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Israels "gezielte Tötungen"

Beim schwersten Luftangriff auf den Gaza-Streifen seit 2009 starben 18 Menschen

Von Roland Etzel *

Blutiges Wochenende im Gazastreifen: Israels Luftwaffe tötete mit gezielten Angriffen mindestens 18 Palästinensern. Auch auch ein zwölfjähriger Junge war unter den Opfern.

Die israelische Regierung hat Wochenende deutlich gemacht, dass sie derzeit nicht interessiert ist, ein Klima zur Wiederaufnahme von Verhandlungen mit den Palästinensern entstehen zu lassen. Darauf lassen die anlasslos und unprovoziert erfolgten Luftangriffe auf den Gaza-Streifen schließen. Seit Freitag kamen dabei 18 Personen ums Leben, mindestens 30 weitere wurden verletzt. Die von bewaffneten Palästinensergruppen daraufhin über die Grenze nach Israel abgefeuerten mehr als 100 Mörsergranaten waren dagegen nicht mehr als Nadelstiche. Insgesamt soll es dadurch laut dem israelischen Verteidigungsminister Ehud Barak vier Verletzte gegeben haben. Jene Raketen der Palästinenser, die die diesen Namen verdienen, weil sie etwas weiter fliegen können, vernichtet die israelische Armee inzwischen großenteils mit ihrem Stahlkuppel genannten Abfangsystem bereits in der Luft.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu brüstete sich am Sonntag (11. März) im Fernsehen mit der Behauptung, man habe einen »Erzterroristen getötet, der viele Anschläge gegen den Staat Israel organisiert« habe. Jener, Zuhair al-Kaisi, sei gerade mit der Planung eines neuen Anschlags beschäftigt gewesen. «Beweise dafür blieb er schuldig. In israelischen Zeitungen hieß es gestern, Kaisi sei federführend bei der Gefangennahme des kürzlich ausgetauschten israelischen Soldaten Gilad Schalit beteiligt gewesen. Auch dafür wurden keinerlei Belege geliefert. Barak feierte die tödlichen Schläge als »gezielte Eliminierung«; warum dabei auch Kinder sterben, war ihm keiner Erwähnung wert.

Obwohl es sich um den schwerwiegendsten Luftüberfall auf Gaza seit dem Drei-Wochen-Krieg 2008/09 handelt, vermieden die westlichen Staaten eine Tadelung Israels. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton erklärte lediglich, sie sei »beunruhigt über die »jüngste Eskalation der Gewalt« und rief »alle Seiten« auf, »wieder für Ruhe zu sorgen«. Das USA-Außenministerium sprach von Sorge über die »tödliche Gewalt«, ohne zu erwähnen, wie sie ausgelöst wurde. Von der Arabischen Liga gibt es nach Angriffen auf Gaza schon seit geraumer Zeit keine nennenswerten diplomatischer Vorstöße mehr in der UNO.

* Aus: neues deutschland, 12. März 2012


Massaker in Gaza

Israelische Luftschläge gegen Palästinenser fordern Tote und Verletzte. Raketenbeschuß Südisraels als Antwort

Von Karin Leukefeld **


Mit der »schlimmsten Luft­attacke seit dem Krieg 2008/09«, so Augenzeugen, hat die israelische Armee am Wochenende mindestens 17 Personen getötet, darunter ein zwölfjähriger Junge. Nach Angaben palästinensischer Ärzte wurden bis Sonntag früh mindestens 30 Personen verletzt, fünf von ihnen befinden sich in kritischem Zustand. Unter den Verletzten sind auch Muamin Shrafi, Reporter eines Satellitenfernsehsenders, und dessen schwangere Frau, meldete die palästinensische Nachrichtenagentur Maan News. Das Haus des Ehepaares sowie das von Nachbarn seien bei den Angriffen getroffen worden. Abu Salmiya, Vertreter der medizinischen Dienste in Gaza, forderte Maan News zufolge »internationale Organisationen und Menschenrechtsgruppen« auf, dem Blutvergießen in Gaza ein Ende zu bereiten. Die Angriffe verstießen gegen »die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und gegen die Vierte Genfer Konvention«, so Salmiya. Stromausfälle, Mangel an medizinischer Versorgung und ständige Militäroperationen brächten Gaza an den Rand einer »humanitären Katastrophe«.

