Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Weltweites Entsetzen

Israelischer Seeangriff auf Free-Gaza-Hilfstransport übertrifft schlimmste Befürchtungen. Sorge um Gefangene

Von Claudia Wangerin *

Friedens- und Menschenrechtsorganisationen haben am Montag (31. Mai) in zahlreichen Ländern mit Protestaktionen auf den Überfall der israelischen Armee auf die »Free Gaza«-Solidaritätsflotte reagiert. In mehreren europäischen Städten fanden Mahnwachen vor israelischen Vertretungen statt, so auch in Berlin, Rom und Dublin. Die israelische Friedensbewegung plant für das Wochenende eine zentrale Protestkundgebung in Tel Aviv.

Die Internationale Liga für Menschenrechte sprach von einem »todbringenden Piratenakt der israelischen Streitkräfte«. Sie forderte die Bundesregierung auf, »von der israelischen Regierung ultimativ den sofortigen Zugang zu den gekidnappten deutschen Delegationsmitgliedern zu erwirken – in Absprache mit den anderen Regierungen, deren Bürgerinnen und Bürger von den israelischen Behörden entführt wurden«.

Als schwerwiegenden Bruch internationalen Rechts und als eine brutale Menschenrechtsverletzung verurteilte das globalisierungskritische Netzwerk ATTAC den Überfall israelischer Kommandoeinheiten auf den humanitären Hilfstransport für den Gazastreifen mit zahlreichen Toten und Verletzten. Das Schicksal der ATTAC-Mitglieder an Bord war bei Redaktionsschluß noch ebenso ungewiß wie die genaue Zahl der Toten und das Schicksal der Bundestagsabgeordneten Inge Höger und Annette Groth (Die Linke). Ihr ehemaliger Fraktionskollege, der Völkerrechtler Norman Paech, der sich ebensfalls an Bord des türkischen Passagierschiffes »Marmara« befand, gehört dem wissenschaftlichen Beirat von ATTAC an.

Die Friedensorganisation IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung) sorgt sich um ihr Mitglied Matthias Jochheim. Der 66jährige Allgemeinarzt und Psychotherapeut war auf den von israelischen Soldaten gestürmten Schiffen. Er benötigt regelmäßig Medikamente. IPPNW-Sprecher Jens-Peter Steffen äußerte am Montag in Berlin die Befürchtung, sie könnten ihm bei der Inhaftierung abgenommen worden sein. Steffen verlangte die Freilassung aller Gefangenen und eine internationale Untersuchungskommission. Die israelische Armee habe den Tod von Zivilisten billigend in Kauf genommen. »Der völkerrechtswidrige Angriff von israelischen Eliteeinheiten auf die Schiffe ist eine unverantwortliche Eskalation«, erklärt die IPPNW-Vorsitzende Dr. Angelika Claußen.

Eine Sprecherin der Friedensorganisation Pax Christi betonte, unter den rund 700 Aktivistinnen und Aktivisten seien mehrere Personen hohen Alters, die sich seit Jahrzehnten für Frieden und Gerechtigkeit engagierten und trotz der Strapazen die Reise auf sich genommen hätten.

Die friedenspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag, Christine Buchholz, verlangte von der Bundesregierung eine klare Verurteilung des Angriffs. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) hatte sich zuvor lediglich »tief besorgt« geäußert. »Die türkische Regierung hat deutlichere Worte gefunden«, betonte Buchholz.

Der Bundesausschuß Friedensratschlag erklärte, die seit vier Jahren praktizierte Abriegelung des Gazastreifens verstoße nicht nur gegen die Genfer Konventionen, sondern auch gegen alle Prinzipien der Humanität. »Piraterie und Mord sind Verbrechen, die auch dann bestraft werden müssen, wenn sie von befreundeten Regierungen begangen werden«, so Peter Strutynski. »Deshalb fordern wir von der Staatengemeinschaft, insbesondere von der EU, die israelischen Verstöße gegen Völkerrecht und Menschenrechte nicht weiter tatenlos hinzunehmen.« Die EU müsse über wirkungsvolle Sanktionen nachdenken und auch bereit sein, sie zu verhängen.

