"Gegossenes Blei" über Gaza
Israels einberufene Reservisten warten auf Befehl zur Bodeninvasion
Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *
Israel hat einen Waffenstillstand mit der Hamas erneut abgelehnt; Proteste aus dem Ausland gegen
die Militäroperation im Gazastreifen verhallen nahezu ungehört. Die israelische Öffentlichkeit steht
weitgehend hinter dem Einsatz.
Morgens, mittags, nachts im Bett -- das Telefon kann jederzeit klingeln und eine Stimme am anderen
Ende sagen: »Begeben Sie sich umgehend zum Sammelpunkt.« 6500 Male klingelten in Israel in
den vergangenen Tagen die Telefone bei jungen Männern, die eigentlich darauf gehofft hatten, nach
ihrem dreijährigen Militärdienst endlich ihr Leben starten zu können, an der Uni, im Job, in der
Familie, egal wo.
Die israelische Militäroperation im Gazastreifen hat diese Hoffnung in 6500 Fällen zunichte gemacht,
denn so viele Reservisten hat die Armee seit Samstagabend einberufen. Sie schlafen nun an der
nördlichen Grenze zum Gazastreifen in Zelten, manchmal auch in Panzern, und warten in bitterer
Kälte auf den Befehl, sich nach Gaza in Bewegung zu setzen.
Seit Samstag hat die israelische Luftwaffe Ziele der Hamas dort angegriffen und nach Angaben der
israelischen Regierung nahezu die gesamte Infrastruktur dem Erdboden gleichgemacht; jetzt wird
wohl den Bodentruppen die Aufgabe zukommen, die Raketenschützen unschädlich zu machen.
Das ist jedenfalls das Ziel, das die Regierung der Operation »Gegossenes Blei« gesetzt hat und von
dem sie sich auch durch eine Vielzahl von internationalen Protesten nicht abbringen lässt: Am
Mittwoch lehnte das Kabinett einen Waffenstillstand, auch einen ganz kurzen, kategorisch ab. Man
habe bisher mehr erreicht als erwartet und werde die Sache nun zu Ende bringen, auch wenn das
möglicherweise einen langen Kampf bedeute, sagt Regierungssprecher Mark Regev: »Genug ist
genug«, wiederholte er einmal mehr den Slogan dieser Tage, »unsere Bürger in der Nachbarschaft
Gazas haben lange genug gelitten.«
Diese Botschaft, sagt Regev, da sei er sich ganz sicher, werde auch im Ausland verstanden. Doch
die internationalen Reaktionen sprechen eine andere Sprache: Fast ganz Asien, die arabische Welt
sowieso, die Vereinten Nationen, die EU haben sich gegen die Militäroperation mit jenem poetischen
Namen ausgesprochen, der übrigens vergeben wurde von einem Regierungsausschuss, der nichts
anderes tut, als Namen für derartige Ereignisse zu finden.
Denn die hohe Zahl an Todesopfern hat ihre Wirkung auf die Öffentlichkeit im Ausland nicht verfehlt:
In vielen Ländern gibt es nahezu täglich Demonstrationen. Dass Israels Regierung sich davon nicht
beirren lässt, hat zwei Gründe: Das Militär argumentiert, dass die Hamas einen Waffenstillstand
dazu nutzen würde, ihre im Moment reichlich chaotischen Reihen zu schließen und ihre Waffenlager
aufzufüllen. Und die eigene Öffentlichkeit steht weitgehend hinter dem Militäreinsatz -- und das ist
aus Sicht von israelischen Regierungspolitikern im Wahlkampf das einzige, was zählt.
Kritische Stimmen sind derzeit selten und mahnen vor allem vor übertriebener Euphorie: »Je länger
eine Operation dauert, desto mehr kann schiefgehen«, kommentiert Ron Sofer in der Zeitung
»Jedioth Ahronoth«, und der Autor Amos Oz schreibt im gleichen Blatt, Israel werde durch eine
Bodenoffensive nichts weiter gewinnen, als im »Sumpf Gazas« stecken zu bleiben. Es werde kein
Regime kommen, das Israel sympathisch gegenübersteht.
* Aus: Neues Deutschland, 2. Januar 2009
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