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Kritisiert in Deutschland - Entrechtet in Israel

Petra Pau (LINKE) kritisiert die Linken Inge Höger, Annette Groth und Norman Paech - wegen Teilnahme an Gaza-Flotille / Knesset-Abgeordnete wird bestraft - wegen Teilnahme an Gaza-Flotille


Die Ereignisse um die Hilfsgüter-Flottille vom 31. Mai, bei deren Kaperung das israelische Militär neun Menschen erschossen hatte, haben überraschend doch noch zu Debatten in der LINKEN geführt. Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau kritisierte die damals an Bord befindlichen Bundestagsabgeordneten Annette Groth und Inge Höger, die wie sie Mitglieder der Linksfraktion sind, sowie den früheren Linksparteiabgeordneten Norman Paech. Mehrere Zeitungen zitierten aus einem Brief, den Pau an die Jüdische Gemeinde Bremen geschrieben hat. Darin kritisiere sie das an der Aktion beteiligte Bündnis, zu dem mindestens eine türkische Organisation gehört habe, »die in einem pro-faschistischem Ruch steht«. Pau sieht Judenhass als Folge der Aktion, die Hilfsgüter in den Gaza-Streifen bringen wollte und sieht den Antisemitismus im Aufwind. In Internet-Blogs feiere dieser »sprunghaft Urständ«. Die Aktion habe letztlich die Hamas gestärkt. »Niemand, der ernsthaft an einer friedlichen Lösung des Nahostkonfliktes interessiert ist, sollte das wollen oder in Kauf nehmen, zumal dies auch keine Hilfe für die Palästinenser ist.«

Der Brief von Petra Pau kann hier herunter geladen werden: pdf-Datei

In einer Erwiderung der von Pau angegriffenen Linkspolitiker/innen Groth, Höger und Paech [siehe Kasten] heißt es: »Anstatt uns vorzuwerfen, faktisch eine friedliche Lösung des Nahost-Konfliktes zu verhindern, solltest du die Mahnung von Avi Primor (ehem. israelischer Botschafter in Deutschland) Ernst nehmen, die Hamas in einen Friedensprozess einzubinden.«

In Israel selbst geht man ebenfalls nicht zimperlich mit Anhängern des Gaza-Konvois um. Wie das Israelnetz (inn; www.israelnetz.com) aus Jerusalem berichtet, bleibt die Teilnahme an der "Free Gaza"-Flottille für die israelische Abgeordnete Hanin Suabi nicht ohne Folgen: Am 13. Juli entschied die Knesset, dass die Araberin drei grundlegende Privilegien verlieren soll. Daraufhin beschuldigte sie ihre Politikerkollegen der Demokratiefeindlichkeit.

E. Hausen berichtet unter Berufung auf die Tageszeitung "Ha´aretz", 34 Abgeordnete hätten für den Antrag des zuständigen Knesset-Komitees gestimmt. 16 Parlamentarier lehnten ihn ab. Damit darf die Abgeordnete Suabi das Land nicht verlassen - dies solle "ihre Flucht verhindern", falls sie Schulden hat oder ein Kapitalverbrechen begeht. Zudem büßt sie das Recht auf einen Diplomatenpass ein. Im Falle eines Gerichtsverfahrens gegen sie übernimmt außerdem das Parlament nicht mehr die Kosten.

Die Vertreterin der arabischen Balad-Partei kritisierte die Entscheidung scharf: "In einem zivilisierten Land würden die Leute, die gegen die Abgeordnete Suabi hetzen und sie bedrohen, bestraft. Man würde gegen sie selbst solche Sanktionen verhängen", sagte Hanin Suabi und fügte an die Knesset-Mitglieder gewandt hinzu: "Sie bestrafen mich aus Rache. Wenn Sie die arabischen Knesset-Abgeordneten und die Beschützer der Araber bedrohen, bedrohen Sie die Demokratie und die Koexistenz zwischen Juden und Arabern."

Sie habe "das Recht, für meine Rechte und Werte zu kämpfen", meinte Suabi weiter. "Meine Standpunkte unterscheiden sich oft von denen, die der Likud, Kadima und der größte Teil der Knesset-Abgeordneten vertreten. Deshalb repräsentiere ich nicht Kadima, die Arbeitspartei oder den Likud, sondern diejenigen, die mich gewählt haben. In meinem Fall vertrete ich den Konsens der arabischen Abgeordneten."


