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Feuerregen – Einsatz von Phosphor im Gaza-Krieg

Menschenrechtsorganisationen klagen Israel der Kriegsverbrechen an

Von Wolfgang Kötter *

Seit dem Ende des Gazakrieges Anfang des Jahres wenden sich Einzelpersonen und Nichtregierungsorganisationen an den Internationale Strafgerichtshof http://www2.icc-cpi.int/Menus/ICC/Home in Den Haag, um Israel wegen Verletzung des humanitären Völkerrechts zur Rechenschaft zu ziehen. Nun prüft IStGH-Chefankläger Luis Moreno-Ocampo, ob er Offiziere der israelischen Armee wegen Kriegsverbrechen anklagen kann, wenn sie beispielsweise militärische Angriffe in dicht besiedelten Gebieten befohlen haben.

Der dreiwöchige Gaza-Krieg hat einen hohen Opfertribut gefordert. Zwischen 27. Dezember und 18. Januar starben nach Angaben der palästinensischen Menschenrechtsorganisation PCHR 1.434 Palästinenser und 13 Israelis. Hinzu kamen 5.303 verletzte Palästinenser und etwa 50 verwundete israelische Soldaten. Nahezu die Hälfte der Opfer waren Kinder.

Kriegsverbrechen?

Mit den Angriffen von Land, Luft und Wasser aus sollte nach israelischen Angaben der Raketenbeschuss durch militante Palästinenser soweit wie möglich reduziert werden. Die Palästinenser wollten mit den Raketenangriffen auf Israel ein Ende der Blockade des Gazastreifens erreichen. Viele Anzeichen und auch Augenzeugen sprechen dafür, dass Israel bei seiner Operation "Gegossenes Blei" verbotene Waffen angewendet hat. Das bedeutete einen Bruch des Völkerrechts und wäre als Kriegsverbrechen zu ahnden. Immer wieder werden in diesem Zusammenhang „Phosphor-Granaten“ genannt.

Die jetzt veröffentlichte Studie "Feuerregen" der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch http://www.hrw.org/en/reports/2009/03/25/rain-fire kommt genau zu dieser Schlussfolgerung: Der israelische Einsatz von Phosphormunition „verletzt das humanitäre Völkerrecht, dass verlangt, alle möglichen Vorkehrungen zu treffen, um zivile Opfer durch unterschiedslose Angriffe zu vermeiden“, so das Fazit. Fred Abrahams, einer der Koautoren stellt fest: “In Gaza hat das israelische Militär Phosphor nicht einfach in offenem Gelände als Nebelschleier für seine Soldaten eingesetzt … Es feuerte wiederholt Phosphor in dicht besiedelte Gebiete, sogar wenn seine Truppen gar nicht dort waren und sicherere Rauchgranaten verfügbar waren. Als Folge litten und starben Zivilisten völlig unnötig.“ Die Organisation fordert deshalb eine unabhängige Untersuchung sowohl von Israel als auch von der UNO.

Bei den eingesetzten Waffen handelt sich es um weißen Phosphor. Derartige Brandbomben kamen bereits im Zweiten Weltkrieg, in Korea, Vietnam und in Tschetschenien zum Einsatz. In jüngster Zeit sollen die Israel Defense Forces Phosphormunition auch im Libanonkrieg von 2006 und US-amerikanische wie auch britische Truppen in Irak eingesetzt haben.

Die Substanz wird in Brandbomben, Signalmitteln, Leuchtspurmunition und Rauchbomben verwendet. Sie zählt im militärischen Bereich nicht wie zuweilen angenommen zu den chemischen, sondern zu den konventionellen Waffen. Verboten ist der Einsatz also nicht durch die C-Waffenkonvention, die Israel übrigens auch nicht ratifiziert hat. Aber den Einsatz von Brandwaffen verbietet ein völkerrechtlicher Vertrag, nämlich Protokoll 3 der "Inhumane Waffen".Konvention http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussenpolitik/Themen/Abruestung/Downloads/VN-Waffenuebereinkommen-Protokoll3.pdf. Die Vereinbarung untersagt die Verwendung von Brandwaffen wie Flammenwerfern und Napalm einschließlich von Phosphorgeschossen gegen Zivilisten. Sie dürfen auch nicht gegen militärische Ziele eingesetzt werden, wenn diese nicht klar von zivilen Zielen abgegrenzt werden können. Israel hat das Protokoll jedoch nicht unterschrieben.