* Aus: junge Welt, 1. Juni 2010


Piratenakt und Kriegsverbrechen

Reaktionen

Von Karin Leukefeld **


International ist der israelische Angriff auf die unbewaffnete »Freiheitsflotte« am Montag scharf verurteilt worden. Die Türkei zog ihren Botschafter aus Tel Aviv ab und forderte eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates. In Ankara und Istanbul protestierten große Menschenmassen vor der israelischen Botschaft und dem Konsulat. Syrien forderte ein Sondertreffen der Arabischen Liga, und das Parlament in Kuwait hielt eine Sondersitzung ab. Der libanesische Ministerpräsident Saad Hariri bezeichnete den israelischen Angriff als »gefährlich und verrückt« und warnte vor weiteren Spannungen in der Region. Die mächtigen Staaten der internationalen Gemeinschaft müßten dafür sorgen, daß Israel seine ständigen Angriffe auf die Menschenrechte und den internationalen Frieden einstelle, so Hariri.

Amr Moussa, Generalsekretär der Arabischen Liga, verurteilte das »Verbrechen« gegen die humanitäre Mission und deren Teilnehmer. Die Außenministerien in Jordanien, Ägypten, Spanien und Schweden bestellten jeweils die israelischen Botschafter ein, auch Pakistan verurteilte den Angriff. Die Sadr-Bewegung im Irak rief zu Protesten vor der »Grünen Zone« in Bagdad auf, und der französische Außenminister Bernard Kouchner zeigte sich »zutiefst schockiert« über den Angriff. Der amtierende palästinensische Präsident Mahmud Abbas (Fatah) rief eine dreitägige Trauer aus und forderte die UNO auf, Israel wegen seiner Verletzung internationalen Rechts zu verurteilen. Saeb Erekat, der palästinensische Chefunterhändler, sprach von einem »Kriegsverbrechen«, während Ismail Haniya (Hamas) die Autonomiebehörde aufforderte, die indirekten Gespräche mit Israel zu beenden.

Als einer der ersten verurteilte am Montag morgen Scheich Hamad bin Khalife Al-Thani, der Emir von Katar, zu Wort und verurteilte den »israelischen Piratenakt gegen arabische und ausländische Aktivisten, die versuchten, die unmenschliche und ungerechte Belagerung gegen unsere Mitbürger im Gazastreifen zu brechen«. Alle, die »Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie predigen«, müßten handeln, damit die Blockade gebrochen werde »und das Blut dieser freien Menschen nicht umsonst geflossen« sei.

»Nur eine Regierung, die alle roten Linien überschritten hat« könne so ein »verrücktes Verbrechen« begehen, hieß es in einer Stellungnahme des israelischen Friedensaktivisten und früheren Knessetabgeordneten, Uri Avnery. Die israelische Regierung habe »jeden Bezug zur Realität verloren«, wenn sie »Schiffe mit Hilfsgütern und Friedensaktivisten aus aller Welt als Feinde betrachtet, mit einer großen Streitmacht in internationalen Gewässern angreift und gezielt tötet«.

** Aus: junge Welt, 1. Juni 2010

Presidential Statement

Der Präsident des UN-Sichereitsrats, Claude Heller (Mexiko) gab am 1. Juni folgende Erklärung im Namen des Sicherheitsrats ab:

The full text of the presidential statement, to be issued as document S/PRST/2010/9, reads as follows:

“The Security Council deeply regrets the loss of life and injuries resulting form the use of force during the Israeli military operation in international waters against the convoy sailing to Gaza. The Council, in this context, condemns those acts which resulted in the loss of at least 10 civilians and many wounded, and expresses its condolences to their families.

“The Security Council requests the immediate release of the ships as well as the civilians held by Israel. The Council urges Israel to permit full consular access, to allow the countries concerned to retrieve their deceased and wounded immediately, and to ensure the delivery of humanitarian assistance from the convoy to its destination.