Liebe Petra,

durch die Presse haben wir von Deinem Brief an die Jüdische Gemeinde Bremen erfahren. In ihm übst Du heftige Kritik an unserer Teilnahme an der Free-Gaza-Flottille. Dies tust Du, ohne mit uns über unsere Motivation und unsere Erfahrungen je gesprochen zu haben. Wir können nicht erkennen, dass so eine "ernsthafte Diskussion innerhalb der Fraktion" geführt wird, wie du es in deinem Brief formulierst. Im Gegenteil, das führt genau zu dem, von dem du sagst "dass es wenig hilft, solche Kontroversen vor ,laufenden' Medien auszutragen". Du verdächtigst dabei "mindestens" eine türkische Organisation als "pro-faschistisch", obwohl du dich nur auf ein Gerücht und keinen präzisen Nachweis stützen kannst. Solltest du die IHH meinen, so sind die landläufigen Anwürfe auch gegen sie vollkommen unbewiesen und stammen nur aus dubiosen Quellen. Seriöse Informationen über die IHH hat "DIE ZEIT" bereits Anfang Juni veröffentlicht. Danach handelt es sich bei dem IHH um einen "offensichtlich unabhängigen Hilfsverein", "beileibe kein radikalislamischer Verein als Subunternehmer von Hamas", dessen Mitglieder "konservative, gläubige Muslime" sind. Der IHH hat beratenden Status beim UN-Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC), was eine Prüfung seiner Satzung, den Nachweis demokratischer Entscheidungsprozesse und eine regelmäßige Rechenschaftspflicht voraussetzt. Er steht auf keiner der berüchtigten Terrorlisten und es dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben, dass die von Innenminister de Maizière verbotene IHH in Deutschland nichts mit der IHH in der Türkei, mit der wir kooperiert haben, zu tun hat. Wir finden es äußerst problematisch, wenn in dieser sensiblen Diskussion gegenüber islamischen Institutionen immer wieder auf Verdächtigungen, Gerüchte und Klischees zurückgegriffen wird - für DIE LINKE sollte sich so etwas eigentlich verbieten.

Dein Vorwurf, wir hätten mit unserer Aktion "letztlich die Hamas gestärkt", verwechselt ganz offensichtlich Ursache und Wirkung. Hätten Israel, die EU und die USA das Ergebnis der demokratischen Wahlen von 2006 akzeptiert und sie nicht mit einer Blockade und zunehmender Strangulierung der Bevölkerung beantwortet, die schließlich in einen barbarischen Krieg mündeten, hätte es wohl kaum eine derart nachhaltige Stärkung der Hamas gegeben, wie sie jetzt nicht nur im Gazastreifen sondern gleichfalls in der besetzten Westbank zu beobachten ist. Die Politik - und gerade auch die deutsche - unterstützt eine offen völkerrechtswidrige Blockade, die zu dem geführt hat, was die Organisationen der UNO eine humanitäre Katastrophe nennen. Anstatt uns vorzuwerfen, faktisch eine friedliche Lösung des Nah-Ost-Konfliktes zu verhindern, solltest du die Mahnung von Avi Primor ernst nehmen, die Hamas in einen Friedensprozess einzubinden.

Wenn du uns ferner unterstellst, unser eigentliches Ziel sei, "Israel an den Pranger zu stellen", dann hast du die Vorstellungen der Free Gaza Bewegung nicht zur Kenntnis genommen. In der Tat gibt es neben der humanitären Hilfsaktion auch das politische Ziel, die Weltöffentlichkeit darauf hinzuweisen, dass die unhaltbaren Zustände im Gazastreifen nur durch eine vollständige Aufhebung der Blockade, die jetzt schon vier Jahre dauert, beseitigt werden können. Erheben wir nicht immer den Anspruch, das Völkerrecht zur Richtschnur unserer Politik zu machen? Dann sollte auch die Aufhebung der Blockade, die nicht nur "ein politischer Fehler", wie du schreibst, sondern schlicht völkerrechtswidrig ist, unsere Politik bestimmen.

Schließlich müssen wir zurückweisen, dass die Aktion von "Free Gaza" dafür verantwortlich ist, dass "der Antisemitismus sprunghaft Urständ feiert." Weder hat unsere Aktion etwas mit Antisemitismus zu tun, noch bietet sie irgendeinen Anknüpfungspunkt für Antisemiten, mit denen wir nie etwas zu tun haben wollten und die bei uns auch keinen Platz haben. Die Gründe für den schon lange vor unserer Fahrt wieder laut werdenden Antisemitismus musst du woanders suchen. Sie liegen nicht bei denen, die ihre Verantwortung für Israel und für die Palästinenser, wie sie unsere Partei und Fraktion immer wieder betonen, mit humanitärer Hilfe ein wenig sichtbar machen wollen. Dieser Vorwurf ist am wenigsten geeignet, den notwendigen Dialog in Partei und Fraktion zu fördern, sondern tötet ihn geradezu, da er nur jenen folgt, die mangels Argumenten eine ernsthafte Diskussion über den Nah-Ost-Konflikt und Antisemitismus zu tabuisieren versuchen.

Dein Brief zeigt uns, dass eine solche Diskussion nach wie vor dringend notwendig ist. Wir haben sie immer gesucht und werden auch immer dazu bereit sein.

Mit solidarischen Grüßen,
Annette Groth, Inge Höger, Norman Paech




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