Verboten ist der Einsatz von unterschiedslos wirkenden Waffen aber auch durch das sogenannte humanitäre oder Völkerrecht, das Verhaltensregeln für die Kriegsführung aufstellt, um das Leid nicht direkt an den Kämpfen beteiligter Personen zu lindern. So verbietet die IV. Genfer Konvention zum Schutz von Zivilpersonen z.B. militärische Angriffe auf Zivilkrankenhäuser, Sanitätstransporte, Frauen und Kinder. Israel ist Mitglied der Genfer Abkommen des humanitären Völkerrechts. Nach Artikel 35 des ersten Zusatzprotokolls, ist es verboten, Waffen, Geschosse und Material sowie Methoden der Kriegführung zu verwenden, die überflüssige Verletzungen oder unnötige Leiden verursachen. (http://www.icrc.org/ihl.nsf/Pays?ReadForm&c=IL).

Grausame Verletzungen

Die Verletzungen durch Phosphorbomben sind grausam und äußerst schmerzhaft. Die Substanz brennt bereits, wenn sie mit Luft in Berührung kommt. Bei Menschen führt die Berührung mit weißem Phosphor zu schwersten Verbrennungen, die nur schwer heilen. Selbst kleinste Phosphorpartikel, die auf die Haut gelangen, erzeugen Verbrennungen zweiten oder dritten Grades. Zum Teil sind die Verletzungen sehr tief, da sich die fettlöslichen Phosphorpartikel bis zum Knochen fressen können. Die Reaktion kommt erst dann zum Erliegen, wenn der weiße Phosphor vollständig verbrannt ist oder wenn ihm der Luftsauerstoff entzogen wird.

Weißer Phosphor und seine Dämpfe sind gleichzeitig hochgiftig. Sie stören wichtige Stoffwechselprozesse und verursachen schwere Schäden an Lunge, Leber, Herz und Nieren. Schon geringe Mengen können nach einiger Zeit zum Tode führen.

Die Zeugen und Opfer klagen an und ihre Aussagen sind bestürzend. Ärzte und Ärztinnen berichten von ihnen bisher völlig unbekannten Verletzungen. So erklärte der Chirurg Dr. Muneer Deeb, Oberarzt am Kasseler Klinikum, der mit einem französischen Ärzteteam eine Woche in Gaza operiert hat: „Die Verletzungen, die wir behandelt haben, waren keine Verletzungen durch herkömmliche Splitterbomben. Es gab Verbrennungen bis auf die Knochen“. Dr. Nafez Abu Schaban, Spezialist für plastische Chirurgie und Brandverletzungen im Schifa-Hospital, dem größten palästinensichen Krankenhaus in Gaza, berichtete von einem 18-jährigen Patienten, der am 18. Januar 2009 mit Brandwunden übersät zu ihm ins Krankenhaus kam. Noch fünf Stunden nach dem erlittenen Angriff entwich weißer Rauch aus den Wunden.

Laut Mitverfasser der Studie Marc Garlasco, früherer Pentagonexperte und jetzt Militäraranalyst bei Human Rights Watch, seien diese Waffen überall in Gaza in dicht besiedelten Wohngebieten eingesetzt worden. Die Zahl der explodierten Phosphorgranaten sei viel größer als von der israelischen Armee zugegeben. "Wir haben überall im Gazastreifen Nachweise für weißen Phosphor gefunden", bestätigt ebenfalls Chris Cobb-Smith, Ex-Offizier der britischen Armee und Militärexperte von Amnesty International. "Es ist unmöglich, dass dies versehentlich geschehen ist. Die Granaten wurden bewusst auf dicht besiedelte Wohngebiete abgefeuert."

Eine Kurzfassung dieses Beitrags erschien im Neuen Deutschland vom 28. März 2008 unter dem Titel "Feuerregen im Gaza-Krieg".


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