“The Security Council takes note of the statement of the United Nations Secretary-General on the need to have a full investigation into the matter and it calls for a prompt, impartial, credible and transparent investigation conforming to international standards.

“The Security Council stresses that the situation in Gaza is not sustainable. The Council re-emphasizes the importance of the full implementation of resolutions 1850 (2008) and 1860 (2009). In that context, they reiterate their grave concern at the humanitarian situation in Gaza and stress the need for sustained and regular flow of goods and people to Gaza, as well as unimpeded provision and distribution of humanitarian assistance throughout Gaza.

“The Security Council underscores that the only viable solution to Israeli-Palestinian conflict is an agreement negotiated between the parties and re-emphasizes that only a two-State solution, with an independent and viable Palestinian State living side by side in peace and security with Israel and its other neighbours, could bring peace to the region.

“The Security Council expresses support for the proximity talks and voices concern that this incident took place while proximity talks are under way and urges the parties to act with restraint, avoiding any unilateral and provocative actions, and all international partners to promote an atmosphere of cooperation between the parties and throughout the region.

Quelle: Website der Vereinten Nationen; hier geht es zum Bericht der Sitzung des Sicherheitsrats vom 31. Mai und 1. Juni 2010: www.un.org




"Die Menschen in Gaza kochen vor Wut"

Nach der Nachricht vom Überfall: Unruhen auf den Straßen, Großdemonstration, Staatstrauer. Ein Gespräch mit Usama Antar ***

Dr. Usama Antar arbeitet als Politologe in Gaza-Stadt.

Wie reagieren die Palästinenser darauf, daß Israel auf hoher See auf Schiffen, die Hilfsgüter bringen wollten, ein Massaker angerichtet hat?

In Gaza herrscht Wut, die Menschen sind aufgebracht. Montag nachmittag hat es schon die ersten Unruhen auf den Straßen gegeben, überall fanden spontane Demonstrationen statt. Am Hafen, wo der Hilfskonvoi erwartet worden war, hatte sich aus Protest gegen den Piratenakt eine große Menschenmenge versammelt. Am frühen Nachmittag gab es in Gaza-Stadt eine Kundgebung, zu der die Parteien Hamas und Islamischer Dschihad, aber auch zivilgesellschaftliche Organisationen aufgerufen hatten. Daran nahmen auch viele Palästinenser teil, die keiner dieser Gruppierungen angehören. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hat drei Tage Staatstrauer angeordnet.

Dieser Überfall des israelischen Militärs wird nicht in Vergessenheit geraten. Es sind dabei dieses Mal keine Palästinser ums Leben gekommen, sondern Ausländer – wer in aller Welt soll jetzt noch glauben, diese Kommandoaktion sei ein Akt der Selbstverteidigung Israels gewesen?

Die Menschen in Gaza haben dieses Hilfsprojekt schon seit zwei Monaten mit großem Interesse verfolgt – jetzt aber wird überall darüber berichtet. Uns interessiert sehr, mit welchen Augen die Welt nach diesem Zwischenfall auf die Lage in Gaza schaut. Die internationale Politik hat nämlich total darin versagt, die Probleme zu lösen. Seit vier Jahren zerstört Israel mit seiner Blockade das Leben der Menschen hier – wovon letztlich die Hamas-Bewegung profitiert.

Könnte das Massaker auf hoher See Auslöser für eine neue Intifada sein?

In Gaza sicherlich nicht – wohl aber vielleicht in Israel selbst: Raed Salah, der Führer der israelischen Moslems, wurde bei dem Überfall lebensgefährlich verletzt. Er ist ein wichtiges Symbol für den Widerstand der Araber in den von Israel schon seit 1948 besetzten Gebieten. Salah ist darüber hinaus wichtig für alle Palästinenser – ob sie nun im Westjordanland, in Gaza oder in Israel leben. Er kämpft unter anderem für den Zugang zur Al-Aqsa-Moschee und für die Rechte der Palästinenser in Ostjerusalem. Wenn er für tot erklärt würde, gälte er als Märtyrer – was einen Volksaufstand nach sich ziehen könnte. Zumindest dürfte es erhebliche Unruhen geben.