Auf der Internetplattform »Occupied Palestine« (Besetztes Palästina) hieß es, Israel habe mit Apache-Hubschraubern, Drohnen und F-16-Kampfjets angegriffen. Die Attacken hätten um 17 Uhr am Freitag (9. März) nachmittag, dem muslimischen Feiertag, begonnen und die ganze Nacht angehalten. Als erstes sei ein blaues Fahrzeug in Tal Al-Hawa, mitten in einem Wohngebiet zerstört worden. Das Fahrzeug sei völlig ausgebrannt, in ihm starben der Generalsekretär der »Volkswiderstandskomitees«, Zuheir Al-Qaisy, und Mahmoud Hanini, der erst vor einigen Monaten im Austausch gegen den israelischen Soldaten Gilad Shalit zusammem mit über 1000 weiteren Palästinensern aus israelischer Haft entlassen worden war. Wenige Stunden nach dem ersten Angriff wurden ebenfalls gezielt zwei Aktivisten des »Islamischen Dschihad« getötet. Sechs weitere Palästinenser fielen den umfassenden und gezielten Bombenangriffe in verschiedenen Teilen des Gazastreifens zum Opfer. Zehn seien Militante der »Saraya Al-Quds-Brigaden«, des bewaffneten Arms des »Islamischen Dschihad«, gewesen, teilte die Organisation mit.

»Occupied Palestine« listet akribisch die Übergriffe israelischer Besatzungstruppen und militanter Siedler auf Palästinenser auf, darunter Morde, Festnahmen – auch von Kindern –, Entführungen, Razzien, Landaneignungen und Zerstörungen. Allein für die Zeit vom 1. Januar bis 5. März 2012 listet die Seite 795 Vorfälle auf.

Als Reaktion auf die Luftschläge griffen Militante aus dem Gazastreifen mit selbstgebauten Raketen südisraelische Siedlungen an. Hamas-Sprecher Sami Abu Zuhri sagte, die Palästinenser hätten das Recht, sich »gegen Angriffe zu verteidigen«. Israel sei »voll verantwortlich für die Eskalation«.

Nach offiziellen israelischen Angaben wurden durch die palästinensischen Schläge vier Personen verletzt, acht seien wegen erlittener Schocks medizinisch behandelt worden. Der im vergangenen Jahr mit US-amerikanischer Hilfe installierte Raketenabwehrschirm »Iron Dome« habe 30 der aus Gaza abgefeuerten Raketen abfangen können, hieß es.

Das israelische Verteidigungsministerium begründete den massiven Luftangriff auf Gaza damit, daß man »terroristische Gruppen daran gehindert (habe), Raketen auf Israel zu feuern«. Premierminister Benjamin Netanjahu erklärte, Tel Aviv habe »zweifelsohne« Vorbereitungen für einen Angriff verhindert, das werde man auch weiter tun. Angeblich sollen die palästinensischen Volkswiderstandskomitees einen »großen terroristischen Anschlag« an der südlichen Grenze zu Israel vorbereitet haben. Andere Medien bezeichneten den beim ersten Luftschlag getöteten Al-Qaisy als Verantwortlichen für die Entführung des israelischen Soldaten Gilad Shalit und legten damit einen israelischen Racheakt nahe. Seit Jahren werden solche völkerrechtswidrigen »extralegalen Hinrichtungen« sowohl von Israel als auch von den USA durchgeführt. Bevorzugt werden dafür neuerdings Drohnen eingesetzt, die zu den lukrativsten Exportschlagern der israelischen Rüstungsindustrie gehören.

