Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Für ein Ende der Gewalt im Gazastreifen

Kundgebungen und Demonstrationen gegen den Krieg auch in Deutschland - Dokumentiert: Die Reden von Norman Paech, Werner Ruf und Jürgen Jung

Im Folgenden dokumentieren wir drei Reden, die anlässlich von Kundgebungen der Friedensbewegung in den letzten Tagen gehalten wurden. In dieser Reihenfolge:


Der Kern des Konfliktes liegt in der Blockadepolitik

Norman Paech

Liebe Freundinnen und Freunde,
Liebe palästinensische Mitbürgerinnen und Mitbürger,

ich kann mich kaum an einen derart schrecklichen Jahreswechsel wie diesen erinnern. Mit einem Krieg in Palästina, der ein Massaker unter der Bevölkerung des Gazastreifens angerichtet hat, ohne dass ein Ende dieses furchtbaren Gemetzels abzusehen ist. Schrecklich war dieser Jahreswechsel aber nicht nur für die Menschen im Gazastreifen. Er ist es auch schrecklich und beschämend für Israel, die ganze arabische Welt, die Europäer und die US-Amerikaner, denn sie haben seit Jahren – seit Jahrzehnten – keine ernsthaften Bemühungen unternommen, einen dauernden Frieden zwischen den beiden Völkern im Nahen Osten zu sichern.

Die Regierungen können sich nicht länger etwas vormachen. Die Wahrheit ist, dass die sog. Friedenskonferenzen von Madrid über Oslo, Camp David, Taba bis Annapolis zu nichts anderem geführt haben, als zu immer gewalttätigeren Konfrontationen zwischen Juden und Arabern und schließlich auch zwischen den Arabern selbst.

Der jüngste Luftkrieg gegen den Gazastreifen ist ein von langer Hand vorbereiteter Angriff, der nicht etwa eine spontane Reaktion auf die Raketen der Hamas ist. Der Zeitpunkt ist genau kalkuliert: es ist nicht das erste Mal, dass ein Krieg die Wahlchancen der härtesten Kriegstreiber verbessern sollen – und in Israel stehen Neuwahlen unmittelbar bevor. In den USA ist der alte Präsident auf dem Rückzug aus dem Amt und der neue Präsident Obama ist noch nicht im Amt. Der alte steht voll hinter dem israelischen Krieg und der neue ist ganz offensichtlich unentschlossen. Er vermeidet es, sein Wahlversprechen zu bekräftigen, dem Völkerrecht wieder den ihm zukommenden Platz in der US-Außenpolitik einzuräumen. Das ist kein gutes Zeichen für die zukünftige Nahost-Politik der Obama-Administration. Gerade jetzt ist es notwendig, das israelische Militär von weiteren massiven Völkerrechtsverstößen abzuhalten.

Die Politik der letzten Jahre hat nie ein ernsthaftes Anzeichen für einen wirklichen Friedenswillen erkennen lassen. Ja, sie ist kriminell, wenn wir die Folgen der Luftangriffe sehen, die zu einem Massaker unter der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen geführt haben. Sie sind durch kein Recht auf Selbstverteidigung oder Notwehr legitimiert, wie es Noch- Präsident Bush und Bundeskanzlerin Merkel behaupten. Das sind eindeutige Kriegsverbrechen, eine vollkommen unverhältnismäßige Reaktion auf die Raketen der Hamas. Der Gazastreifen ist mit 365 km² kaum halb so groß wie Hamburg mit 755 km². Er hat aber mit 1,5 Mio. Menschen fast so viele Einwohner wie Hamburg mit 1,7 Mio. Er ist das am dichtesten besiedelte Land der Welt. Kein Luftangriff kann die von dem Kriegsvölkerrecht geforderte Unterscheidung zwischen geschützten Zivilisten und legitimen Kampfgegnern gewährleisten. Der Vorwurf der israelischen Armee, die Hamas-Kämpfer würden sich hinter den Zivilisten verstecken und diese als Schilde missbrauchen, ist angesichts der Bevölkerungsdichte und der Unmöglichkeit, sich durch Flucht den Angriffen zu entziehen, nur zynisch. Es ist schon eine Verhöhnung des Rechts, wenn die Unzahl der zivilen Toten und Verletzten, die Zerstörung der Wohnungen und zivilen Einrichtungen mit der Selbstverteidigung gerechtfertigt werden. Und es ist eine zynische Haltung, gegen die Fortsetzung der Luftangriffe und die Weigerung der israelischen Regierung, mit der Hamas über einen Waffenstillstand zu sprechen, faktisch nichts zu unternehmen und stattdessen die Leistung von medizinischer und humanitärer Hilfe zu fordern.

