Streitfrage: Dürfen Linke sich mit dem "Free Gaza"-Schiffskonvoi solidarisieren?
Eine Kontroverse zwischen Katja Kipping (MdB Die Linke) und Norman Paech (Ex-MdB Die Linke)
Seit Wochen tobt ein Streit in der Linkspartei über ihre Position zum Palästina-Konflikt. Wieder einmal. Auslöser waren dieses Mal ein antisemitisches Flugblatt, das auf der Internetseite der Duisburger LINKEN verlinkt wurde, und eine Studie, die der Partei Antisemitismus unterstellte. Als Reaktion darauf fasste die Bundestagsfraktion am 7. Juni einen Beschluss, in dem es unter anderem heisst: »Wir werden uns weder an Initiativen zum Nahost-Konflikt, die eine Ein-Staaten-Lösung für Palästina und Israel fordern, noch an Boykottaufrufen gegen israelische Produkte noch an der diesjährigen Fahrt einer ›Gaza-Flottille‹ beteiligen.«
Im Mai 2010 war ein erster Schiffskonvoi Richtung Gaza-Streifen gestartet. Ziel sollte sein, die Blockade des Küstenstreifens durch Israel zu durchbrechen und Hilfsgütern nach Gaza zu bringen. Die Schiffe wurden von der israelischen Armee aufgebracht und neun Menschen getötet. Derzeit ist ein neuer ein Konvoi Richtung Gaza – die »Freedom-Flottilla II« – gestartet.
Das "Neue Deutschland" brachte unter der Rubrik "Debatte" zwei kontroverse Beiträge, die wir im Folgenden dokumentieren.
Keine Bündnisse mit Kriegstreibern
Von Katja Kipping *
Israel von der Landkarte streichen – das war das Ziel mehrerer Teilnehmenden der ersten Gaza-Flotille. Eine der treibenden Kräfte der Flottille ist die islamistische Organisation IHH. IHH-Chef Bülent Yildirim sprach offen Israel das Existenzrecht ab: »Wir haben keine Probleme mit Juden, aber wir haben ein Problem mit einem Platz. ... Unser Problem ist der Zionismus, der wie ein Virus die Menschheit befallen hat.« Bei der Abfahrt wurden von diesen Gruppierungen antisemitische Gesänge angestimmt. Das ist unerträglich. Es darf keine zweite Beteiligung von LINKEN an solchen Bündnissen geben. Das Motto lautet: Augen auf bei der Bündnispolitik!
Bei den Montagsdemos gegen Hartz IV war es eine Selbstverständlichkeit, die Beteiligung der NPD zu verhindern. Wir wollten das Zeichen »Weg mit Hartz IV!« eben nicht gemeinsam mit Neo-Nazis setzen. Eine solche klare Grenzziehung zu fragwürdigen Organisationen wird bei der Flottille unterlassen. Ohne Frage, keine der linken Abgeordneten, die sich an der Flottille beteiligten, tat dies in antisemitischer Absicht. Gegen solche Vorwürfe werde ich sie verteidigen. Das ändert nichts an ihrer Beteiligung an einer inakzeptablen Bündnispraxis. Stets gilt es, kritisch zu prüfen, wem man mit seiner eigenen Bekanntheit moralische Deckung gibt.
Ein Argument für die Flottille lautet: Sie sei eine humanitäre Aktion. Aber gab es keinen anderen Weg, die Hilfsgüter zu den von der Blockade Betroffenen zu bringen? Israel hatte angeboten, die Güter im Hafen zu löschen und dann nach Gaza zu transportieren. Dies wurde jedoch von der Hamas abgelehnt. Hintergrund des israelischen Angebots war die Sorge, dass sich unter den Hilfsgütern auch Waffen befänden. Diese Sorge ist nicht unbegründet: Schließlich werden israelische Zivilisten-Innen regelmäßig aus dem Gazastreifen heraus mit Raketen und Granaten angegriffen.
