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"Für einen gerechten Frieden in Palästina" und damit "für ein wirklich sicheres Israel"

Statement von Georg Meggle zu den Toten auf den Hilfsschiffen für Gaza *

Es gibt heute auf der ganzen Welt Tausende Veranstaltungen wie diese. Weltweit trauern heute Menschen um die Toten auf den Schiffen der Bewegung für ein freies Gaza, allgemeiner: für ein freies Palästina.

Wieder einmal sind wir entsetzt, beschämt und zu Recht empört darüber, was Menschen Menschen antun können. Aber sind wir wirklich überrascht?

Ich nicht. Nicht mehr seit Dezember/Januar 2008/2009. Nicht mehr, seitdem jeder, der Augen hat zu sehen, offenen Auges sehen konnte, was die israelischen Streitkräfte mit Palästinensern machen. Dieser Gazakrieg war das Ende meiner Illusionen über Israel. Geht es um das so genannte Existenzrecht Israels, zählen Menschenleben nichts.

Ich wusste also, was ich tat, als ich mich nach diesem Gaza-Krieg auf die Freiwilligenlisten der Free-Gaza-Movement setzen ließ. Und ich nehme an, dass auch alle andern auf der Liste wussten, worum es dabei geht: Im worstcase um Leben oder Tod.

Das muss man sich vor Augen halten, wenn wir jetzt an unsere GAZA-Movement-Toten denken. Sie sind, auch wenn sie das Leben noch so sehr lieben mochten, nicht blind, sondern letztlich freiwillig in den Tod gegangen, in einen Tod durch Israel.

Das mindert unsre Trauer nicht; es erhöht nur den Respekt, den wir nunmehr diesen Toten schulden.

Sie sind für eine Sache gestorben, die ihnen in letzter Konsequenz wichtiger war als ihr eigenes Leben:
  • Für, um meine eigene Sicht klar zu benennen: für einen gerechten Frieden in Palästina.
  • Für ein Ende der Blockade Gazas.
  • Für ein Ende der israelischen Besatzung.
  • Für ein freies, souveränes Palästina.
  • Für, so jedenfalls auch mein Motiv, für ein wirklich sicheres (weil mit seinen Nachbarn im Frieden lebendes) Israel.
Ich bin, wie Sie wissen, Philosoph. Daher noch ein paar Gedanken ganz grundsätzlicher Art. Worum geht es letztlich?

Die radikale Grundsatzfrage ist diese: Was zählt mehr: Macht oder Recht? Konkreter: Was zählt mehr: Militärische Macht oder Internationales Recht?

Wir haben in der Nacht des 31. Mai wiederum gesehen, worauf Israel schwört. Und doch hoffen wir alle, dass die andere Alternative letztendlich die stärkere ist. Sicher ist jedenfalls: Es wird keinen Frieden geben ohne Recht und Gerechtigkeit. Und insofern Frieden die Basis für Sicherheit ist, heißt das: Es wird keine Sicherheit für Israel geben ohne Recht und Gerechtigkeit auch für Palästina.

Israel sieht das schon lange völlig anders. Es sieht sich im permanenten Ausnahmezustand, reklamiert für sich den "übergesetzlichen Notstand", stellt sich selbst bewusst außerhalb des internationalen Rechts, ja, letztlich über jedes Völkerrecht. Israel beruft sich auf das Recht auf Selbstverteidigung, deutet dieses Recht im Sinne absoluter Handlungsfreiheit – und macht von dieser Freiheit auch, wie der Überfall auf die Free-Gaza-Schiffe zeigt, freizügigst Gebrauch.

Nichts fürchtet Israel mehr als dass ihm diese außergesetzliche Freizügigkeit, diese unbegrenzte Immunität, eines Tages genommen werden könnte.

Dieser Tag liegt derzeit, trotz aller internationaler Proteste, noch in weiter Ferne. Denn noch wird Israels Immunität durch die USA gedeckt, die Schutzmacht, deren Verhältnis zum internationalen Recht dem israelischen genau entspricht. Von Deutschlands Haltung will ich hier erst gar nicht reden.

Macht versus Recht. Wie werden wir uns in diesem weltweiten Konflikt entscheiden? Das geht nicht nur die so genannten Großen dieser Welt etwas an. Auch Sie auf diesem Platz sind jetzt gefragt. Bitte lassen Sie sich jetzt – und auch im Anschluss an diese Veranstaltung - nicht provozieren. (…)

Nichts würde den selbstzerstörerischen kurzfristigen Interessen Israels stärker nutzen können als der Beginn einer Dritten Intifada der Gewalt.

Geben wir unsere große Hoffnung nicht auf: Nichts wird auf lange Sicht stärker sein als die Kraft des Rechts und der Gerechtigkeit. Ich trete für das Existenzrecht Israels ein. Fordern wir im Gedenken an die Toten auf den Gaza-Schiffen nunmehr – mit noch lauterer Stimme als bisher – auch das Existenzrecht für ein freies Palästina!

* Dr. Georg Meggle, Philosophie-Professor an der Uni Leipzig; Mitglied der Nahostkommission von Pax Christi. Bei dem hier dokumentierten Text handelt es sich um eine Rede, die Meggle am Abend des 2. Juni 2010 bei einer spontanen Kundgebung auf dem Augustusplatz Leipzig hielt.
Unter dem Titel "Militärische Macht oder Internationales Recht?" auch veröffentlicht in: TELEPOLIS; www.heise.de/tp



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