Die Sicherheit Israels wird durch diesen barbarischen Akt der Bestrafung nicht gefördert sondern weiter gefährdet. Er provoziert die Radikalität des Gegners und heizt die Eskalation der Gewalt an. Vieles spricht dafür, dass dies auch so gewollt ist, weil die politisch Verantwortlichen in Israel den von ihnen in Friedensverhandlungen geforderten Abzug aus den besetzten Gebieten nicht akzeptieren wollen.

Betrachten wir die Realität: Seit 1967 hält Israel das Westjordanland und den Gazastreifen besetzt. Es hat zwar vor drei Jahren seine Truppen und Siedler aus dem Gazastreifen zurückgezogen, hat aber die volle Kontrolle über das kleine Territorium zu Wasser, in der Luft und zu Land behalten. Seit dem Wahlsieg der Hamas im Januar 2006 bestraft Israel mit der Unterstützung der EU und USA die Bevölkerung durch eine unmenschliche Abriegelung und wirtschaftliche Blockade des Gazastreifens. Die UNO spricht von einer „tiefen Krise der Menschenwürde“ und Uri Avnery bezeichnet die Blockade als einen Akt des Krieges, der das ganze Leben im Gazastreifen paralysiert hat: „Diejenigen, die die Grenzübergänge geschlossen haben – unter welchem Vorwand auch immer – wussten, dass es unter diesen Bedingungen keinen wirklichen Waffenstillstand geben kann.“ Seit dem Beginn der Blockade beklagt der UNMenschenrechtsausschuss immer gravierendere Verstöße der Abriegelungspolitik gegen die Menschenrechte. Das sind schwerwiegende Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das haben im Dezember vergangenen Jahres US-amerikanische Anwälte Ministerpräsident Ehud Olmert zu Recht in einer Strafanzeige beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag vorgeworfen.

Wie jedes Volk unter rechtswidriger Besatzung haben auch die Palästinenser ein Recht auf Widerstand. Für eine rechtswidrige Besatzung gibt es aber kein Recht auf Verteidigung, sondern nur die Verpflichtung, die Besatzung vollständig aufzuheben. Während der letzten sieben Jahre sind 14 Israelis zumeist durch Raketen vom Gazastreifen getötet worden. In der gleichen Zeit wurden mehr als 5000 Palästinenser mit Waffen getötet worden, die auch aus den modernsten Arsenalen der US-Armee stammen. Und während keine Raketen vom Westjordanland aus abgeschossen wurden, starben dort allein dieses Jahr 45 Palästinenser von israelischer Hand. Das ist die Realität der Besatzung, in der jede Art von Waffenstillstand nur dann einen Sinn macht, wenn die Besatzung selbst verschwindet.

Wer hingegen eine Politik der Strangulierung und Entwürdigung verfolgt, darf sich nicht wundern, wenn aus der Verzweiflung und Ohnmacht der Opfer Terrorakte entstehen, die die israelische Bevölkerung in der Nachbarschaft des Gazastreifens treffen. Hamas hat das Ruhen der Waffen angeboten. Die israelische Führung ist jedoch dazu nicht bereit. Es nutzen daher auch keine abgewogenen Appelle an beide Seiten, die Waffen ruhen zu lassen. Denn der Kern des Konfliktes liegt in der Blockadepolitik, die das Ergebnis der freien und fairen Wahlen von 2006 nicht akzeptieren will. Diese unverantwortliche Politik haben auch die Regierungen der EU und der USA im Widerspruch zu ihren eigenen Prinzipien zu vertreten. Es ist eine Schande, dass sie diese Politik immer noch nicht revidiert haben, sondern die Weigerung Israels zu jeglichem politischen Kontakt mit Hamas auch noch unterstützen. Damit sind auch sie für den militärischen Exzess der vergangenen Tage mit verantwortlich.

Wir fordern daher:
  • Sofortiger Stopp der Luftangriffe auf den Gazastreifen.
  • Verhinderung der angekündigten Bodenoffensive.
  • Aufgabe der Blockade und Abriegelung des Gazastreifens.
  • Sofortige Aufnahme von Verhandlungen mit Hamas, um den Raketenbeschuss einzustellen.
  • Beendigung der israelischen Besatzung.
Nur eine politische Lösung auf dem Weg der Verhandlungen vermag für beide Seiten die Sicherheit ihrer Existenz und einen dauerhaften Frieden zu schaffen.

