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Botschaft der Solidarität - Neuerliches Hilfsschiff für Gaza gestoppt

Erklärung der Kampagne "Jüdisches Schiff nach Gaza" / Gespräch mit Reuven Moskovitz


Letzte Meldung

Israel: jüdisches Gaza-Hilfsschiff gestoppt

Die israelische Marine hat am Dienstag (28.Sep.) ein Hilfsschiff für den Gazastreifen ohne Blutvergießen gestoppt. Die zehn jüdischen Aktivisten an Bord der Segeljacht "Irene" leisteten keinen Widerstand, wie die israelische Armee mitteilte. Der mit Hilfsgütern beladene Katamaran wurde in den Hafen von Aschdod geschleppt. Ende Mai waren neun Aktivisten getötet worden, als israelische Soldaten das türkische Schiff "Mavi Marmara" erstürmten. An Bord der "Irene", die am Sonntag (26. Sep.) von Zypern aus in See gestochen war, befanden sich Israelis und internationale jüdische Aktivisten. Das Schiff, das unter britischer Flagge segelte, war mit symbolischen Hilfsgütern für die Bevölkerung in Gaza beladen. Die Fracht bestand unter anderem aus Kinderspielzeug, Schulbüchern und orthopädischen Prothesen. Internationale Hilfsgüter können inzwischen wieder auf dem Landweg in den Gazastreifen gebracht werden, Israel hält jedoch eine Seeblockade des Palästinensergebiets am Mittelmeer weiter aufrecht.
Nachrichtenagenturen, 28. September 2010



Botschaft der Solidarität

Erklärung der Kampagne "Jüdisches Schiff nach Gaza - Zwei Völker, eine Zukunft": *

Ein Schiff, organisiert von jüdischen Gruppen weltweit und beladen mit Hilfsgütern für die Bevölkerung Gazas, hat den Hafen von Famagusta/Zypern am 26. September 2010 um 13.30 Uhr Ortszeit verlassen. Das Schiff mit dem Namen Irene (Frieden) segelt unter britischer Flagge und hat einschließlich der Crew zehn Personen an Bord. Unter ihnen befinden sich Juden aus den USA, Großbritannien, Deutschland und Israel sowie zwei britische Journalisten.

Zum Zeitpunkt einer Krisensituation der Friedensgespräche fordern Juden und Israelis die Beendigung der Blockade und der Okkupation!

Die Schiffsfracht besteht aus in Gaza dringend benötigten Hilfsgütern wie Kinderspielzeug, Schulbüchern, Fischernetzen für die Fischer von Gaza und Prothesen für die orthopädische Behandlung in dortigen Krankenhäusern. Diese Hilfe kann jedoch wegen der Größe des Boots nur symbolischen Charakter haben. Die Fracht ist für das Gaza Community Mental Health Programme und seinen Leiter, den Psychiater Dr. Eyad Sarraj, bestimmt.

Das Schiff wird versuchen, die Küste Gazas zu erreichen, um dort in einem symbolischen Akt der Gewaltfreiheit und Solidarität das Hilfsmaterial zu entladen. Es ruft zum Ende der Belagerung, zum freien Zugang von Gütern und für Bewegungsfreiheit der Menschen von und nach Gaza auf.

Das Schiff wird Friedenswimpel in den Farben des Regenbogens hissen. Sie tragen die auf Friedenstauben geschriebenen Namen zahlreicher Juden, die diese Aktion unterstützen, und symbolisieren damit die weitverbreitete Solidarität von Juden in aller Welt. In London erklärte Richard Kuper von der organisierenden Gruppe »Jews for Justice for Palestinians« (Juden für Gerechtigkeit für Palästinenser), das »Jüdische Schiff nach Gaza« sei ein symbolischer Akt des Protestes gegen die israelische Okkupation palästinensischen Territoriums und die Belagerung von Gaza. Es trage eine Botschaft der Solidarität mit Palästinensern und Israelis, die sich für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen. »Nicht alle Juden unterstützen die Politik der israelischen Regierung«, sagte Kuper. »Wir rufen die Regierungen und Menschen in aller Welt auf, sich gegen Besatzung und Belagerung zu wenden und zu handeln.«

Zur Frage drohender Abfangaktionen der israelischen Marine erklärte Kuper: »Dies ist eine gewaltfreie Ak­tion. Unser Ziel ist es, nach Gaza zu gelangen, aber unsere Aktivisten werden sich auf keine gewalttätige Konfrontation einlassen. Sie werden den Israelis keinerlei Vorwand bieten, sie - mit welcher Begründung oder welchem Vorwand auch immer - zu überfallen oder Gewalt gegen sie anzuwenden.

