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Erdogan droht

Türkischer Ministerpräsident will Gaza-Hilfsflotten von Kriegsschiffen begleiten lassen. Empörte Reaktionen in Israel

Von Karin Leukefeld *

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan will zukünftige Gaza-Hilfsflotten von Kriegsschiffen begleiten lassen. Gegenüber dem arabischen Fernsehsender Al-Dschasira kündigte er am Donnerstag abend an, die türkische Marine werde nicht zulassen, »daß solche Schiffe nochmals Ziel von Angriffen Israels werden«. Die Türkei behalte sich das Recht vor, die territorialen Gewässer im östlichen Mittelmeer zu kontrollieren. Als Reaktion auf einen UNO-Bericht, der die israelische Erstürmung der »Mavi Marmara« Ende Mai 2010 untersucht hatte, hatte die Türkei zuvor bereits den israelischen Botschafter in Ankara ausgewiesen und die militärische Zusammenarbeit mit Israel ausgesetzt. Auch die Handelsbeziehungen sollen eingefroren werden. Der türkische Verkehrsminister Binali Yildirim bezeichnete das Verhalten der israelischen Armee als »nichts anderes als das, was die somalischen Piraten im Golf von Aden tun«. Es sei ein Verstoß gegen das internationale Seerecht.

In Israel und bei seinen Verbündeten ist die Ankündigung Erdogans auf scharfe Kritik gestoßen. Der für geheimdienstliche Operationen zuständige Minister Dan Meridor sprach im Armeeradio von einer »schlimmen und schwierigen« Äußerung Erdogans. Sollte die Türkei versuchen, die Seeblockade zu durchbrechen, würde sie das Völkerrecht verletzen. Schließlich habe der UNO-Bericht die Blockade als legitim anerkannt. Ein namentlich nicht genannter Regierungsvertreter sprach gegenüber der Nachrichtenagentur AFP von einer »sehr schweren Provokation«. Der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak reagierte hingegen gelassen. Die Türkei sei »kein Feind Israels«, in beiden Staaten wisse man, wie »wichtig man für den Westen« sei. »Das eigentliche Problem in dieser Region ist für den Westen Syrien und was in Ägypten und im Iran geschieht«, meinte Barak. Außenminister Avigdor Lieberman drohte zugleich mit Strafmaßnahmen gegen die Türkei. So werde man die Zusammenarbeit mit den Armeniern vertiefen und auf der internationalen Ebene für die Anerkennung des Holocaust an den Armeniern plädieren, zitierte ihn die die israelische Tageszeitung Yedioth Ahronoth. Außerdem werde er sich mit den kurdischen Rebellen in Europa treffen, um mit diesen »Kooperation und Unterstützung auf allen möglichen Ebenen« zu besprechen. Erdogan müsse einsehen, so Lieberman weiter, daß »es sich nicht auszahlt, wenn man sich mit Israel anlegt«.

Der UNO-Bericht hatte zwar den Einsatz der israelischen Armee gegen die Gaza-Hilfsflotte am 31. Mai 2010, bei dem neun türkische Aktivisten getötet worden waren, als »exzessiv« und »unverhältnismäßig« bezeichnet, gleichzeitig aber die Seeblockade des Gazastreifens durch Israel als legal bewertet. Die Türkei hat angekündigt, Israel wegen der Blockade des Gaza­streifens vor dem Internationalen Strafgerichtshof anzuklagen.

In der kommenden Woche wird Erdogan auf Einladung des Generalsekretärs der Arabischen Liga, Nabil Al-Arabi, beim Außenministertreffen in Kairo sprechen. Dort wird er vermutlich die arabischen Staaten auffordern, bei der UNO-Vollversammlung für die Anerkennung des palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967 zu stimmen.

* Aus: junge Welt, 10. September 2011


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