** Aus: junge Welt, 12. März 2012

Dokumentiert: Die amtliche Darstellung der israelischen Regierung:

Raketenterror gegen Israel - Über 190 Raketen in vier Tagen

Seit Freitag (9. März) haben palästinensische Terroristen aus dem Gazastreifen über 190 Raketen auf israelisches Gebiet abgefeuert. Mehr als eine Million Israelis leben in Reichweite der Raketen. Und der Raketenbeschuss hält weiter an: Allein in der Nacht zum Montag schlugen 25 Raketen auf israelischem Gebiet ein. Fünf Menschen wurden seit Freitag verletzt, einer davon schwer.

Die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte hatten am Freitag Zuhir Kaisi, den Chef der Terrororganisation Volkswiderstandskomitee (PRC), getötet, der für mehrere Terroranschläge verantwortlich war und weitere Anschläge geplant hatte. Konkret plante das Volkswiderstandskomitee einen großangelegten Anschlag auf Israel über den Sinai in den kommenden Tagen. Zudem war Kaisi zuständig für den Transfer von Geldern der Hisbollah an Terrororganisationen im Gazastreifen.

Ministerpräsident Binyamin Netanyahu erklärte zu den Vorfällen: "Wir werden weiterhin gegen jeden vorgehen, der plant, Bürger des Staates Israel anzugreifen. Gleichzeitig werden wir die Verteidigung an der Heimatfront weiter verbessern, einschließlich der Installation zusätzlicher Iron-Dome-Batterien, deren Effektivität im Laufe des Wochenendes bewiesen wurde."

Außenminister Avigdor Lieberman sagte in einem Radio-Interview mit "Galei ZAHAL", der getötete Terrorchef sei eine tickende Bombe gewesen. Die Regierung bemühe sich um Zurückhaltung und sei nicht auf Abenteuer oder Provokationen aus. Die Sicherheit der Bürger müsse jedoch gewährleistet werden.

Zwei Grad-Raketen schlugen in Beer Sheva ein, wegen eines Defekts der Iron-Dome-Batterie in der Stadt. Eine Schule wurde getroffen und teilweise zerstört. Da aufgrund des Raketenbeschusses alle Schulen im Süden Israels geschlossen sind, wurden keine Kinder verletzt. Mehrere Häuser und Autos wurden durch den Raketenbeschuss beschädigt. Bisher haben die Iron-Dome-Batterien 49 Raketen abwehren können und somit mehr als 90 Prozent der Raketen abgefangen, die sie anvisiert hatten. Eine weitere Iron-Dome-Batterie soll in den kommenden Wochen installiert werden. 2011 wurden mehr als 600 Raketen auf Israel abgefeuert.

Heute wurden unter anderem Autos und Geschäfte im Zentrum der Stadt Ashdod durch Raketen beschädigt. Außerdem schlugen auch Raketen nördlich der Stadt Gedera ein.

In Reaktion auf den anhaltenden Raketenbeschuss hat die Israelische Luftwaffe in den vergangenen Tagen mehrere Ziele im Gazastreifen angegriffen, die als Basis für terroristische Aktivitäten dienen. ZAHAL-Sprecher Brigadegeneral Mordechai erklärte dazu: „Wir werden es nicht zulassen, dass diese unerträgliche Situation weiterhin das Leben der Bürger im Süden Israels belastet. Kein Land der Welt würde das zulassen und wir werden weiterhin gegen jede aktive Terrorzelle im Gazastreifen vorgehen.“ Mordechai erklärte weiter, dass die Terrororganisation Hamas für die Angriffe verantwortlich sei, da sie den Raketenbeschuss auf Israel nicht unterbindet.

Auch während des anhaltenden Raketenbeschusses werden weiterhin Güter über den Keren Shalom Grenzübergang geliefert. Heute Vormittag griffen Terroristen zwar auch drei Lastwagen mit Hilfsgütern an, doch die Lieferungen sollen nach kurzer Unterbrechung fortgesetzt werden, so der ZAHAL-Sprecher.

(Außenministerium des Staates Israel/Israelische Verteidigungsstreitkräfte, 09.-12.03.12)

Aus: Newsletter der israelischen Botschaft in Berlin, 12. März 2012



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