überwiesen zu haben, »damit Ruhe ist im Libanon«, und zwei Millionen »für Investitionen in Algerien«. Am 8.1.2014 weigerte sich der Vorstand des Senats – zum zweiten Mal nach einem im Juni 2013 gestellten Antrag – mit 13 gegen zwölf Stimmen die von der Justiz beantragte parlamentarische Immunität des Senators Serge Dassault aufzuheben

** Aus: junge welt, Montag, 27. Januar 2014

»Rafale« und Figaro

Serge Dassault (88) ist der Sohn des 1986 verstorbenen Flugzeugkonstrukteurs und Konzerngründers Marcel Bloch. Nach Verhaftung durch die Gestapo im Jahr 1944, Internierung in den Lagern Drancy und Buchenwald, Rettung durch den Kommunisten Marcel Paul im Jahr 1945, konvertiert die ursprünglich jüdische Familie 1950 zum Katholizismus und nennt sich fortan Dassault. Serge wird 1987 Generaldirektor des väterlichen Konzerns Dassault Industries.

Die Dassault Industries haben ihren Sitz in Paris. Das Hauptgeschäft bestreitet die Gruppe Dassault Aviation mit der Konstruktion und Herstellung von Kampfflugzeugen, darunter die Jäger »Mirage« (Fata Morgana, Luftspiegelung) und »Rafale« (Böe, Windstoß) in ihren verschiedenen Versionen. Das unter der Präsidentschaft François Mitterrands in den achtziger Jahren teilnationalisierte Unternehmen Aviation wurde von dessen Nachfolger Jacques Chirac wieder privatisiert und ist heute zu 50,55 Prozent in den Händen der Dassault-Familie und zu 46,32 Prozent in denen des zweiten französischen Luftfahrtkonzerns EADS France. Der Staat hält nur noch 3,13 Prozent der Anteile.

Abnehmer der Aviation-Produkte sind an erster Stelle Armee und Marine Frankreichs. Exportländer sind derzeitig Indien und die Arabischen Emirate. In aussichtsreichen Verhandlungen um den Kauf von »Rafale«-Jägern – Stückpreis rund 120 Millionen Euro – steht Dassault mit Katar, Kuwait, Algerien, Malaysia und Kanada. Über die Aviation-Untergruppe Thales werden die Dassault-Jäger mit Elektronik und Waffensystemen bestückt.

Wichtiger Teil der Dassault Industries ist die Presse-Holding Socpresse, die mit fast 9000 Angestellten und geschätzten 70 Publikationen einen großen Teil der Öffentlichkeitsarbeit des Konzerns erledigt. Flaggschiff ist die Pariser Tageszeitung Le Figaro, in der Patriarch Serge Dassault bisweilen persönlich und seitenweise die Lage der Nation beschreibt, seinen eigenen Standpunkt erläutert oder – wenn es sein muß – der Redaktion auch mal die Veröffentlichung unangenehmer Artikel untersagt. Die Socpresse veröffentlicht keinen Geschäftsbericht, ihre Organisationsstrukturen sind geheim. Treuhänder sind unter anderen Serge Dassaults Sohn Olivier und der Bürgermeister von Corbeil-Essonnes, Jean-Pierre Bechter – seit 2009 Nachfolger des Patriarchen in diesem Amt. (hgh)




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