Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Gegossenes Blei" für den Wahlgewinn

Zufriedenheit bei Israels führenden Parteien

Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *

Nach dem Beginn des Waffenstillstandes im Gaza-Streifen glauben die meisten israelischen Politiker, die Ziele der Operation »Gegossenes Blei« seien erreicht worden. Doch Strategieexperten warnen vor übertriebenem Optimismus: Die Hamas werde sich schnell wieder erholen.

Nein, von Euphorie kann keine Rede sein in den Büros des israelischen Parlamentes, der Knesset, oder den Parteizentralen, wo der Wahlkampf für die vorgezogenen Wahlen am 10. Februar auf vollen Touren läuft. »Es herrscht die Ansicht vor, dass das Militär seine Sache richtig gemacht hat und Optimismus, dass dieses Mal dauerhaft Ruhe im Süden einkehrt«, erläutert ein Mitarbeiter des rechtskonservativen Likud-Blocks. Er fügt hinzu, man bedauere allerdings ein bisschen, dass sich nun ausgerechnet die linken und zentristischen Gegner von Likud, also die Arbeiterpartei von Verteidigungsminister Ehud Barak und die derzeitige Regierungspartei Kadima, von Außenministerin Zippi Livni geleitet, einen großen Erfolg auf die Fahnen schreiben können.

Das tun beide in der Tat zur Zeit mit großem propagandistischen Getöse. Die Ziele der Operation im Gaza-Streifen seien weitgehend erreicht, heißt es aus beiden Parteizentralen. Man habe der Hamas einen Schrecken eingejagt, der ihr für lange Zeit in den Knochen stecken und sie vom Abschießen von Raketen auf Israel abhalten werde. Nun könne man gelassen in die Wahlen gehen. Vor allem Barak präsentiert sich nun als neue starke Führungspersönlichkeit Israels.

Aber ob die Operation »Gegossenes Blei« – rein militärisch gesehen – wirklich ein solch großer Erfolg war und ob der Waffenstillstand im Sinne der israelischen Strategie tatsächlich zur rechten Zeit kam, das ist in Israel dennoch umstritten. Die Linke hat sich, aufgeschreckt durch die hohe Zahl der Todesopfer auf der palästinensischen Seite, von der Arbeiterpartei distanziert und somit eine Mitte-Links-Koalition nach den Wahlen recht unwahrscheinlich werden lassen.

Medien und Experten warnen unterdessen davor, die Sache zu optimistisch zu sehen: »Man kann die Hamas nicht abschrecken«, sagt Isser Harel von der Zeitung »HaAretz«, »anders als bei einer Armee sind die Waffen günstig und leicht herzustellen, die Infrastruktur lässt sich leicht wieder aufbauen und wenn ein Anführer getötet wird, dann wird er schnell ersetzt.«

Nach Ansicht seines Kollegen Yoav Benisri von der Zeitung »Jedioth Ahronoth« deutet vieles darauf hin, dass sich die radikalislamische Organisation einfach dazu entschlossen hat, sich zurückzulehnen und abzuwarten, was nun geschehe: »Die hoffen darauf, dass wenigstens einige ihrer Forderungen nun erfüllt werden, weil Arbeiterpartei und Kadima Ruhe im Süden brauchen, um im Wahlkampf ihren Erfolg zu festigen.«

Doch auch im Parlament gibt es einige Unzufriedenheit mit dem Ergebnis von »Gegossenes Blei«. Während der Likud-Block als größte rechte Partei und Anwärter auf eine Führungsrolle innerhalb einer künftigen Koalition Signale der nationalen Einheit in großer Zahl aussendet und die »perfekte Zusammenarbeit der Vertreter von Regierung und Opposition in Zeiten des Krieges« (so der Likud- Vorsitzende und Ex-Ministerpräsident Benjamin Netanjahu) lobt, ist man noch ein Stück weiter rechts immer noch nicht zufrieden.

Es sei zwar schön, dass jetzt endlich Ruhe herrsche, aber viel besser wäre es gewesen, wenn das Militär gleich den gesamten Gaza-Streifen wieder besetzt und jeglichem Raketenbeschuss damit dauerhaft ein Ende bereitet hätte, meint man dort. »Die Räumung der Siedlungen in Gaza hat eine Katastrophe über fast eine Million unserer Bürger gebracht«, sagt Zwi Hendel von Mafdal, einem rechten Parteienbündnis: »Nun wäre es an der Zeit, dieses Übel zu beheben.«

* Aus: Neues Deutschland, 23. Januar 2009


Der Frieden im Nahen Osten kommt nicht von allein

Aktivistin aus Nazareth befürchtet Stärkung der Rechten in Israel **

* Nabila Espanioly ist israelische Staatsbürgerin palästinensischer Nationalität und lebt in Nazareth. 1989 gründete sie das »Frauenzentrum Al-Tufula«. Sie ist gleichfalls Gründungsmitglied des in Haifa ansässigen Mossawa-Zentrums zur Förderung der Rechte arabischer Bürger in Israel. 2003 erhielt sie in Anerkennung ihrer Bemühungen um die Förderung der Menschenrechte im Nahen Osten den Aachener Friedenspreis. Mit ihr sprach für das "Neue Deutschland" (ND) Roland Etzel.

ND: Zwischen der Hamas und Israel schweigen jetzt schon fünf Tage die Waffen. Wie bewerten Sie das?

