Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Gegossenes Blei" über Gaza

Israels einberufene Reservisten warten auf Befehl zur Bodeninvasion

Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *

Israel hat einen Waffenstillstand mit der Hamas erneut abgelehnt; Proteste aus dem Ausland gegen die Militäroperation im Gazastreifen verhallen nahezu ungehört. Die israelische Öffentlichkeit steht weitgehend hinter dem Einsatz.

Morgens, mittags, nachts im Bett -- das Telefon kann jederzeit klingeln und eine Stimme am anderen Ende sagen: »Begeben Sie sich umgehend zum Sammelpunkt.« 6500 Male klingelten in Israel in den vergangenen Tagen die Telefone bei jungen Männern, die eigentlich darauf gehofft hatten, nach ihrem dreijährigen Militärdienst endlich ihr Leben starten zu können, an der Uni, im Job, in der Familie, egal wo.

Die israelische Militäroperation im Gazastreifen hat diese Hoffnung in 6500 Fällen zunichte gemacht, denn so viele Reservisten hat die Armee seit Samstagabend einberufen. Sie schlafen nun an der nördlichen Grenze zum Gazastreifen in Zelten, manchmal auch in Panzern, und warten in bitterer Kälte auf den Befehl, sich nach Gaza in Bewegung zu setzen.

Seit Samstag hat die israelische Luftwaffe Ziele der Hamas dort angegriffen und nach Angaben der israelischen Regierung nahezu die gesamte Infrastruktur dem Erdboden gleichgemacht; jetzt wird wohl den Bodentruppen die Aufgabe zukommen, die Raketenschützen unschädlich zu machen.

Das ist jedenfalls das Ziel, das die Regierung der Operation »Gegossenes Blei« gesetzt hat und von dem sie sich auch durch eine Vielzahl von internationalen Protesten nicht abbringen lässt: Am Mittwoch lehnte das Kabinett einen Waffenstillstand, auch einen ganz kurzen, kategorisch ab. Man habe bisher mehr erreicht als erwartet und werde die Sache nun zu Ende bringen, auch wenn das möglicherweise einen langen Kampf bedeute, sagt Regierungssprecher Mark Regev: »Genug ist genug«, wiederholte er einmal mehr den Slogan dieser Tage, »unsere Bürger in der Nachbarschaft Gazas haben lange genug gelitten.«

Diese Botschaft, sagt Regev, da sei er sich ganz sicher, werde auch im Ausland verstanden. Doch die internationalen Reaktionen sprechen eine andere Sprache: Fast ganz Asien, die arabische Welt sowieso, die Vereinten Nationen, die EU haben sich gegen die Militäroperation mit jenem poetischen Namen ausgesprochen, der übrigens vergeben wurde von einem Regierungsausschuss, der nichts anderes tut, als Namen für derartige Ereignisse zu finden.

Denn die hohe Zahl an Todesopfern hat ihre Wirkung auf die Öffentlichkeit im Ausland nicht verfehlt: In vielen Ländern gibt es nahezu täglich Demonstrationen. Dass Israels Regierung sich davon nicht beirren lässt, hat zwei Gründe: Das Militär argumentiert, dass die Hamas einen Waffenstillstand dazu nutzen würde, ihre im Moment reichlich chaotischen Reihen zu schließen und ihre Waffenlager aufzufüllen. Und die eigene Öffentlichkeit steht weitgehend hinter dem Militäreinsatz -- und das ist aus Sicht von israelischen Regierungspolitikern im Wahlkampf das einzige, was zählt.

Kritische Stimmen sind derzeit selten und mahnen vor allem vor übertriebener Euphorie: »Je länger eine Operation dauert, desto mehr kann schiefgehen«, kommentiert Ron Sofer in der Zeitung »Jedioth Ahronoth«, und der Autor Amos Oz schreibt im gleichen Blatt, Israel werde durch eine Bodenoffensive nichts weiter gewinnen, als im »Sumpf Gazas« stecken zu bleiben. Es werde kein Regime kommen, das Israel sympathisch gegenübersteht.

* Aus: Neues Deutschland, 2. Januar 2009


Zurück zur Gaza-Seite

Zur Israel-Seite

Zurück zur Homepage