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"Alle am Konflikt beteiligten Parteien haben gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen"

amnesty international legt einen Bericht über den Gaza-Krieg vor - Israels Armeeführung: Der Report ist "unausgewogen" und von Hamas "manipuliert"


D o k u m e n t i e r t : Pressemitteilung von amnesty international

Keine Straflosigkeit für mögliche Kriegsverbrechen!

"Bis heute verstehen wir nicht, warum. Wir wollen Frieden; und wir wollen eine Untersuchung; wir wollen wissen, warum ich und meine Geschwister verwaist sind. Warum haben sie unsere Eltern getötet, unsere Familie?" (Fathia Mousa, deren Eltern und Geschwister bei einem israelischen Luftangriff getötet wurden, als sie in ihrem Hof saßen)

Ohne Vorwarnung hatten die israelischen Streitkräfte am 27. Dezember 2008 ihre militärische Operation "Gegossenes Blei" im Gazastreifen begonnen. Erklärtes Ziel der 22-tägigen Militäroperation war das Ende der palästinensischen Raketenangriffe durch die Hamas und andere bewaffnete palästinensische Gruppierungen. Insgesamt kamen dabei etwa 1400 Palästinenser ums Leben, darunter etwa 300 Kinder und Hunderte unbewaffnete Zivilisten. Große Teile des Gazastreifens sind dem Erdboden gleichgemacht, Tausende Bewohner sind obdachlos, private Geschäfte und öffentliche Gebäude sind zerstört und die ohnehin schon desolate Wirtschaftslage in den Ruin getrieben worden.

Ein Ermittlungsteam von Amnesty International hat Mitte Januar Untersuchungen im Gazastreifen aufgenommen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse werden jetzt in einem neuen Bericht veröffentlicht. Demnach haben alle am Konflikt beteiligten Parteien - die israelische Armee ebenso wie die Hamas und andere bewaffnete palästinensische Gruppen - gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen. Das Ausmaß und die Heftigkeit der Angriffe überstiegen alle bisherigen israelischen Militäroperationen. Im Zuge der israelischen Angriffe wurden über 3000 Häuser zerstört und etwa 20 000 beschädigt, was ganze Stadtviertel in Gaza in Schutthalden verwandelte. "Wo immer wir gingen und standen, wir fanden den ganzen Tag über in Gaza-Stadt und im Umland immer noch mehr zerstörte und beschädigte Wohnhäuser, Moscheen, Schulen und Regierungsgebäude. Manche waren durch die von F16-Kampfflugzeugen abgeworfenen Bomben vollständig zum Einsturz gebracht worden, andere waren durch Artillerieangriffe und Raketenschläge unbewohnbar gemacht", berichtete das Ermittlungsteam.

Da die israelische Luftwaffe auch unbemannte Drohnen mit sehr präziser Optik einsetzte, um Einsatzgebiete zu überwachen, muss davon ausgegangen werden, dass die Anwesenheit von Zivilisten an den Orten, an denen die Raketen einschlugen, darunter auch mit weißem Phosphor bestückte Waffen, bekannt war. Obwohl auf israelischer Seite schon seit den ersten Tagen der Militäroperation bekannt war, dass eine große Zahl von Zivilisten getötet wurde, hat dies nicht zu einer Änderung der militärischen Taktik geführt. Das Muster der Angriffe und die daraus resultierende hohe Zahl ziviler Opfer weist in Teilen auf ein rücksichtloses Vorgehen, eine Missachtung des Schutzes von Zivilisten und ein anhaltendes Versagen bei der Unterscheidung zwischen militärischen und zivilen Zielen hin.

Hunderte von palästinensischen Zivilisten wurden durch Angriffe mit Hochpräzisionswaffen getötet und verletzt. Kinder, die auf Häuserdächern oder in den Straßen spielten, und Zivilisten, die ihren alltäglichen Arbeiten nachgingen, ebenso wie Ärzte und Sanitäter, die Verletzten zu Hilfe eilten, wurden am helllichten Tag durch zielgenaue Fernlenkgeschosse, die von Helikoptern oder Drohnen abgefeuert wurden, getötet. Dieses Vorgehen wirft die drängende Frage auf, warum solche Waffen, bei deren Bedienung selbst kleinste Details der fokussierten Ziele identifizierbar sind, so viele Kinder und andere Zivilisten töteten.

Auch die Hamas und andere bewaffnete palästinensische Gruppen haben gegen humanitäres Völkerrecht verstoßen. Täglich haben palästinensische Kämpfer Raketen auf zivile Wohngebiete im südlichen Israel abgefeuert und drei Zivilisten getötet und Dutzende verletzt. Die abgefeuerten Kassam- und Grad-Raketen können nicht zielgerichtet abgeschossen werden und stellen somit einen Verstoß gegen humanitäres Völkerrecht dar, welches den Schutz unbeteiligter Zivilisten fordert und direkte Angriffe auf diese verbietet. Diese wahllosen Raketenangriffe auf Südisrael haben Panik unter der israelischen Zivilbevölkerung ausgelöst. Tausende Familien flohen in andere Landesteile.

Die Hamas und andere bewaffnete palästinensische Gruppen haben durch ihr Vorgehen gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen, in dem sie Raketenangriffe aus der Nähe ziviler Gebäude abfeuerten und die zivile Bevölkerung somit dem Risiko israelischer Angriffe aussetzten. Anders als wiederholt von der israelischen Armee vorgeworfen, liegen Amnesty International keine Hinweise darüber vor, dass palästinensische Kämpfer Zivilisten als Schutzschilde für militärische Objekte eingesetzt haben.