* Rede auf der vom SCHURA Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V., SCHURA Islamische Religionsgemeinschaft Schleswig-Holstein e.V. und der Palästinensischen Vereinigung Hamburgs PHV e.V. veranstalteten Demonstration am Freitag, den 2. Januar 2009.


Massenmord als Wahlkampfstrategie?

Werner Ruf **

Liebe Friedensfreunde, meine Damen und Herren,

Das Morden in Gaza dauert nun schon fünf Tage. Ja, ich sage Morden, denn was dort geschieht, geschieht vorsätzlich. Ohne Vorwarnung werden im dichtest besiedelten Gebiet der Erde Häuser und Menschen bombardiert, deren einziges Vergehen es ist, im größten Freiluftgefängnis der Welt leben zu müssen. Ein Ende ist nicht abzusehen, Israel weigert sich, auch nur eine zweitägige Feuerpause einzuhalten, damit die Menschen mit Lebensmitteln, Wasser, Medikamenten versorgt werden können.

Erinnern wir uns: Im Januar 2006 wählte das palästinensische Volk ein Parlament. Es waren die ersten wirklich freien Wahlen im ganzen arabischen Raum. Das Volk entschied sich mehrheitlich gegen die abgrundtief korrupte, den USA und Israel hörige Regierung von Mahmud Abbas. Die Wahlen fanden statt auf der Grundlage der Vereinbarungen von Oslo: Das heißt, dass die Hamas mit ihrer Teilnahme an den Wahlen die Zwei-Staaten-Lösung akzeptierte und damit – wie auch durch zahlreiche Erklärungen von ihren Führern belegt ist – den Staat Israel in den Grenzen von 1967, also vor der Besetzung des Westjordanlands und des Gaza-Streifens anerkannte. Mit Billigung der PLO und der Autonomiebehörde, mit der die Hamas eine Regierung der nationalen Einheit gebildet hatte, verhaftete Israel mehrere Minister dieser Regierung und eine Vielzahl von Hamas-Abgeordneten, die zum Teil bis heute in Haft sind. Vor dem Hintergrund der systematischen Verfolgung durch Israel und die palästinensische Autonomiebehörde übernahm die Hamas die Macht in Gaza – auch um sich und ihre Anhänger vor den palästinensischen Hilfstruppen Israels zu schützen.

Unter der Tolerierung der USA und der EU, bei Untätigkeit des UN-Sicherheitsrats, riegelte Israel den Gazastreifen ab, wo bereits zuvor die gesamte Infrastruktur, in die die EU Milliarden investiert hatte, von der israelischen Luftwaffe zerstört worden war: Von 3.900 Industriebetrieben funktionierten bis Kriegsbeginn gerade noch 29. 70% der Anbauflächen können nicht mehr bewässert werden und werden zur Wüste. UN-Schätzungen nennen eine Armutsrate von über 80% der Bevölkerung. Das führt zu Mangelernährung mit gesundheitlichen Folgen, insbesondere für Kinder. Die Hälfte der 1,5 Millionen Bewohner erhält Wasser nur einmal pro Woche für ein paar Stunden. Grundwasser versalzt. 80% des Trinkwassers erfüllt nicht die Kriterien für genießbares Wasser. Die Bewohner von Gaza-Stadt sind bis zu 16 Stunden täglich ohne Elektrizität. Gesundheitsrisiken entstehen durch Auswirkungen auf Wasser- und Abwassersysteme. Grundwasser versalzt. 80% des Trinkwassers erfüllt nicht die Kriterien der Weltgesundheitsorganisation WHO. Die seit Monaten andauernde Sperrung des Gazastreifens hat dazu geführt, dass lebenswichtige Medikamente, medizinische Geräte nicht mehr an die Kliniken in Gaza gelangen konnten. Schwerkranken, die nicht behandelt werden können, wird die Ausreise nach Israel oder Ägypten verweigert, sie sterben wegen administrativ verfügter Verweigerung von Hilfeleistung. DAS IST EISKALTE, POLITISCH GEWOLLTE GEWALT!

