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Kairo stoppt Aktivisten

Die 85jährige Holocaust-Überlebende Hedy Epstein aus den USA protestiert seit Montag mit einem Hungerstreik gegen das ägyptische Einreiseverbot nach Gaza

Von Karin Leukefeld *

Der Versuch von mehreren hundert Aktivisten des Gaza-Freiheitsmarsches, über den ägyptischen Grenzort Rafah in den Gazastreifen einzureisen, ist von ägyptischen Behörden verhindert worden. Die Busse wurden am Montag abend an der Grenze gestoppt und mußten nach Kairo zurückkehren. Eine Gruppe Deutscher, die unabhängig von den Bussen mit Sammeltaxis von Kairo nach Rafah aufgebrochen war, wurden von Sicherheitskräften ebenfalls zur Rückkehr gezwungen. Mehr als 1300 Personen aus aller Welt waren dem Aufruf der Organisatoren des Freiheitsmarsches gefolgt, den Jahreswechsel an der Seite der Palästinenser im Gazastreifen zu verbringen. Die Aktion soll an den israelischen Krieg 2008/2009 erinnern und am 31. Dezember mit einer machtvollen Demonstration gegen die völkerrechtswidrige israelische Blockade enden. Gegen das von den ägyptischen Behörden verhängte Einreiseverbot in den Gazastreifen demonstrieren die Friedensaktivisten seit Tagen in Kairo.

Einige der rund 40 deutschen Teilnehmer schlossen sich den Protesten der französischen Gruppe EuroPalästina an, die seit Sonntag abend eine Hauptverkehrsstraße vor der französischen Botschaft in Kairo besetzt hält. Man wolle so lange dort bleiben, bis die ägyptische Regierung die Einreise nach Gaza genehmige, so eine Sprecherin. Hossam Zaki, Sprecher des ägyptischen Außenministeriums, kritisierte den Protest und beschuldigte die Demonstranten, Ägpyten unter Druck zu setzen. Viele Friedensaktivisten beteiligten sich am Dienstag an Protesten gegen den Besuch des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, der in Kairo Gespräche führt. Die ultrarechte Regierung Netanjahus ist bisher keinen Millimeter von ihrer harten Blockadehaltung gegen den Gazastreifen abgewichen.

Wie schon während des dreiwöchigen Krieges im letzten Winter steht die ägyptische Regierung bei der Blockade fest an der Seite Israels und hält den Grenzübergang Rafah geschlossen. Inzwischen hat Kairo - offenbar auf Druck Israels und mit US-Unterstützung - damit begonnen, eine bis zu 18 Meter tief in die Erde reichende Stahlmauer entlang der Grenze zum palästinensischen Küstenstreifen zu bauen. Dadurch wird der Transport von Waren aller Art durch die von den Palästinensern betriebenen Tunnel unmöglich gemacht. Die Tunnel sichern bisher den 1,5 Millionen eingesperrten Menschen in Gaza seit Beginn der israelischen Belagerung das Überleben.

Aus Protest gegen das Einreiseverbot nach Gaza hat die 85jährige US-Bürgerin Hedy Epstein in Kairo am Montag einen Hungerstreik begonnen, wobei sie inzwischen von 40 Gleichgesinnten unterstützt wird. Hedy Epstein stammt aus einer deutschen jüdischen Familie und überlebte den Holocaust nur durch die Ausreise mit einem Kindertransport 1939 nach England. Ihre Familie wurde von den Nazis ermordet.

Der in der jordanischen Hafenstadt Akaba seit Tagen festsitzende Hilfskonvoi »Viva Palästina« hat sich derweil entschieden, nach Syrien zurückzufahren. Die ägyptischen Behörden hatten den mehr als 150 Fahrzeugen und rund 500 Menschenrechtsaktivisten die Einreise nach Ägypten verweigert und sie angewiesen, über den Mittelmeerhafen Al-Arish zu kommen. Nun will der Konvoi von der syrischen Hafenstadt Latakia mit dem Schiff nach Al-Arish übersetzen und hofft, doch noch vor Jahresende nach Gaza zu gelangen.

* Aus: junge Welt, 30. Dezember 2009


Aus dem Holocaust nichts gelernt?