* Aus: junge Welt, 28. September 2010


"Das Gesicht des humanen Judentums zeigen"

Das "Jüdische Schiff" ist mit Hilfsgütern nach Gaza unterwegs. Zur Fracht gehört auch ein Karton mit Mundharmonikas. Gespräch mit Reuven Moskovitz **

Der 1928 in Rumänien geborene Israeli Reuven Moskovitz ist Überlebender der Judenvernichtung durch die deutschen Faschisten. Das Interview wurde vor dem Auslaufen geführt.

Am Sonntag (26. Sep.) ist das »Jüdische Schiff« von Zypern aus mit Hilfsgütern nach Gaza aufgebrochen - einer der vielen Mitreisenden sind Sie. Warum haben Sie sich dazu entschlossen?

In Rumänien habe ich miterlebt, wie die einheimischen Faschisten damals mit den Nazis kollaborierten. Ich fand mich plötzlich in einem Getto wieder, ich habe buchstäblich meine Kindheit verloren. Schon früh wurde mir klar, daß ich mein Leben lang gegen Verfolgung, Unterdrückung und Diskriminierung kämpfen würde.

Ich war 19 Jahre alt, als ich 1947 nach Israel auswanderte, ich lebte als zionistisch-sozialistischer Pionier dann in Galiläa in einem Kibbutz. Sehr bald wurde ich aber mit systematischen ethnischen Säuberungen konfrontiert, mit Massakern, Enteignung und Vertreibung unserer palästinensischen Nachbarn.

Wie war Ihre Reaktion darauf?

Viele von uns Einwanderern waren erschüttert und schlossen sich der damaligen Friedensbewegung um Martin Buber an. Es ging uns um die gegenseitige Anerkennung und die Gleichberechtigung der palästinensischen und jüdischen Bewohner des Landes. Die einzige Partei, die das Recht der palästinensischen Flüchtlinge auf Rückkehr anerkannte, war übrigens die KP Israels.

Obwohl ich durch und durch säkular bin, stehe ich in der Tradition des Judentums, die u.a. besagt, daß nicht derjenige ein Held ist, der tötet, sondern derjenige, der alles daran setzt, seinen Feind zum Freund zu machen. Das »Jüdische Boot« ist ganz in diesem Sinne, ich verstehe es als ein Mittel dazu.

Israel hat sich im Nahen Osten zu einer Supermacht entwickelt, die den Palästinensern jede Selbstbestimmung vorenthält. Ich habe nie vergessen, wie in den 50er Jahren die ursprünglichen Bewohner des Landes vertrieben wurden. Viele von ihnen flohen damals nach Gaza, einem Küstenstreifen mit damals einigen zehntausend Bewohnern; heute sind es 1,5 Millionen - eingepfercht in diesen schmalen Landstreifen, der eher ein Gefängnis oder ein Getto ist.

1967 mußte ich in Ramallah als Soldat erleben, wie unsere Armee palästinensische Kinder drangsalierte - so etwas hatte ich ja in Rumänien am eigenen Leib erlebt. Ich kümmerte mich um einige dieser Kinder und gab ihnen von meiner Lebensmittelration ab. Dafür schenkten sie mir eine Mundharmonika, auf der ich heute noch bei vielen Gelegenheiten spiele: Palästinensische, israelische oder auch traditionelle jüdische Friedenslieder.

Ich freue mich daher besonders, daß wir auf unserem Schiff auch einen Karton Mundharmonikas für Gaza dabei haben. Andere Musikinstrumente übrigens auch.

Es scheint, daß sich Israel in den vergangenen Jahren noch mehr Feinde gemacht hat, als es zuvor schon hatte ...

Es ist allenthalben von »Menschenrechten«, »Reisefreiheit«, »Bildung« etc. die Rede. Um so unerträglicher ist es da für mich, miterleben zu müssen, wie Gaza durch Israel blockiert wird -all das wird den Menschen dort nämlich vorenthalten. Ich bin aber Bürger des Staates, der dies zu verantworten hat - und den ich mit aufgebaut habe! Deshalb begebe ich mich auf diese Seerreise nach Gaza, trotz meines Alters, egal welche Konsequenzen das für mich hat. Es geht mir auch darum, das andere Gesicht des Judentums, das des Humanismus, zu zeigen.

Das »Jüdische Schiff« fährt nicht gemeinsam mit der großen internationalen Flotille, die noch vor Ende des Jahres nach Gaza aufbrechen soll. Warum nicht?

Wir sind eine Facette der vielfältigen Aktionen, die die Isolierung Gazas durchbrechen sollen, ich bin jedem dankbar, der sich daran beteiligt. Es hat mich sehr erschüttert, daß der internationalen Flotille, die Ende Mai von israelischen Soldaten so grausam überfallen wurde, unterstellt wurde, sie fördere den Terrorismus. Ich hoffe, daß es im Fall des »Jüdischen Schiffs«" nicht so leicht möglich sein wird, der Öffentlichkeit solche absurden Verleumdungen aufzutischen.

Interview: Sophia Deeg

** Aus: junge Welt, 28. September 2010


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