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Israel bombardierte UNO-Gebäude: 46 Tote

Schule diente als Flüchtlingsunterkunft / Rotes Kreuz: "Absolute" humanitäre Krise im Gaza-Streifen

Durch einen israelischen Angriff im Gaza-Streifen sind am Dienstag nach palästinensischen Angaben in einem Schulgebäude der UNO mindestens 46 Menschen getötet und über 150 verletzt worden.

Gaza (Agenturen/ND). Die israelische Armee habe vier Raketen auf die Umgebung der El-Fachura- Schule in Dschabalija im Norden des Gaza-Streifens abgefeuert, berichteten Augenzeugen. Vor Ort seien rund 30 Tote gezählt worden, sagte der Leiter des Kamal-Edwan-Krankenhauses. Weitere Tote sowie Verletzte wurden nach Angaben von Medizinern in ein anderes Krankenhaus gebracht. Die Schule war vom UNO-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) als Flüchtlingsunterkunft genutzt worden. Angeblich sollen Palästinenser von dort Granaten abgeschossen haben.

Am Morgen waren bereits fünf Todesopfer bei zwei Angriffen auf Schulen des UNRWA im Flüchtlingslager Schati in der Nähe von Gaza sowie in Chan Junis im Süden des Gaza-Streifens gemeldet worden. Seit Beginn der israelischen Angriffe im Gaza-Streifen wurden laut palästinensischen Rettungskräften mehr als 630 Palästinenser getötet und über 2900 weitere verletzt. Die Zahl der israelischen Todesopfer stieg auf sechs.

Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) bezeichnete die Situation im Gaza-Streifen als »absolute« humanitäre Krise. Immer mehr Zivilisten würden bei der israelischen Offensive in dem Palästinensergebiet getötet oder säßen dort nun in der Falle, teilte die Hilfsorganisation am Dienstag in Genf mit.

»Ich habe nicht ausreichend Worte, um zu sagen, wie besorgt und beunruhigt das IKRK wegen der Krise im Gaza-Streifen ist«, sagte der IKRK-Direktor für operative Einsätze, Pierre Krähenbühl. Die Zahl der verletzten und getöteten Zivilisten nehme zu und auch die zivile Infrastruktur werde zunehmend in Mitleidenschaft gezogen. Die Nacht zum Dienstag sei nach Berichten von IKRKHelfern vor Ort die »schrecklichste bisher« gewesen, sagte Krähenbühl. »Es ist im Moment absolut unerlässlich, dass die Konfliktparteien alles tun, damit Zivilisten nicht in die Schusslinie geraten.«

Die Hilfsorganisation medico international kritisierte zudem die schlechten Bedingungen in den Krankenhäusern. »Es fehlen viele Medikamente. Das Gesundheitspersonal ist mit den komplizierten Notoperationen überfordert«, sagte der örtliche Vertreter Tsafrir Cohen. Demnach arbeiten Krankenhausmitarbeiter und Freiwillige rund um die Uhr in drei Schichten, um Verletzte zu versorgen.

Die Hamas im Gaza-Streifen drohte der israelischen Armee mit einem Heer von Selbstmordattentätern. »Es gibt Hunderte von Kämpfern, die bereit sind, sich selbst zu sprengen, falls die zionistischen Kräfte in die Vororte von Gaza-Stadt eindringen«, hieß es in einer Erklärung des Sprechers der Al-Kassam-Brigaden, Abu Obeida, vom Dienstag. Einer der Kämpfer habe sich bereits unter einem israelischen Panzer gesprengt.

Angesichts zunehmender internationaler Aufrufe zu einem Ende des Blutvergießens nannte der amtierende israelische Ministerpräsident Ehud Olmert derweil erste Bedingungen für eine Waffenruhe. Danach soll es eine Feuerpause nur bei verbindlichen Zusagen über einen Stopp der Raketenangriffe militanter Palästinenser sowie des Waffenschmuggels in den Gaza-Streifen geben.