Wie ist die materielle Situation in Gaza?

Hunger leiden wir zwar nicht – es gibt Mehl und Reis vom UN-Flüchtlingshilfswerk. Es ist aber erniedrigend, wenn man nur von internationalen Organisationen ernährt wird. Die Menschen in Gaza können keine Häuser mehr bauen, Israel läßt nämlich keinen Zement herein. Aber das Schlimmste ist nicht allein die Perspektivlosigkeit. Israel schränkt die Bewegungsfreiheit der Menschen völlig ein, der Gazastreifen ist isoliert vom Rest der Welt.

Wie dringend werden die Hilfsgüter auf den von Israel geenterten Frachtern benötigt?

Wir brauchen sie sehr, sehr dringend. Es sind ja vor allem medizinisches und Baumaterial, Medikamente und Rollstühle für Behinderte – alles Güter, die die Israelis nur selten nach Gaza durchlassen. Wie gesagt, die nötigsten Lebensmittel kommen durch, alles andere nur im äußersten Ausnahmefall. Gerade Rollstühle sind besonders nötig – seit der Bombardierung Gazas im Sommer 2006 und seit dem Krieg, den Israel 2008/2009 anzettelte, hat die Zahl der Verkrüppelten stark zugenommen. Luftangriffe auf Gaza finden übrigens auch heute noch jede Nacht statt.

Wie soll es weitergehen?

Der Piratenakt wird enorme Konsequenzen haben: Die Beziehungen Israels zur Türkei sind jetzt schon schwer erschüttert, auch die indirekten Gespräche zwischen Palästinensern und Israel werden leiden – ein Friedensprozeß wird immer unwahrscheinlicher. Jetzt ist die internationale Gemeinschaft gefragt, die Welt darf ihre Augen nicht mehr vor Israels Vorgehen verschließen und die Blockade muß beseitigt werden.

Die Menschen in Gaza kochen vor Wut, sie wollen wieder unbehelligt reisen können, ihre Verwandten in der Westbank besuchen, sie müssen ihre zerschossenen Häuser wieder aufbauen.

Interview: Martin Lejeune

*** Aus: junge Welt, 1. Juni 2010


"Es war ein Akt der Piraterie"

Völkerrechtswidriger Angriff auf "Free Gaza"-Solidaritätsflotte. Linke verlangt Freilassung aller Gefangenen. Ein Gespräch mit Christine Buchholz ****

Christine Buchholz ist friedenspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag.

Ihre Fraktionskolleginnen Annette Groth und Inge Höger befanden sich an Bord der zum internationalen Gaza-Solidaritätskonvoi gehörenden »Marmara«, als das Schiff in der Nacht zum Montag von israelischen Soldaten gestürmt wurde. Hatten sie mit einer so schlimmen Entwicklung gerechnet, als sie aufbrachen?

Niemand von uns ist davon ausgegangen, daß die israelische Armee mit einer solchen Brutalität vorgeht und billigend in Kauf nimmt, daß Aktivistinnen und Aktivisten dabei zu Tode kommen. Sie wollten doch lediglich Hilfsgüter für die palästinensische Bevölkerung in den abgeriegelten Gazastreifen bringen.

Wie hatten sich die Teilnehmer der Solidaritätsflotte auf eine Begegnung mit der israelischen Armee eingestellt?

Für die»Free Gaza«-Bewegung war klar: Wir lassen uns nicht aufhalten, wir fahren weiter. Ebenso klar war aber, daß gegen eine solche militärische Übermacht kein Widerstand geleistet wird. Unbewaffnete Zivilisten sind selbstverständlich unterlegen, sobald sich bewaffnete Elitesoldaten auf ein Schiff abseilen. Unabhängig von der Aussichtslosigkeit würde ich es aber als Notwehr werten, wenn sich jemand in einem solchen Fall zu wehren versucht. Wir reden hier nämlich von einem Akt der Piraterie in internationalen Gewässern!

