Neuer Piratenakt
Die israelische Marine kaperte das "Jüdische Boot", das Spielzeug, Lehrmaterial und andere Hilfsgüter nach Gaza bringen sollte
Von Karin Leukefeld *
Erneut hat die israelische Marine ein Boot gekapert, das Hilfsgüter in den belagerten Gazastreifen bringen wollte. Der Katamaran »Irene« fuhr unter britischer Flagge und hatte neben neun jüdischen Friedensaktivisten aus den USA, Großbritannien, Deutschland und Israel auch einen israelischen Journalisten an Bord. Die Ladung bestand aus Spielzeug, Lehrmaterial, Instrumenten und Ersatzteilen. Nachdem israelische Kriegsschiffe den Segler am Dienstagmorgen rund vier Stunden lang aus etwa zwei Meilen Entfernung beschattet hatten, enterten die Soldaten gegen 13 Uhr das Boot und schleppten es in den israelischen Hafen Aschdod. Nach letzten Mitteilungen von der »Irene« befand sich das Boot etwa 20 Seemeilen von der palästinensischen Küste entfernt. Palästinensische Hoheitsgewässer beginnen zwölf Seemeilen vor der Küste, Israel hat allerdings einseitig eine Blockade verhängt, die bereits 20 Seemeilen vor der Küste beginnt und bis fünf Seemeilen vor die Küste reicht. Nach Belieben verändert Israel das Ausmaß der Blockade.
Die »Irene« war im Auftrag jüdischer Organisationen aus Deutschland, England, Australien und den USA unterwegs in den Gazastreifen. Ihr Anliegen, das von der israelischen Regierung denunziert wird, ist der Kampf um »Frieden für zwei Völker in einem Land«. Richard Kuper von den europäischen Juden für einen gerechten Frieden verurteilte (in London) den israelischen Piratenakt und wies darauf hin, daß das Boot und sein Schicksal »ein Symbol für die Möglichkeit von Frieden in der Region« seien. »Die Art und Weise, wie das Boot von den israelischen Behörden behandelt wird, zeigt, daß sie nicht wirklich an einem Frieden interessiert sind«, so Kuper.
Solche Provokationen führten zu nichts und leisteten auch keinen Beitrag zu einem Abkommen mit den Palästinensern. Das israelische Militär hatte von Anfang an erklärt, das Schiff auf jeden Fall zu stoppen.
Die Passagiere an Bord seien »die Aktivsten der Aktiven«, sagte Kate P. Katzenstein-Leiterer von der deutschen Gruppe »Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost« im Interview mit jW. Reuven Moskovitz ist Holocaust-Überlebender und Mitbegründer des jüdisch-arabischen Dorfes Neve Shalom/Wahad al Salam (Oase des Friedens). Rami Elhanan stammt aus Israel und ist Mitbegründer der israelisch-palästinensischen Organisation »Familien der Leidtragenden«. Er verlor seine Tochter Smadar 1997 bei einem Selbstmordattentat. Die Psychoanalytikerin Lilian Rosengarten floh vor den Faschisten aus Deutschland in die USA, der Brite Glyn Secker, Kapitän des Schiffes, ist ebenfalls jüdischer Friedensaktivist. Die Brüder Itamar und Yonatan Shapira stammen aus Israel, letzterer war Pilot der israelischen Luftwaffe, bevor er sich den »Kämpfern für den Frieden« anschloß. Carole Angier ist Biographin des früheren israelischen Botschafters in der BRD, Avi Primor, und die deutsche Judaistin Edith Lutz war 2008 an Bord des ersten Schiffes, das nach Gaza gelangte. Außerdem gehören dazu die britische Lehrerin Alison Prager und der israelische Journalist von Channel10/News, Eli Osherov.
Die jüdischen Friedensaktivisten werden voraussichtlich in Aschdod verhaftet. Diejenigen, die einen israelischen Paß haben, müssen mit einer Haftstrafe rechnen; die anderen könnten nach einigen Tagen ausgewiesen werden.