Bis heute haben es die israelischen Behörden versäumt, unparteiische und unabhängige Untersuchungen über das Vorgehen ihrer Streitkräfte während der Operation "Gegossenes Blei" durchzuführen. Die israelischen Behörden weigern sich, mit einer durch den UN-Menschenrechtsrat eingerichteten internationalen Untersuchungskommission unter Leitung von Richard Goldstone zusammenzuarbeiten. Alle Vorwürfe, gegen internationales Recht verstoßen zu haben, die sowohl von Amnesty International und anderen Menschenrechtsorganisationen vorgebracht wurden, ebenso wie die Ergebnisse des UN-Untersuchungsausschusses unter Leitung von Ian Martin weist die israelische Regierung bis heute zurück.

Auch fünf Monate nach Einstellung der Kampfhandlungen ist keine der Konfliktparteien bereit, die Verantwortlichen für Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, darunter mögliche Kriegsverbrechen, zur Rechenschaft zu ziehen. Dies gibt Anlass zu der Befürchtung, dass die Zivilbevölkerung auf beiden Seiten erneut die Hauptlast tragen muss, wenn die Kämpfe wieder aufflammen.

Quelle: Website von amnesty international, Deutschland, 2. Juli 2009; www.amnesty.de

Hier geht es zum ganzen Report:
ISRAEL/GAZA: OPERATION ‘CAST LEAD’: 22 DAYS OF DEATH AND DESTRUCTION
(pdf-Datei, 1,17 MB, externer Link)

Israel antwortet auf den amnesty-Report

Die israelische Armeeführung wies in scharfen Worten den von amnesty international vorgelegten Report über den Gaza-Krieg zurück. Die Menschenrechtsorganisation habe sich von der "radikalislamischen Hamas" manipulieren lassen, erklärte ein Armeesprecher am 2. Juli in Jerusalem ("... the organization succumbed to the manipulations of the Hamas terror organization"). Der Bericht sei "unausgewogen", befand die Militärführung, obwohl ai sowohl Tel Aviv als auch der Hamas "Kriegsverbrechen" unterstellt. Harsch war auch die Reaktion von Hamas: Ein Sprecher der Hamas sagte am 2. Juli, der Bericht bringe "unwahre Anschuldigungen" gegen die Hamas vor und unterschlage die Schwere der israelischen Verbrechen. Zugleich würden Schuldige und Opfer auf eine Stufe gestellt.
Wir dokumentieren die Antwort aus Israel im Folgenden im vollen Wortlaut (englisch).


IDF response to Amnesty Report

2 Jul 2009

(Communicated by the IDF Spokesperson)

We find it both questionable and objectionable that a well-respected and ostensibly objective international organization such as Amnesty could produce a report on Operation Cast Lead without properly recognizing the unbearable reality of nine years of incessant and indiscriminate rocket fire on the citizens of Israel. The slant of their report indicates that the organization succumbed to the manipulations of the Hamas terror organization.

Operation Cast Lead was a result of nine years of Hamas' unrelenting Kassam, Grad and mortar shell fire on more than a quarter of a million of Israel's citizens. Rocket fire was Hamas' preferred terror tactic, and they ruthlessly used populated areas of the Gaza Strip in order to carry out their attacks.

We did not find in the report a proper reference to the reality of the Israeli home front or to Israeli security concerns, and therefore the report seems unbalanced. It presents a distorted view of the laws of war that does not comply with the rules implemented by democratic states battling terror.

It also ignores the efforts of the IDF to minimize as much as possible harming uninvolved noncombatant civilians. During Operation Cast Lead, the IDF utilized various fighting methods and advanced technology to minimize harm to the civilian population, while engaging terrorists who were operating from densely populated areas and using the local population as a “human shield.”

In many cases, areas in which strikes of legitimate targets were to take place, as required by international law, the IDF warned the local population prior to the attack, via leaflets, radio broadcasts, and direct calls to private cellular telephones. It should be stated that the IDF only targeted military targets and avoided harming civilians, sometimes to the detriment of its own military interests.

In addition, during Operation Cast Lead, the IDF enabled for the transfer of humanitarian aid and also instated a daily several hour cease fire so that the goods could be safely distributed.

The Amnesty report ignores a critical aspect of Operation Cast Lead – Hamas consistently, deliberately and routinely violated International Law, specifically the prohibition against the use of "human shields." While Hamas was using Palestinian civilian centers to fire rockets at the citizens of Israel, the IDF went to great lengths to combat their terrorism while maintaining a firm commitment to the laws of war.

Documented evidence, from aerial drones, ground footage and independent accounts, prove, beyond all doubt, that Hamas deliberately exploited population centers – including medical, educational, recreational and religious facilities – to provide tactical cover for their terror activities.

It is to Amnesty International's discredit that the report they issued, focuses so intently on any and all IDF infractions, and ignores the blatant violations of international law perpetrated by Hamas.

Out of a professional, ethical and judicial obligation to thoroughly inspect certain claims made regarding Operation Cast Lead, the IDF conducted a number of investigations following the operation. The investigations proved that the IDF operated throughout the fighting in accordance with international law, maintaining high ethical and professional standards and in many incidents, for the sake of avoiding harm to unassociated civilians, even limited itself beyond existing judicial obligations. Nonetheless, the investigations found a few, unfortunate incidents that are unavoidable during combat - especially the type of combat Hamas forced upon the IDF during Operation Cast Lead, when it chose to fight from within civilian population centers.

In addition to the investigations ordered by the Chief of the General Staff, Lt. Gen. Gabi Ashkenazi, the IDF is currently looking into complaints that were received from various sources - private lawyers, human rights organizations (including Amnesty) and media outlets (both domestic and international) - that raise different questions regarding the way in which the IDF operated during Operation Cast Lead. In certain cases, the Chief Military Advocate has already ordered the opening of a criminal investigation.

Quelle: Website des israelischen Außenministers; www.mfa.gov.il




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