Ja, es ist wahr: Von diesem Gebiet aus werden selbst gebastelte Sprengkörper Richtung Israel geschossen, nicht nur von Hamas, sondern auch von anderen, von der Hamas nicht kontrollierten Gruppen. Wenn diese Geschosse treffen, verletzen, ja töten sie Zivilisten. Das ist Terror, das verletzt das Völkerrecht. Solche Angriffe erfolgten auch während des im Juni zwischen Israel und der Hamas vereinbarten Waffenstillstands. In diesem Zeitraum wurden in Südisrael vier Menschen getötet. Wäh-rend dieses „Waffenstillstands“ hat Israel mit so genannten „gezielten Tötungen“ etwa 20 Bewohner des Gaza-Streifens getötet. Israel nennt sich die einzige Demokratie im Nahen Osten. Aber mit Rechtsstaatlichkeit haben solche „gezielten Tötungen“ nichts zu tun, wenn Menschen ermordet werden, nur weil sie verdächtigt werden „militant“ zu sein und wenn darüber hinaus in Kauf genommen wird, dass Kinder und Frauen von den Geschossen zerfetzt werden. Auch diese Gewalt ist terroristisch.

Der nun geführte Krieg, der massiv die Zivilbevölkerung trifft und treffen soll, ist Terror auf einer noch höheren Stufe: Er richtet sich gegen die Zivilbevölkerung mit dem Ziel, diese politisch zu beeinflussen, einen regime change zu bewirken, das Volk zum Aufstand gegen die dort regierenden Hamas zu bewegen. Und der, der diesen Krieg angeordnet hat, der israelische Ministerpräsident erklärte gegenüber dem Sender al arabiya, man sieht beinahe die Tränen in seinen Augen,: „Ich denke an die zehntau-sende Kinder und Unschuldige, die als Ergebnis der Hamas-Aktivitäten gefährdet werden.“ (FAZ 27.12.08). Dieser Zynismus ist unfasslich! Und die Absicht, möglichst viele Unschuldige zu treffen, eine Panik auszulösen, ist kaum von der Hand zu wei-sen. So stellt die Menschenrechtsorganisation PCHR fest: Die israelischen Angriffe begannen am 27. Dezember um 11 h 25 Lokalzeit. „Dieses Timing weist darauf hin, dass eine israelische Entscheidung getroffen wurde, mitten am Tag eine Opferzahl so groß wie möglich zu verursachen.“

Es ist eine Illusion zu glauben, dieser Krieg gegen die Menschen in Gaza könnte die Gewalt beenden. Das Gegenteil wird der Fall sein: Auf der homepage des israelischen Außenministeriums ist nachzulesen, dass seit dem Jahr 2000 die Zahl israelischer Opfer der Gewalt nie so gering war wie jetzt http://www.mfa.gov.il/MFA/Terrorism-+Obstacle+to+Peace/Palestinian+terror+since+2000/ [30-12-08]. Seit 2005 gab es keine Selbstmordanschläge mehr in Israel. Es kann an einem Fin-ger einer Hand abgezählt werden, wie die Reaktion jener Verzweifelter sein wird, de-ren Frauen, Kinder, Eltern von israelischen Bomben zerfetzt wurden. Das ist keine Politik, die der Sicherheit der Bürger Israels dient, im Gegenteil: Sie produziert Wut und Rache! Es dürfte absehbar sein, wann die schrecklichen Selbstmordattentate wieder beginnen.

So stellt sich die Frage des WARUM: In Israel ist Wahlkampf. Die Politik der israelischen Regierungen der letzten Jahre war eine Politik, die stets die Forderungen der Rechten zufrieden zu stellen versuchte, die die völkerrechtswidrige Mauer auf palästinensischem Land errichtete; die trotz aller Lippenbekenntnisse zum Frieden den Siedlungsbau weit in die palästinensischen Gebiete vorantrieb; die Massenverhaftungen betreibt und Menschen of jahrelang in „Administrativhaft“ hält – ohne Anklageschrift, ohne jeden Rechtsbeistand. Und so erscheint der Angriff auf Gaza als Teil des in Gang befindlichen Wahlkampfs: Die Parteien der so genannten Mitte, die längst nach rechts gedriftet sind, versuchen am rechten Rand weitere Stimmen zu fangen. Und tatsächlich, seit Beginn des Krieges liegt die Kadima von Frau Livni erstmals knapp vor dem weiter rechts befindlichen Likud-Block von Netanyahu. Der Spitzenkandidat der Arbeitspartei und Verteidigungsminister Barak setzt mit diesem Krieg auf die gleiche Karte.