Die Position der LINKEN zum Nahost-Konflikt ist klar: Sie setzt sich für eine Zwei-Staaten-Lösung und für eine friedliche Lösung des Konflikts ein. Für sie ist das Existenzrecht des Staates Israel genauso unantastbar, wie das Recht darauf, die israelische Regierung zu kritisieren, wenn sie die Gewaltspirale weiter dreht. Diese friedensorientierte Position hat Konsequenzen für die Bündnispolitik: Unsere Partner sind die friedensorientierten Kräfte in Israel und Palästina, die aus der Gewaltspirale raus wollen. Die Tauben und nicht die Falken. Das hat die Fraktion kürzlich in ihrem Beschluss präzisiert: An Bündnissen, in denen antisemitische Gruppen am Werk sind (wie die Gaza-Flottille), beteiligt sie sich nicht.
Dieser Beschluss wurde als Verbot kritisiert. Wenn man solche Positionierungen grundsätzlich ablehnt, dann wäre auch die Festlegung gegen Privatisierungen als Denkverbot zu kritisieren. Es gibt viele Streitpunkte, die Ausdruck unserer Pluralität sind. Aber es gibt auch Positionen, die eine Grenzüberschreitung darstellen, z. B. die Position, Israel von der Landkarte zu streichen. Trägt man – und sei es nur aus Höflichkeit – einen Schal mit einer Nahost-Karte ohne Israel, wie Inge Höger auf einer Konferenz, bei der für die Flottille geworben wurde, entsteht damit der Eindruck, die LINKE sei keine Friedenspartei, sondern leiste von latentem Antisemitismus getriebenen Gewaltszenarien im Nahen Osten Vorschub. Das geht nicht.
Um den Konflikt in ein Rechts-Links-Schema zu pressen, wurde das Gespenst mobilisiert, bei dieser Präzisierung unseres friedenspolitischen Profils handele es sich um die Vorbereitung einer Linksregierung. Dies ist eine Unterstellung. Kein Thema mischt die Strömungen so durcheinander, wie der Nahost-Konflikt. Über die Potentiale und Gefahren von Linksregierungen kann man streiten (siehe dazu die Crossover-Ausgabe der Zeitschrift »prager frühling«). Ein Haupthindernis für Rot-Rot-Grün im Bund ist die Außenpolitik von SPD und Grünen: Solange sie Krieg und militärische Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele befürworten und darauf setzen, Menschenrechte durchzubomben, gibt es außenpolitisch keine Zusammenarbeit.
Mit vielen anderen setze ich mich dafür ein, dass die LINKE Friedenspartei bleibt: Es muss wenigstens eine Partei geben, die militärische Gewaltanwendung grundsätzlich ablehnt und stattdessen auf zivile Konfliktlösung, Konfliktprävention im Rahmen einer reformierten UN setzt. Wer sich nun in Bündnisse mit Kräften begibt, die Gewalt aktiv betreiben, die auf Raketen und Bomben setzen, gefährdet die Glaubwürdigkeit der LINKEN. Sei es im Gaza-Streifen oder in Afghanistan.
* Katja Kipping, 1978 in Dresden geboren, ist stellvertretende Bundesvorsitzende der LINKEN und Abgeordnete des Deutschen Bundestages.
Kniefall vor der deutschen Israel-Lobby
Von Norman Paech **
Als die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Gesine Lötzsch, am 1. Juni 2010 die gerade aus Israel ausgewiesenen Abgeordneten ihrer Fraktion begrüßte, war sie noch stolz darauf, dass sich auch die LINKE an der Free-Gaza-Flottille beteiligt hatte. Sie konnte sich auf einen einstimmigen Beschluss des Bundestags berufen, der die Aufhebung der völkerrechtswidrigen Blockade des Gazastreifens durch Israel gefordert hatte. Und Gregor Gysi protestierte »gegen den völkerrechtswidrigen Akt mit Toten und Verletzten« sowie gegen die Seeblockade des Gaza-Streifens. Ein Jahr später zwingt die Fraktion sich selbst, an der nächsten Flottille nicht teilzunehmen. Was war geschehen?
Es hat furchtbare Prügel gegeben im Bundestag. CDU und FDP haben ein obskures Pamphlet benutzt, um gemeinsam mit SPD und Grüne jede kritische Äußerung oder Aktion gegen die wahrlich kriminellen Auswüchse der israelischen Besatzungspolitik in den Topf des Antisemitismus zu werfen und diesen Unflat unter wüsten Beschimpfungen über der Linksfraktion auszuleeren. Plötzlich war der Versuch, die Blockade mit friedlichen Mitteln zu durchbrechen, ein Ausweis des Antisemitismus. Ein vollkommen irrsinniger Vorwurf. Man kann die Aktion als zu gefährlich oder politisch nicht opportun kritisieren, aber in die Schublade des Antisemitismus passt sie ganz und gar nicht.