Die Gewalt ist von israelischer Seite ausgegangen. Eine Diskussion über die Gewaltbereitschaft der Angegriffenen anzustoßen, wie jetzt versucht wird, halte ich für reine Ablenkung. Natürlich wußten alle Beteiligten, daß es eine riskante Aktion ist. Die »Free Gaza«-Bewegung hat versucht, den politischen Preis hochzutreiben – unter anderem durch die Präsenz von zwei Bundestagsabgeordneten und weiteren Prominenten an Bord. Mit Norman Paech war auch noch ein ehemaliger Bundestagsabgeordneter dabei. Aber im Grunde kann man sich nicht auf eine solche Situation einstellen, sondern nur versuchen, politischen Druck durch die Öffentlichkeit zu erzeugen, um so etwas zu verhindern. Das hat offenbar nicht gereicht – und es ist schockierend, mit welcher Härte die israelische Armee zugeschlagen hat. Die Bundesregierung muß den Angriff mit schärferen Worten als bisher verurteilen.

Die Teilnehmer hatten sich von der Prominenz einiger Mitreisender einen gewissen Schutz versprochen – rund 700 Aktivistinnen und Aktivisten waren insgesamt an Bord der Schiffe. In der israelischen Hafenstadt Aschdod wurde für sie schon vor einigen Tagen ein Lager eingerichtet. Welche Schritte wollen Sie jetzt unternehmen?

Unser wichtigstes Ziel ist die Freilassung aller Gefangenen. Wir verlangen die Gleichbehandlung aller Betroffenen, weil alle zu Unrecht festgesetzt wurden. Deutsche Behörden haben natürlich mehr Möglichkeiten, sich um die fünf Teilnehmer mit deutschen Pässen zu kümmern. Zu ihnen hatten wir bisher intensiveren Kontakt, den wir aber noch nicht wieder herstellen konnten. Im Augenblick sind wir dabei, uns weitere Schritte zu überlegen. Wir haben Kontakt zum Auswärtigen Amt aufgenommen, ebenso zur israelischen Botschaft. Bisher haben wir aber noch keine Auskunft erhalten, wo sich die deutschen Teilnehmer genau befinden. Die kleineren Schiffe sind nach meinen Informationen schon am Montag morgen im Hafen von Ashdod eingetroffen.

Schiffe der Bundesmarine stehen vor der libanesischen Küste, unweit des Orts des Überfalls, in einem Auslandseinsatz. Haben Sie vor, auch vom Verteidigungsministerium eine Stellungnahme zu verlangen?

Über weitere Schritte müssen wir uns noch abstimmen. Vom Verteidigungsministerium wüßte ich jedenfalls gern, welche Informationen sie über den Vorgang hatten, ob die deutsche Marine die Schiffsbewegungen registriert hat und ob sie gar über den geplanten Übergriff informiert wurde.

Interview: Claudia Wangerin

**** Aus: junge Welt, 1. Juni 2010

Offizielle Erklärungen Israels *****

Stellungnahme von Verteidigungsminister Ehud Barak

Israels Verteidigungsminister Ehud Barak hat sich heute auf einer Pressekonferenz, an der auch Generalstabschef Gabi Ashkenazi und der Kommandant der israelischen Marine, Eliezer Marom, teilnahmen, zu der Einnahme der Gaza-Flottille durch die israelische Marine geäußert.

„In der Nacht haben Einheiten der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (ZAHAL) die Kontrolle über die Flottille übernommen, die versuchte, trotz der Blockade an die Küste Gazas zu gelangen. Das engere Kabinett, der Ministerpräsident und ich hatten die Armee angewiesen, die Operation durchzuführen.

Auf einem der sechs Schiffe übten die Passagiere gewaltsamen Widerstand. Wir bringen unser Bedauern über die Verwundeten zum Ausdruck. Die Verantwortung dafür liegt jedoch voll und ganz bei den Organisatoren der Flottille und jenen der Teilnehmer, die die Gewaltaktion einleiteten.