* Aus: junge Welt, 29. September 2010
Hamas setzt auf Widerstand
Erklärung zum 10. Intifada-Jahrestag / Lieberman verhöhnt Abbas **
Die Hamas-Organisation hat am Dienstag anlässlich des 10. Jahrestages des palästinensischen
Volksaufstandes (Intifada) angekündigt, ihren Widerstand gegen Israel fortzusetzen.
Währenddessen verhöhnte der israelische Außenminister Lieberman Palästinenser-Präsident
Mahmud Abbas und warf ihm Zeitverschwendung vor.
Die Intifada war am 29. September 2000 ausgebrochen, nachdem
Friedensverhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern in Camp David (USA) gescheitert
waren. Einen Tag zuvor hatte der israelische Oppositionsführer Ariel Scharon den Tempelberg in der
Altstadt von Jerusalem besucht, was von den Palästinensern als Provokation aufgefasst wurde. Als
Folge der Gewalt kamen nach Angaben der israelischen Menschenrechtsorganisation Betselem
6371 Palästinenser sowie 1083 Israelis ums Leben.
Israel, die Palästinenserführung in Ramallah sowie die im Gazastreifen herrschende Hamas
bewerten den Jahrestag unterschiedlich. »Der sehr hohe Preis, den unsere Menschen bezahlt
haben, ist ein Beweis für die Brutalität der Besatzungsmacht und deren Verbrechen«, heißt es in
einer Erklärung des palästinensischen Informationsministeriums. »Der Kampf gegen die Besatzung
ist nicht vorbei, sondern hat nur eine andere Form angenommen.« Ziel bleibe ein unabhängiger
Palästinenserstaat mit Ostjerusalem als Hauptstadt.
»Hamas fühlt sich weiterhin den Prinzipien des Widerstandes verpflichtet«, sagte Hamas-Sprecher
Radwan. »Wir rufen die Unterhändler auf: Hört auf die Stimme des Volkes, das die Verhandlungen
ablehnt. Diese Gespräche ermutigen nur den Feind, mehr Verbrechen gegen unsere Menschen zu
begehen«.
«Die Entscheidung für Gewalt statt Verhandlungen war ein großer Fehler der Palästinenser«, sagte
der israelische Außenamtssprecher Jigal Palmor. »Direkte Verhandlungen mit Israel sind der einzige
Weg, um einen realen und gerechten Frieden mit Israel zu erreichen, der beiden Völkern dient.
Leider haben einige Palästinensergruppen diese einfache Lektion noch nicht gelernt und fördern
stattdessen weiterhin Gewalt«, sagte Palmor.
Im Streit um den Baustopp für jüdische Siedlungen im Westjordanland hat Israels Außenminister
Avigdor Lieberman den Palästinensern Zeitverschwendung vorgeworfen. Lieberman sagte am
Montag nach einem Treffen mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in New York, die
palästinensischen Unterhändler hätten »neun Monate lang Zeit verschwendet« und sich geweigert,
das Moratorium als »Geste des guten Willens« anzunehmen. »Die wichtigste Sache ist jetzt, den
politischen Prozess ungeachtet unserer Differenzen fortzuführen«, sagte Lieberman. Der Baustopp
für jüdische Siedlungen im Westjordanland war in der Nacht zum Montag nach zehn Monaten
ausgelaufen, die Bauarbeiten wurden umgehend wieder aufgenommen. Israel musste am Montag
internationale Kritik für seine unnachgiebige Haltung beim Siedlungsbau einstecken.
Bei einem israelischen Angriff auf den Gazastreifen sind drei Palästinenser getötet worden. Der
Angriff sei am Montagabend in der Nähe des Lager El Bureidsch im Süden des Gazastreifens
erfolgt, hieß es von palästinensischen Ärzten. Bei den Getöteten handele es sich um Mitglieder der
El-Kuds-Brigaden, dem militärischen Arm der radikalen Palästinenserorganisation Islamischer
Dschihad.
** Aus: Neues Deutschland, 29. September 2010
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