Zugegeben, der LINKEN war kaum Gelegenheit zur Verteidigung im Plenum gegeben. Aber sie hatte zahlreiche andere Möglichkeiten, sich aus dieser Ecke angemessen zu befreien. Doch sie unterwirft sich nur. Ihre schon so oft wiederholte Verurteilung jeglichen Antisemitismus verbindet sie jetzt sogar mit einem Maulkorb und einem Erlass, der es den Abgeordneten der Linksfraktion verbietet, an zukünftigen Flottillen teilzunehmen. Die Prügel haben gewirkt. Mag es Erpressung durch die Fraktionsspitze oder der Aufstand eines Teils der Fraktion gewesen sein – wahrscheinlich war es beides –, der Erlass hinterlässt eine zerrüttete Fraktion und den peinlichen Eindruck intellektueller Ohnmacht.
Die Fraktion wird es schwer haben, zum Palästinakonflikt je wieder etwas Glaubwürdiges auf die Reihe zu bringen. Sie gesteht sich ihre Bedeutungslosigkeit selbst ein, wenn sie den Anschluss an die sucht, die ihnen die Prügel verpasst haben. Seit Wochen wird ein Antrag in der Fraktion hin und her geschoben, mit dem die Bundesregierung aufgefordert werden soll, im UN-Sicherheitsrat endlich dafür zu sorgen, dass der Goldstone-Bericht über den Gaza-Krieg an den Internationalen Strafgerichtshof überwiesen wird. Warten wir ab.
Es gibt keinen Grund, von Israel nicht die gleichen völkerrechtlichen Pflichten zu verlangen wie von jedem Mitglied in der UNO. Wenn aber die Regierungen und Parlamente nichts außer wohlfeilen Erklärungen unternehmen, um diese Pflichten einzufordern, muss es die vielbeschworene Zivilgesellschaft tun. Denn hier geht es nicht nur um die zukünftige Sicherheit Israels, sondern auch um ein Volk, dessen staatliche Existenz seit über 60 Jahren verhindert wird und das seither unter einer menschenunwürdigen Besatzung leidet.
Jahrzehntelange Diplomatie, ungezählte Sondermissionen und Resolutionen der UNO-Generalversammlung, spektakuläre »Friedens«-Konferenzen – das Arsenal der Politik ist offensichtlich erschöpft. Man akzeptiert die existenzvernichtenden Sanktionen, den ungehinderten Landraub und die kollektive Bestrafung der palästinensischen Bevölkerung im Gaza-Streifen durch Israel, man verbietet jedoch die Diskussion von Sanktionen gegen eine Regierung, die nicht an einem Frieden interessiert ist und die Perspektive eines palästinensischen Staates mit jedem neuen Siedlungsbau und der Vertreibung der angestammten Bewohner zur Farce werden lässt. Die LINKE hat immer die gleiche Verantwortung für Palästina wie für Israel proklamiert – nun hat die Fraktion den Palästinensern einen harten Tritt versetzt.
Wer die Land-, Luft- und Seeblockade des Gaza-Streifens nach wie vor für völkerrechtswidrig hält – und nichts anderes ist sie –, wer den eigenen Beschluss, dass die Blockade aufgehoben werden muss, immer noch für richtig hält, müsste eine friedliche Aktion, die die Blockade durchbrechen will, unterstützen. Niemand braucht an ihr teilzunehmen. Aber es ist ein Gebot der eigenen politischen Glaubwürdigkeit, zumindest diejenigen nicht abzuweisen, die den Versuch auf sich nehmen, das umzusetzen, wovon die Politiker nur reden, aber nicht den Mut haben, selbst für die Durchsetzung zu sorgen.
** Prof. Dr. Norman Paech, Jahrgang 1938, ist Völkerrechtler aus Hamburg und war Teilnehmer der ersten Gaza-Flottille. Er saß zwischen 2005 und 2009 für die Linkspartei im Bundestag.
Beide Beiträge erschienen in: Neues Deutschland, 25. Juni 2011 ("Debatte")
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