Der Staat Israel hat sich, noch bevor die Flottille in See stach und auch während ihrer Fahrt, an die Organisatoren gewandt und sie dazu aufgerufen, den Hafen Ashdod anzulaufen und ihre für Gaza bestimmte Hilfsladung nach einem Sicherheitscheck weiter zu transferieren. All jene Aufrufe wurden jedoch vor der Fahrt und auch währenddessen negativ beantwortet.

Beim Entern eines der Schiffe wurden die Soldaten angegriffen; einige von ihnen wurden infolge der physischen Gewalt von Seiten der Demonstranten verletzt. Ich kenne diese Art von Aktionen und wie sie sich entwickeln können; ich kenne die Einheiten, die operierten, und ihre Kommandanten; die Rede ist von unseren besten Leuten.

Im Laufe des Geschehens sahen sich die Soldaten angesichts der ihnen drohenden Lebensgefahr, Mittel zur Zerstreuung der Demonstranten einzusetzen und auch scharfe Munition. Im Ergebnis wurden ersten Berichten zufolge zehn Teilnehmer der Flottille getötet und andere verletzt. Darüber hinaus wurden mehr als zehn Marinesoldaten verwundet, teils durch Schusswaffen, teils durch andere Waffen. Alle Verwundeten wurden in Krankenhäuser gebracht.

Ich habe mit dem Verteidigungsminister, dem Außenminister und dem Botschafter der Türkei gesprochen; wir schätzen kontinuierlich die Lage ein.

Vom Generalstabschef und dem Sicherheitsapparat bekomme ich Berichte, ich habe einige Male mit dem Ministerpräsidenten, dem Präsidenten, dem stellvertretenden Ministerpräsidenten, dem Außenminister und dem Minister für innere Sicherheit gesprochen.

In Gaza herrscht kein Hunger und keine humanitäre Krise; das Gebiet wird von der Hamas beherrscht, einer Terrororganisation, die ständig an Stärke gewinnt durch Waffen und Raketen, die darauf abzielen, Israel zu treffen, und Israel schon in der Vergangenheit getroffen haben. Sie hält unter Verletzung jeglicher internationaler Konventionen einen israelischen Soldaten gefangen. Insofern hat Israel das natürliche Recht, jeden Gegenstand zu prüfen, der nach Gaza gelangt.

Die gesamte Flottille ist eine politische und mediale Provokation von Seiten antiisraelischer Elemente; die IHH, die Organisation, die hinter diesem Schiff steht, das wild wurde, ist eine gewalttätige und extremistische Organisation, die unter dem Deckmantel humanitärer Aktionen Terrororganisationen unterstützt und auch nicht das Geringste mit humanitärer Hilfe zu schaffen hat.

Dies ist eine Zeit für Verantwortung, und ich rufe alle Führer der israelischen, palästinensischen, arabischen und internationalen Öffentlichkeit dazu auf, zurückhaltend und durchdacht zu agieren und nicht eine anarchistische Organisation und extremistische Elemente, deren Ziel die Störung der öffentlichen Ordnung ist, den bedauerlichen Vorfall für Gewalt missbrauchen zu lassen.

Wie sich die Auseinandersetzungen auch immer gestalten werden – Israel wird weiter entschlossen seine Souveränität, seine Sicherheit, sein Recht auf Selbstverteidigung und seine Bürger schützen, an jedem Ort, zu jeder Zeit und auf jede Art und Weise, die erforderlich wird.

Die Verantwortung für die Lage im Gaza-Streifen liegt voll und ganz bei der Terrorherrschaft der Hamas. Die Freilassung Gilad Shalits und die sofortige Beendigung aller Terroraktivitäten sind die Bedingungen für jede Änderung der bestehenden Realität.

Israel bringt stets seinen Friedenswillen zum Ausdruck, unsere Hand bleibt auch weiterhin jedem zum Frieden ausgestreckt, der dies wünscht.