Dieser Krieg ist das Ende jenes so genannten Friedensprozesses, den Israel seit den Verträgen von Oslo systematisch sabotiert. Und die Hamas wird politisch gestärkt aus ihm hervorgehen. Ich möchte den früheren israelischen Außenminister Shlomo Ben-Ami zitieren, der gestern in der SZ schrieb: „Auch nach dem Todesstoß für das, was vom Friedensprozess übrig geblieben ist, auch nachdem die Friedhöfe in Israel und im zerstörten Gaza wieder mit neuen Opfern gefüllt worden sind – auch nach all diesen Ereignissen würde Israel sich wieder zurückziehen und einen neuen Waffenstillstand aushandeln wollen … mit derselben Hamas.“ Zum gleichen Schluss kommt der israelische Friedenskämpfer Uri Avneri, der vor wenigen Tagen 85 Jahre alt wurde und geschworen hat, nicht zu sterben, bevor Frieden einkehrt: „Wenn nach harten Schlachten die israelische Armee es geschafft haben wird, die Ruinen von Gaza zu erobern, dann wird das Ergebnis sein, dass die Hamas in den Untergrund geht und ihr Einfluss in Gaza wie im Westjordanland wachsen wird.“ Deshalb ist das Ergebnis dieses Krieges, so sieht es Avneri zu Recht, dass „ohne Beteiligung der Hamas jede Art von Verhandlungen sinnlos ist.“

Völkerrecht und Menschlichkeit gebieten, diesen Krieg sofort zu beenden. Massenhaftes Morden kann und darf nicht zum Kalkül von Wahlkämpfen werden. Frieden im Nahen Osten setzt voraus, dass endlich auch das Existenzrecht eines palästinensischen Staates anerkannt wird, ebenso wie das Existenzrecht der Menschen in Palästina – frei von Unterdrückung und Gewalt, frei von Hunger und Elend, frei von der Gefahr, Opfer gezielter Tötungen zu werden, frei, ein menschenwürdiges Leben zu führen.

** Auf einer Kundgebung am Sylvestertag, 31. Dezember 2008 in Kassel.


Krieg in Palästina!

Jürgen Jung ***

Meine Damen und Herren, liebe Friedensfreunde,

Bislang annähernd 500 Tote auf Seiten der Palästinenser, ein Viertel davon – nach Angaben der UNO – Zivilisten, darunter viele Kinder und Frauen.

Und wie viele Tote auf Seiten Israels? Vier! Vier zuviel!

Etwa 2500 Verletzte. Wegen der Blockade durch Israel nur äußerst unzureichend oder gar nicht versorgt. Schulen, Krankenhäuser, Moscheen, Universitäten liegen in Schutt und Asche. Gaza, durch die rigorose israelische Abriegelung ohnehin schon so geschunden, gleicht immer mehr einem Trümmerhaufen.

Aber das Ziel der Bombardierungen ist ausschließlich die Hamas, heißt es, die Terrorgruppe, deren Raketenbeschuß ein für alle mal unterbunden werden muß. Kein Staat auf der Welt könne sich das schließlich bieten lassen. Es geht also um Selbstverteidigung.

Wieso schießen die Palästinenser denn auch dauernd Raketen nach Israel hinein?

Rückblende:

25. 1. 2006: die Hamas gewinnt gegen alle Vorhersagen die absolute Mehrheit bei der Parlamentswahl.

Israel, USA und EU erkennen das Ergebnis der Wahl nicht an – die Hamas sei schließlich eine Terrororganisation! Demokratie schon, ja, ja, aber nur solange die richtigen Leute gewählt werden, die sich dem israelisch-westlichen Diktat unterwerfen, Ja sagen zum Ergebnis jahrzehntelanger ethnischer Säuberung:
  • 1947, im November, werden den Zionisten im UN-Teilungsplan 56 Prozent Palästinas zugesprochen. Bis dahin hatten sie nur über 6 Prozent verfügt.
  • 1949 hatte sich Israel – nach gewonnenem Krieg – bereits 78 Prozent des Landes angeeignet. 800 000 Palästinenser waren – nach etlichen Massakern – vertrieben und durch den jungen Staat Israel enteignet.
  • 1967 wurden im Verlauf des 6-Tage-Krieges - ein israelischer Präventivkrieg! – weitere 300 000 Araber vertrieben. Israel hat seit diesem Zeitpunkt ganz Palästina unter seiner Kontrolle.
“Unser Ziel ist nicht ein jüdischer Staat in Palästina, sondern ganz Palästina als jüdischer Staat“! So David Ben Gurion, schon 1947:
Das Problem waren die vielen Araber. Ben Gurion: “Ich bin für Zwangsumsiedlung. Darin sehe ich nichts Unmoralisches.“
Und noch einmal Ben Gurion vom Februar 1948: „Die Weisheit Israels ist es, Kriege zu führen und nichts anderes.“

Der 2. israelische Minsterpräsident Moshe Sharett in seinem privaten Tagebuch:
„...Unsere Führung scheint anzunehmen, dass sich der Staat Israel auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen nach den Gesetzen des Dschungels benehmen darf - oder sogar muss."