Nabila Espanioly: Ich hoffe, es bleibt so. Aber das zerstörte Land muss jetzt wieder aufgebaut werden.

Wie soll es politisch weitergehen?

Ich denke, die wichtigste politische Frage ist jetzt, wie viel Verantwortung die Europäer und die Amerikaner für die Lage im Nahen Osten übernehmen. Ich bin sicher, Israelis und Palästinenser können das allein nicht schaffen. Zunächst muss es eine internationale Hilfsaktion für die Menschen geben. Gleichzeitig müssen die Verhandlungen fortgesetzt werden.

Glauben Sie, dass dieser Krieg in Israel das Verhältnis zwischen seinen arabischen und jüdischen Bürgern verändert hat?

Das denke ich schon. Der Krieg hat die Beziehungen beeinträchtigt. Die rechten Kräfte haben Positionen gewonnen. Und deshalb werden jene Stimmen lauter, die diese Beziehungen noch weiter verschlechtern wollen. Ich bin sicher, die allgemeine politische Lage zur Zeit ist nicht gut für mehr Anerkennung der Palästinenser als gleichberechtigte Bürger innerhalb Israels. Im Gegenteil, es wird versucht, uns aus dem gesamten demokratischen System herauszudrücken. Zum Beispiel sollen zwei arabische Parteien von der kommenden Wahl ausgeschlossen werden. Ich denke, so etwas beeinträchtigt die Beziehungen zwischen den Bürgern innerhalb Israels erheblich.

Außenministerin Zipi Livni hat kürzlich erklärt, wenn es eine Zwei-Staaten-Lösung gibt, dann wäre sie dafür, dass alle Palästinenser in jenem für sie zu schaffenden Staat leben, auch die israelischen. Das würde bedeuten, auch Sie müssten dann Israel verlassen.

Ich denke, das ist eine rassistische Aussage. Ich wohne hier in meinem Heimatland, Nazareth war und bleibt immer meine Heimatstadt, ich werde sie nicht verlassen. Nazareth und alle arabischen Dörfer und Städte hier ringsum existierten schon lange, bevor Livni oder ihre Vorfahren hierherkamen. Wir haben eine Geschichte, und wir sind Teil von diesem Land und seiner Geschichte.

Meinen Sie, dass eine derartige Aussage vielleicht nur eine der in Wahlkämpfen üblichen Überspitzungen ist?

Solche rassistischen Aussagen müssen überall in der Welt sehr, sehr ernstgenommen werden. Ich habe kein anderes Land, meine Familie ist seit mindestens 2000 Jahren hier. Wir haben eine Geschichte als Palästinenser, als Christen, als Araber. Nazareth ist eine der ältesten Städte der Welt, in der meine Familie tief verwurzelt ist. Mein Recht, hier zu leben, ist nicht von Zipi Livni gekommen, und sie kann es auch nicht in Frage stellen.

Sind Sie trotzdem für eine Zwei-Staaten-Lösung?

Als Palästinenser und als Friedensaktivisten innerhalb Israels arbeiten wir schon lange Jahre für zwei Staaten. Sie wären die beste Möglichkeit des Zusammenlebens.

Was glauben Sie: Welche Parteien werden die arabischen Israelis wählen am 12. Februar?

Ich denke, die Palästinenser innerhalb Israels sind eine Gemeinschaft mit verschiedenen politischen Meinungen. Ich hoffe, dass sie mehr und bewusster die Wahl nutzen, um ihre Interessen zu vertreten. Das würden sie z. B., wenn sie die Demokratische Front für Frieden und Gleichberechtigung (Chadasch*[1]) wählen. Aber ich lebe nicht auf dem Mond und weiß, dass es auch Araber gibt, die die Livni-Partei wählen, leider.

Haben Sie die Hoffnung, dass mit dem Regierungswechsel sowohl in Israel als auch in den USA die Lösung des Nahostproblems schneller vorankommt?

Ich denke, es gibt ein Interesse von den USA und auch in Europa, den Konflikt zwischen Israel und Palästina zu lösen. Die Frage, wie er gelöst wird, liegt auch darin, welche Regierung wir haben werden. Bei dem gegenwärtigen Klima in Israel sieht es aber dafür nicht so gut aus. Die Rechten werden stärker in Israel. Und das bedeutet, die Stimmen für den Frieden werden schwächer.

Sie sind also pessimistisch.

Nein, ich hoffe, und meine Hoffnung basiert auf meiner politischen Arbeit. Aber ich bin kein Mensch, der glaubt, die Sachen kommen von alleine. Ich denke, wir haben eine sehr wichtige Rolle als Araber und Juden, diesen Frieden zu suchen.

Werden Sie sich selbst im Wahlkampf engagieren?

Wie gesagt, ich bin ein politischer Mensch. Ich bin in der Friedensbewegung in Israel, ich bin in der Chadasch, in der ich mit Gleichgesinnten für diese Ziele zusammenarbeiten kann.

[1] Chadasch ist eine antizionistische, linke Partei, in der Kommunisten eine wichtige Kraft darstellen. Sie ist die einzige Parlamentspartei Israels, die arabische und jüdische Mitglieder vereint.

** Aus: Neues Deutschland, 23. Januar 2009


Zurück zur Gaza-Seite

Zur Israel- Seite

Zur Nahost-Seite

Zurück zur Homepage