Ich rufe die Führer der arabischen Staaten und die Führung der Palästinenser dazu auf, den heutigen Vorfällen nicht zu gestatten, unsere Meinung von der Hauptsache abzulenken und nicht den diplomatischen Fortschritt zu verpassen, der mit der Aufnahme von Annäherungsgesprächen erzielt worden ist, und zum Verhandlungstisch zurückzukehren, zu direkten Gesprächen zum Wohle der Zukunft der gesamten Region.“

(Außenministerium des Staates Israel, 31.05.10)


Stellungnahme von Vizeaußenminister Danny Ayalon

Auch Israels stellvertretender Außenminister, Danny Ayalon, hat sich heute auf einer Pressekonferenz zu der Einnahme der Gaza-Flottille durch die israelische Marine geäußert.

„Ich möchte an diesem Morgen mitteilen, dass die Armada von Hass und Gewalt zur Unterstützung der Terrororganisation Hamas eine vorsätzliche und ungeheuerliche Provokation war. Die Organisatoren sind bestens bekannt für ihre Beziehungen zum Globalen Jihad, zu Al-Qaida und zur Hamas. Sie haben eine Geschichte von Waffenschmuggel und tödlichem Terror. An Bord des Schiffes fanden wir Waffen, die im Voraus bereitlagen und gegen unsere Soldaten zum Einsatz kamen. Die Absicht der Organisatoren war gewaltsam, ihre Methode war gewaltsam und – leider – waren die Resultate gewaltsam.

Israel bedauert jeden Verlust von Menschenleben und hat alles dafür getan, diesen Ausgang zu vermeiden. Wir haben die Organisatoren und alle, die mit ihnen verbunden waren, über diplomatische Kanale und alle andere möglichen Wege wiederholt dazu aufgerufen, diese Provokation zu beenden.

Die sog. humanitäre Hilfe diente nicht humanitären Zwecken. Wäre sie für einen humanitären Zweck bestimmt gewesen, hätten sie unser Angebot angenommen, alle humanitären Güter durch die passenden Kanäle zu liefern, die täglich in Betrieb sind, da wir sicherstellen, dass es keinen Engpass an humanitärem Bedarf in Gaza gibt. Auf täglicher Basis tun wir dies. Wir baten sie darum, dies durch die angemessenen Kanäle zu schicken, seien es die UNO, das Rote Kreuz, unsere Leute, aber vergeblich.

Sie sagten, es handele sich um eine humanitäre Kampagne, aber tatsächlich sagten sie wiederholt, dass es ihre Absicht und ihr Ziel sei, die Blockade, die Seeblockade Gazas zu durchbrechen. Die Seeblockade Gazas ist absolut legal und durch den Terror, den die Hamas in Gaza betreibt, gerechtfertigt. Diesen Schiffen die illegale Einreise nach Gaza zu gestatten, hätte einen Korridor für den Schmuggel von Waffen und Terroristen nach Gaza geschaffen, mit dem Ergebnis, dem unvermeidlichen Ergebnis vieler tausender toter Zivilisten und Gewalt in der gesamten Region.

Nachdem die wiederholten Aufrufe nicht von den Organisatoren beherzigt worden waren, teilten wir ihnen mit, dass ihnen ein Durchbrechen der Blockade nicht gestattet werde, wozu wir gemäß dem Seerecht berechtigt sind. Leider befolgten auch die Organisatoren auf jenem Schiff nicht die Aufrufe unserer Soldaten heute Morgen, ihnen friedlich zu folgen und diesen Vorgang zu einem Abschluss, einem friedlichen Abschluss zu bringen.

Kein souveräner Staat würde solche Gewalt gegen seine Zivilbevölkerung zulassen, gegen seine Souveränität, gegen das internationale Recht. Und wir in Israel rufen heute alle relevanten Parteien und alle relevanten Staaten dazu auf, gemeinsam auf eine Beruhigung der Lage hinzuarbeiten.“

(Außenministerium des Staates Israel, 31.05.10)

***** Quelle für beide Erklärungen: Newsletter der Israelischen Botschaft in Berlin, 31. Mai 2010




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