Sharett zitiert Moshe Dayan, den späteren Verteidigungs- und Außenminster. Am 26.5.1955 sagt dieser: (Ein Friedensschluß) „würde uns die Hände binden und uns die (militärische) Aktionsfreiheit nehmen, die wir in den kommenden Jahren brauchen. Vergeltungsschläge ... sind unser Lebensnerv.“

Frieden? Nicht bevor ganz Palästina, Eretz Israel, eingenommen ist. Das war 1967 erreicht.

Moshe Sharett:
„Im Interesse dieses Ziels darf (der Staat Israel) – nein, muß er – Gefahren erfinden, und zwar durch die Methode von Provokation-und-Rache. Und als Krönung: Hoffentlich gibt es einen neuen Krieg...,so dass wir vielleicht endlich...unseren „Lebensraum“ erwerben. Welch ein Versprecher!...Ben Gurion selbst sagte, daß es sich lohnen würde, einem Araber eine Million Pfund zu zahlen, damit dieser einen Krieg anfängt “(!)

Soweit Moshe Sharett 1955, wohlgemerkt der langjährige erste israelische Außenminister und 2. Ministerpräsident.

Die Strategie also: die Araber durch militärische und terroristische Übergriffe zu kriegerischen Aktionen zu provozieren. Dadurch konnte Israel –als angeblich Angegriffener und im Bewusstsein der eigenen militärischen Überlegenheit - sein Staatsgebiet permanent ausdehnen und die palästinensische Bevölkerung, die sich verzweifelt gegen den zunehmenden Verlust ihrer Heimat zur Wehr zu setzen versuchte, kriminalisieren und terrorisieren.

Und diese Strategie ist heute offensichtlich immer noch gültig! Einer der renommiertesten israelischen Soziologen, Baruch Kimmerling, beschreibt die israelische Politik der Zermürbung der Palästinenser als die eines fortwährenden „POLITIZIDS“, dessen Ziel es sei – so wörtlich -, „das Ende der Existenz des palästinensischen Volks als soziale, politische und wirtschaftliche Größe herbeizuführen.....“

Zurück zum Frühjahr 2006: Nach dem Wahlsieg der Hamas setzten Israel und die USA alles daran, ihr den Sieg streitig zu machen, indem sie die abgewählte Fatah des Präsidenten Mahmud Abbas mit Geld und Waffen unterstützten und den Gaza-Streifen rigoros abriegelten. Der ehemalige amerikanische Präsident und Friedensnobelpreisträger Jimmy Carter bezeichnet diese Politik des Westens als ein schweres Verbrechen am palästinensischen Volk. Das Konzept der Demokratie dürfte im Nahen Osten dadurch total diskreditiert sein.

Die Hamas hat also keineswegs – wie es in unseren Medien immer heißt – durch einen Putsch im Gazastreifen die Macht an sich gerissen, sondern kam dem geplanten und schon vorbereiteten Militärschlag der abgewählten Fatah zuvor und übernahm die ihr zustehende Regierungsgewalt.

Seither leben die Menschen in Gaza unter einem unvorstellbaren israelischen Staatsterror:
Schutzlos in einem riesigen Freiluftgefängnis eingesperrt, einem Ghetto, umgeben von Mauern, aus dem es kein Entrinnen gibt, total abhängig von der hochgerüsteten Militärmacht Israel, die Wasser, Elektrizität, Lebensmittel, Medikamente nach Belieben in dieses Ghetto „Gaza“ hineinlässt oder auch nicht. Die Raketen der Hamas richten sich also gegen die brutale Belagerung und die inhumane Blockade des Gazastreifens, gegen die außergesetzlichen Tötungen, Verhaftungen, Massaker, Zerstörungen, gegen die barbarischen Aktionen der regionalen Supermacht Israel, gegen die täglich stattfindenden Kriegsverbrechen an Palästinensern in allen besetzten palästinensischen Gebieten – ganz besonders aber im Gazastreifen.

Der stellvertretende israelische Verteidigungsminister Matan Vilnai droht im Februar 2008 der Hamas sogar mit einer „Shoah“!

Ein Drittel der frei gewählten palästinensischen Parlamentsabgeordneten wird von den Israelis verhaftet, wenn nicht ermordet, und sitzt seither in Gefängnissen, wo schon – sage und schreibe – 10 000 Palästinenser, zu einem erheblichen Teil ohne Prozeß, gefangengehalten wer.

