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Hamas ist in der Krise – und schweigt

Palästinenser-Präsident Abbas hingegen gratulierte Ägypten sofort *

Der Umsturz in Ägypten hat die Palästinenser-Organisation Hamas in eine tiefe Krise gestürzt. Zudem sorgt die Wirtschaftskrise im Nachbarland für Warenknappheit und massive Preissteigerungen.

Die Nachricht von der Absetzung Mohammad Mursis war nur wenige Minuten alt, als die palästinensische Regierung in Ramallah »dem ägyptischen Volk« gratulierte. In Gaza, wo die mit der im Westjordanland regierende Fatah verfeindete Hamas das Sagen hat, hingegen: Schweigen, tief wie nie zuvor. Man habe Anweisung, sich nicht zu den Ereignissen in Ägypten zu äußern, sagt ein Sprecher von Hamas-Regierungschef Ismail Hanijeh. Und anders als je zuvor halten sich alle Vertreter der Hamas daran. »Dafür geht es hier um zu viel«, erklärt einer von ihnen.

Doch es ist auch so offensichtlich: Die Lage im Nachbarland hat den Gazastreifen hart getroffen. Denn Mursi war für die Hamas ein zuverlässiger Verbündeter, der die Grenze öffnete, Güterverkehr erlaubte und den Grenzübertritt von bis zu 1200 Palästinensern am Tag. Das hat sich geändert, denn Ägyptens Militär, das nun de facto das Land regiert, verspürt keine nachweisbare Liebe für die Hamas. In ihr sieht man eine Bedrohung, vermutet, dass sie oder die vielen kleinen Kampfgruppen im Gazastreifen an der Seite der Muslimbruderschaft in den innerägyptischen Konflikt eintreten könnten. Deshalb wurde die Zahl der Einreisegenehmigungen zunächst auf 600 am Tag reduziert. Und dann wurde am Donnerstag, nachdem es im Norden der Sinai-Halbinsel Angriffe auf das Militär gegeben hatte, die Grenze geschlossen.

Die Hamas ist nun auf Lieferungen aus Israel nach Gaza angewiesen. Denn die Schmuggeltunnel, über die jahrelang vor Öffnung der Grenze Warenlieferungen abgewickelt worden waren, wurden im Laufe der vergangenen Monate weitgehend zerstört. Damit hatten Hamas und die Mursi-Regierung die Verzollung der Waren effektiver gestalten und die kleinen Kampfgruppen, die teils mit der Hamas verfeindet sind, besser kontrollieren wollen.

Bereits vor der Absetzung Mursis war ein Problem hinzu gekommen: Durch die Wirtschaftskrise, die in Ägypten zu massiven Preissteigerungen geführt hatte, wurden auch im Gazastreifen die Importwaren unbezahlbar teuer.

Die Glückwünsche aus Ramallah kamen hingegen nicht aus reiner Hingabe für revolutionäre Tendenzen – tatsächlich fürchtet vor allem Präsident Mahmud Abbas, dass sich Ähnliches auch in Palästina zutragen könnte, und hat die Präsenz der Sicherheitsdienste massiv verstärkt. Gleichzeitig macht er allerdings kein Hehl daraus, dass er Derartiges in Gaza begrüßen würde: »Wir hoffen, dass das Volk in Gaza nun ebenfalls von seinem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch macht«, sagte ein Sprecher.

Oliver Eberhardt

* Aus: neues deutschland, Montag, 8. Juli 2013

Muslimbruderschaft in Ägypten

Die Muslimbruderschaft in Ägypten ist die älteste und größte Vertretung der sunnitischen Muslime des Landes.
  • MÄRZ 1928
    Imam Hassan al-Banna gründet die Muslimbruderschaft in der Stadt Ismailija am Suezkanal. Sie gewinnt als Wohlfahrtsorganisation mit islamischer Ideologie rasch Anhänger. Schon bald nach der Gründung übernimmt sie eine politische Rolle, widersetzt sich der britischen Präsenz und streitet für einen islamischen Staat.
  • DEZEMBER 1948
    Ein Muslimbruder ermordet Ministerpräsident Mahmud Fahmi al-Nukraschi, der die Auflösung der Organisation angeordnet hatte. Die Bruderschaft wird brutal unterdrückt.
  • 1954
    Die Bruderschaft unterstützt die Revolution von Gamal Abdel Nasser. Doch unterschiedliche Ziele und Misstrauen führen zum Bruch und zur Verfolgung. Nach einem versuchten Attentat verbietet Nasser die Organisation erneut. 1966 wird der Vordenker Sajjeb Kotb gehängt.
  • 1981
    Präsident Anwar al-Sadat wird von einem früheren Muslimbruder getötet.
  • 5. JULI 2013
    Übergangspräsident Adli Mansur löst das Parlament auf. Der Anführer der Muslimbrüder, Mohammed Badie ruft zu Massenprotesten auf, bis ihr Präsident Mohammed Mursi zurück im Amt ist.



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