Hedy Epstein protestiert in Kairo gegen das Einreiseverbot nach Gaza **

Die 85-jährige Hedy Epstein hat den Holocaust. 1939 musste sie - damals vierzehnjährig - Deutschland mit einem Kindertransport nach England verlassen. 1942 wurden ihre Eltern im Konzentrationslager Auschwitz ermordet. Im Nürnberger Tribunal hat Epstein als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei den Prozessen gegen Nazi-Ärzte mitgearbeitet. Epstein emigrierte in die USA, wo sie eine Friedens- und Menschenrechtsaktivistin wurde.

Ich erreiche Sie mitten in einer sehr lauten Demonstration, wo sind Sie gerade?

Wir sind vor dem großen Gebäude der Journalistenunion in Kairo. Um mich herum sind Hunderte Demonstranten. Und wir sind umgeben von sehr vielen Polizisten. Gerade bauen sie neue Barrikaden gegen uns auf. Ich weiß nicht, was das soll.

Sie haben einen Hungerstreik begonnen, warum?

Ich habe am Montag angefangen, und als ich Dienstagmittag hierher zu dieser Demonstration kam, hatten sich zwanzig Leute angeschlossen. Und jetzt, während wir sprechen, sind wir schon vierzig! Seit vielen Jahren setze ich mich für Frieden und Gerechtigkeit ein, der Hungerstreik ist für mich ein weiterer Schritt. Wir hoffen, dass wir (Ägyptens Präsident) Mubarak beeindrucken können, damit er uns nach Gaza gehen lässt. Was Mubarak hier macht, blamiert ihn doch. Sein Image und das von Ägypten sind ja völlig ramponiert von dem, was er hier mit den Palästinensern macht.

Sie sind Überlebende des Holocaust, deutsche Jüdin. Warum kümmern Sie sich um das Schicksal der Palästinenser?

Gerade weil ich eine Holocaust-Überlebende bin, weiß ich, was es bedeutet, wenn man unterdrückt und diskriminiert wird. Und das ist es, was die Israelis machen. Nicht nur seit der Staat Israel 1948 gegründet wurde, schon vorher haben Terroristengruppen die Palästinenser angegriffen, ihre Dörfer zerstört, Menschen vertrieben, ermordet. Das geht jetzt schon viel zu lange mit der Unterdrückung der Palästinenser. Was lernt man denn vom Holocaust? Dass man andere unterdrückt? Das ist nicht das, was ich daraus gelernt habe.

Gibt es auf Ihren Hungerstreik und Ihre Forderungen offizielle Reaktionen in Kairo?

Nein, bisher noch nicht. Jetzt ist ja auch gerade der (israelische Ministerpräsident) Netanjahu hier in Kairo, wahrscheinlich sind die mit ihm beschäftigt. Aber ich hoffe, dass sie ihre Politik bald ändern und dass wir bald nach Gaza gehen können. Ich bin ein ewiger Optimist.

Und wenn Sie dort hinkommen, was werden Sie tun?

Wir wollen uns mit zivilen Gruppen und Hilfsorganisationen treffen und zuhören, was sie uns zu berichten haben. Wir haben viele Hilfsgüter, Sachen, die in Schulen gebraucht werden, Spielsachen, Winterkleidung, warme Schuhe für die Kinder und ein ganzes Lager mit Medikamenten, die wir nach Gaza bringen wollen.

Haben Sie für die nächste Zeit weitere politische Aktionen vorbereitet?

Am 31. Dezember wollen wir mit 50 000 Leuten in Gaza zum Erez-Kontrollpunkt laufen, das ist einer der Grenzübergänge nach Israel. Von der anderen Seite werden israelische Friedensaktivisten und Palästinenser kommen. Unsere gemeinsame Forderung ist, dass die Blockade gegen den Gazastreifen sofort aufhören muss. Wir sind hier viele Leute, aus 42 Ländern aus aller Welt, vielleicht macht das Druck. Ich hoffe, wir können ein Zeichen setzen und erreichen, dass die Regierungen ihre Augen und ihre Herzen öffnen. Bisher hat man nicht gehört, dass sie Israel kritisieren. Warum nicht? Weil sie Angst haben, dass man sie Antisemiten nennt. Das muss sich aber ändern. Israel muss endlich genauso behandelt werden, wie andere Länder auch. Wenn in einem anderen Land etwas Schlimmes geschieht, spricht man darüber und reagiert. Bei Israel sieht man schweigend zu. Das muss ein Ende haben.

Fragen: Karin Leukefeld

** Aus: Neues Deutschland, 30. Dezember 2009


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