Die Menschenrechtsverletzungen, für die die ganze Welt die USA empört anklagt – Stichwort Guantanamo und Abu Ghraib –, praktiziert Israel ungestraft schon seit Jahrzehnten.

Aber Israel nennt es Selbstverteidigung, um seine andauernden Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu rechtfertigen bzw. zu vertuschen, und überzeugt damit offenkundig Politiker wie unseren ehrenwerten Außenminster, der in der aktuellen Krise vom Recht Israels auf Selbstverteidigung faselt.

Wundert sich irgend jemand noch darüber, daß Hamas Raketen nach Israel hineinschießt? Haben die Palästinenser nicht jedes Recht zum Widerstand?

Die Gründung Israels wurde 1947 durch Beschluß der Vereinten Nationen ermöglicht, und dennoch hat es seither praktisch alle Resolutionen dieser Organisation ignoriert. Es ist ein Staat, der jede Art von Anstand und Humanität verloren hat. Dieser Staat kann nur deshalb in solch arroganter Art und Weise handeln, weil er die uneingeschränkte Unterstützung der Supermacht USA hat. Mit dieser Politik agiert Israel aber nicht nur gegen die Palästinenser sondern auch gegen die Interessen und die Zukunft seines eigenen Volkes.

Dazu schon im Juli 2008 der amerikanische Jude Richard Falk, emeritierter Professor des Völkerrechts und Sonderberichterstatter der UNO für Palästina:
„Ich finde es schockierend, dass den wiederholten Angeboten der Hamas für einen langfristigen Waffenstillstand...., so wenig Beachtung geschenkt worden ist. Die Hamas erklärte - trotz einer Reihe von israelischen Provokationen nach den Wahlen im Januar 2006 - einen einseitigen Waffenstillstand und hielt ihn auch weitgehend ein. Während dieser Zeit hat Israel seine gezielten Erschiessungen und seine militärischen Einfälle in die palästinensischen Gebiete fortgesetzt. Daher muss man sich fragen, ob Israel überhaupt daran interessiert ist, die Gewalt zu reduzieren, die mit seiner sogenannten Sicherheitspolitik in den besetzten Gebieten verbunden ist.“

Aber in unseren Medien heißt es stereotyp: Die Hamas habe den Waffenstillstand gebrochen. (Schon) am 5. November - in der Nacht, in der die Aufmerksamkeit der Welt auf die amerikanische Präsidentenwahl gerichtet war – kommt es zum ersten gezielten israelischen Militäreinsatz im Gazastreifen während der Waffenruhe. Sechs Palästinenser werden bei den Gefechten ermordet, in den darauf folgenden Tagen nochmals 8. Daraufhin nimmt die Hamas den Raketenbeschuß wieder auf.

Am 26. Dezember stellt die israelische Regierung der Hamas ein 48-stündiges Ultimatum, aber unter Bruch des damit gegebenen Versprechens beginnt die aktuelle Bombardierung schon am folgenden Tag, d.h. man hat der Hamas und der Bevölkerung des Gazastreifens eine Falle gestellt, was z.T. auch die vielen Toten erklärt.

Mehr und mehr Menschen in der Welt – auch in Israel, auch Juden, die in anderen Ländern leben – sind der Meinung, dass Israel durch Sanktionen und Boykotte zu einer Änderung seiner Politik bewegt werden sollte, anstatt wie seit Jahr und Tag privilegierte Behandlung durch die Weltgemeinschaft zu erfahren.

Wer es wirklich gut meint mit Israel, wird dessen Politik kritisieren müssen. Die missbräuchliche Verwendung des Vorwurfes „Antisemitismus“, wodurch jedwede berechtigte Kritik an der Politik und an den Kriegsverbrechen des Staates Israel unterbunden werden soll, lehnen wir auf das Schärfste ab.

Immer weitere Kreise in der Welt verlangen eine sofortige Beendigung der israelischen Aggressions-Politik..... Es muß endlich Verhandlungen geben, an denen Israelis und Palästinenser vollkommen gleichberechtigt teilnehmen. Es muss ein Ende der doppelten Maßstäbe für Israelis und Palästinenser geben.

Wenn das nicht bald geschieht, wird der Frieden in der Welt sehr gefährdet sein. Israels Politik bedeutet eine echte Gefahr für den Weltfrieden, bedroht also auch uns.

