Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Angriff auf Gaza-Konvoi

Ägypten blockiert "Viva Palästina"-Hilfsgüter und setzt Polizei ein

Von Karin Leukefeld *

Wir sind an einem kritischen Punkt. Im Hafen von Al-Arish sind Kämpfe ausgebrochen.« Mit dieser dramatischen Situationsbeschreibung wandte sich Kevin Ovenden, der seit Anfang Dezember den »Viva Palästina«-Hilfskonvoi nach Gaza leitet, am Dienstag abend an die Öffentlichkeit. Man habe seit Stunden in der ägyptischen Hafenstadt mit einem hohen Beamten aus Kairo über die weitere Route verhandelt, sich aber nicht einigen können.

Die Ägypter wollten nur 139 Fahrzeuge über die Grenze bei Rafah in den Gazastreifen passieren lassen, die anderen 55 Fahrzeuge sollten über den israelischen Grenzposten Kerem Shalom fahren, von wo Tel Aviv die Hilfsgüter später in den Gazastreifen transportieren sollte. George Galloway, der an den Verhandlungen beteiligte unabhängige britische Parlamentsabgeordnete, kommentierte: »Viva Palästina wird Fahrzeuge und Hilfsgüter nicht den Israelis überlassen.« Es habe von Ägypten die Zusage gegeben, den gesamten Konvoi von Al-Arish über Rafah in den Gazastreifen fahren zu lassen. Es sei »völlig unverschämt, 25 Prozent des Konvois nach Israel zu schicken, was bedeutet, daß die Sachen nie in Gaza ankommen«, meinte Galloway.

Nachdem der ägyptische Offizier die Gespräche abgebrochen hatte, seien Hunderte Polizisten aufgezogen, woraufhin die Konvoiteilnehmer die beiden Eingänge zum Hafen mit ihren Fahrzeugen blockierten. Alexandra Lort Phillips (37), eine Jugendsozialarbeiterin aus London, berichtete der Nachrichtenagentur AP: »Zuerst wurden wir von zivil gekleideten Leuten mit Steinen beworfen, dann rückte die Polizei mit Tränengas und Schlagstöcken vor.« Es habe Kopfverletzungen und Schnittwunden gegeben. Ärzte berichteten von 55 Verletzten, darunter 15 Polizisten. Mindestens vier Personen wurden festgenommen. Ob die LKW schließlich doch in den Gazastreifen fahren konnten, war bei jW-Redak­tionsschluß nicht bekannt.

Die Hilfsgüterkarawane war am Sonntag per Schiff aus Syrien in den Hafen von Al-Arish gekommen, von wo aus die über 500 Friedensaktivisten mit ihren 210 Fahrzeugen und Hilfsgütern im Wert von mehreren Millionen US-Dollar am Dienstag nach Gaza aufbrechen wollten. Ursprünglich sollte der Konvoi am 27. Dezember vergangenen Jahres bereits dort ankommen, doch die ägyptischen Behörden, die von Beginn an über das Unternehmen informiert waren, hatten die Einreise von der jordanischen Hafenstadt Akaba aus verweigert. Die Route über den Hafen von Al-Arish in den Gazastreifen war mit Hilfe von türkischen Vermittlern zustande gekommen. Hilfsorganisationen aus der Türkei stellen rund ein Viertel der Fahrzeuge. Fünf türkische Parlamentsabgeordnete fahren mit. Aus Protest gegen das Vorgehen der ägyptischen Behörden und Polizei fanden am Dienstag in verschiedenen europäischen Hauptstädten Proteste vor den ägyptischen Botschaften statt.

Israel hat unterdessen neue Angriffe gegen den Gazastreifen gestartet. In der Nacht zum Mittwoch feuerte bei Khan Younis eine Drohne Raketen auf fünf Milizionäre der Salahadin-Brigaden, dem bewaffneten Flügel der Volkswiderstandskomitees. Der 22jährige Dschihad Al-Samiri wurde getötet, vier weitere Männer wurden verletzt, heißt es in einem Bericht des Palästina Informationszentrums. Im östlichen Gazastreifen bei Deir Al-Baleh sollen nach Augenzeugenberichten vier israelische Panzer und drei Bulldozer am Mittwoch Felder zerstört und auf benachbarte Häuser gefeuert haben; verletzt wurde niemand.

Ra'ed Fatouh vom palästinensischen Wirtschaftsministerium berichtete derweil der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua, Israel habe die Autonomiebehörde darüber informiert, daß es den Grenzübergang Nahal Oz östlich von Gaza-Stadt endgültig schließen werde. Bisher waren hier Flüssigtreibstoffe wie Benzin, Diesel, Öl und Gas in den Gazastreifen gelangt. In Zukunft sollen die Treibstoffe über den Grenzübergang Kerem Schalom nahe der ägyptischen Grenze transportiert werden. Die Umstellung mitten im Winter lasse Probleme bei der Versorgung mit Treibstoff und Gas befürchten, hieß es von palästinensischer Seite.

* Aus: junge Welt, 7. Januar 2010


Zurück zur Gaza-Seite

Zur Ägypten-Seite

Zur Palästina-Seite

Zurück zur Homepage