Zu einer möglichen friedlichen Zukunft der jüdische Professor der Psychologie aus Lübeck, Rolf Verleger, am 29. 12. im Deutschlandradio:

„Der Friedensplan für Nahost liegt längst auf dem Tisch. Er besteht in der Zwei-Staaten-Lösung innerhalb der Grenzen von 1967, in einer einvernehmlichen Regelung des Problems der palästinensischen Flüchtlinge, in einer einvernehmlichen Regelung über Jerusalem.... Das haben alle arabischen Staaten Israel 2002 vorgeschlagen und im letzten Jahr noch mal bekräftigt. Israel ist damit nicht einverstanden, weil es sich nicht entscheiden kann, was es will, ob es nämlich das besetzte Land nicht lieber behalten will im Westjordanland. Da geht eine fortwährende Besetzung und Landnahme vor sich. Und solange Israel nicht sagt, wir wollen lieber Frieden, wir geben das völkerrechtswidrige Besatzungsregime auf, die Blockade des Gazastreifens, so lange wird es keinen Frieden geben.....Die Blockade Gazas ist das Gleiche wie die Blockade Sarajewos in den 90er-Jahren durch die jugoslawische Armee. Da kam auch keiner durch, da wurde auch niemand reingelassen. Das geht in Gaza seit über zwei Jahren, und die führenden Leute, die das damals auf dem Balkan gemacht haben, sind in Den Haag als Kriegsverbrecher verurteilt worden.“

Vor diesem Hintergrund kritisiert die Internationale Liga für Menschenrechte in ihrer Erklärung vom 2. Januar:

„die öffentliche Erklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, in der sie - in Übereinstimmung mit dem israelischen Premierminister Ehud Olmert - die Verantwortung für die Entwicklung in der Region 'eindeutig und ausschließlich' der Hamas zuschreibt.
Diese einseitige Sicht auf die Wirkungszusammenhänge in Nahost, die letztlich das Bombardement auf Gaza legitimiert, ist nicht nur längst widerlegt. Sie bestärkt zudem das israelische Militär und die israelische Regierung, weiterhin Kriegsverbrechen in Gaza zu begehen und Staatsterror gegenüber der Zivilbevölkerung des Gazastreifens auszuüben. Eine solche Politik der doppelten Standards ist inakzeptabel und mit jeglichem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und völkerrechtskonformen Beziehungen zwischen Staaten unvereinbar.
Die Bundesregierung trägt hier eine klare Mitverantwortung, wenn sie einseitig der Logik der israelischen Regierung folgt, die für das völkerrechtswidrige Ziel, die Hamas-Regierung zu stürzen, Opfer und Schäden in Gaza und in der Folge weitere Opfer unter der israelischen Zivilbevölkerung in Kauf nimmt - und damit auch die weitere Destabilisierung der gesamten Region.
Das bekundete politische Ziel der Bundeskanzlerin, 'alles' zu tun, 'um zivile Opfer zu vermeiden', kann nicht erreicht werden und ist heuchlerisch, wenn Israel zugleich darin bestärkt wird, Verhandlungen mit Hamas auszuschlagen und weiterhin auf militärische Überlegenheit und militärische 'Lösungen' zu setzen.
Die Internationale Liga für Menschenrechte fordert deshalb die Bundesregierung im Interesse eines sofortigen Waffenstillstands auf, auf die israelische Regierung politischen Druck auszuüben. Andernfalls machen sich Kanzlerin und Bundesregierung schuldig, selbst an der Gewaltspirale mitzudrehen.“


Der jüdische Dichter Erich Fried veröffentlichte Ende der 60er Jahre einen Band mit Gedichten, in denen er sich kritisch mit Israel auseinandersetzt.

Höre Israel

Als ihr verfolgt wurdet
War ich einer von euch
Wie kann ich das bleiben
Wenn ihr Verfolger seid?

Kehrt um! Kehrt um!
Die euch Geld oder Waffen gaben
Werden nicht immer da sein
Um euch zu schützen

Umkehren wird nicht leicht sein:
Der Haß der Armen lebt lange
Und viele wünschen euch das
Was einst ihr euren Peinigern wünschtet

Doch euch bleibt kein anderer Weg
Euch die Zukunft zu öffnen
Wenn es nicht eine Zukunft
Der ewig Verhassten sein soll

Kehrt um! Kehrt um!
Die euch Geld oder Waffen geben
Brauchen euch nur als Söldner
Gegen die Zukunft.


Danke für Eure Aufmerksamkeit!

*** Rede auf einer Friedenskundgebung am 3. Januar 2009 in München


Zurück zur Gaza-Seite

Zur Seite "Stimmen gegen den Krieg im Gazastreifen"

Zur Seite "Friedensbewegung"

Zurück zur Homepage