Der Sicherheitsrat wollte in der Nacht zu Mittwoch (7. Jan.) erneut zusammentreffen, um über eine Resolution für eine Waffenruhe zu beraten. An den Verhandlungen wollte auch Palästinenserpräsident Mahmud Abbas teilnehmen. EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner hatte zuvor gegenüber Präsident Schimon Peres erneut für eine »humanitäre Feuerpause« geworben. Sie warnte Peres, dass Israel seine internationale Unterstützung aufs Spiel setze. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy setzte seine Vermittlungsbemühungen mit Gesprächen in Syrien und Libanon fort. Von Syrien forderte er, die Hamas dazu zu bringen, ihre Raketenangriffe auf Israel einzustellen.

* Aus: Neues Deutschland, 6. Januar 2009

Reaktionen

New York, 6 January 2009 - Statement by the Secretary-General on strike on UN Relief and Works Agency (UNRWA) School in Gaza

In the last day, three schools operated by the United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA) have been hit by nearby Israeli military strikes. A substantial number of civilians have been killed, particularly in the third strike, and many more have been injured. I am awaiting full confirmation of the details of these incidents.

These, and over twenty other schools, are serving as temporary shelters to over 15,000 Palestinians whose homes have been destroyed or who are fleeing the violence. They are seeking sanctuary in UNRWA schools because they have no other place to go and are not able to flee the Gaza Strip.

In another incident, seven UN staff were injured, three seriously, together with three patients, when a strike on a neighbouring building caused substantial collateral damage to an UNRWA health centre.

The locations of all UN facilities have been communicated to the Israeli authorities and are known to the Israeli army. After earlier strikes, the Israeli government was warned that its operations were endangering UN compounds. I am deeply dismayed that despite these repeated efforts, today's tragedies have ensued. These attacks by Israeli military forces which endanger UN facilities acting as places of refuge are totally unacceptable and must not be repeated. Equally unacceptable are any actions by militants which endanger the Palestinian civilian population.

Today's events underscore the dangers inherent in the continuation and escalation of this conflict. I call once again for an immediate ceasefire.

Quelle: www.un.org


Erklärung des israelischen Außenministeriums

Zur Tragödie an der Schule in Jebaliya

Am Dienstag sind 30 Palästinenser beim Beschuss einer Schule in Jebaliya durch die israelische Armee getötet worden. Erste Untersuchungen weisen darauf hin, dass Terroristen der Hamas Mörsergranaten vom Schulgelände aus auf israelische Truppen abgefeuert hatten, welche das Feuer dann in Richtung seiner Herkunft erwiderten. Das israelische Gegenfeuer ging außerhalb der Schule nieder; eine Reihe von anschließenden Explosionen deutet aber darauf hin, dass sich innerhalb des Gebäudes Munition und Sprengstoff befanden. Geheimdienstinformationen zufolge sind unter den Getöteten zwei bekannte Mörsergranaten-Schützen der Hamas, Immad Abu Iskar und Hassan Abu Iskar.

Unschuldige Zivilisten hätten nicht sterben dürfen; es ist jedoch wichtig zu verstehen, wer wirklich für diesen schrecklichen Vorfall die Verantwortung trägt. Die Hamas begann den gegenwärtigen Konflikt, als sie vor drei Wochen einseitig die Waffenruhe aufkündigte und unprovozierte Raketen- und Mörsergranatenangriffe gegen israelische Städte vom Zaun brach. Dieser Akt der Aggression stellt einen klaren Verstoß gegen das internationale Recht dar und wirft ein Schlaglicht auf eine grundsätzliche Tatsache: Nicht ein einziger Israeli und nicht ein einziger Palästinenser wären zu Schaden gekommen, wenn die Hamas nicht mit die brutalen Angriffe gestartet hätte.

Israel musste reagieren. Keine Regierung würde untätig daneben stehen, wenn ihre Bürger Raketen und Mörserangriffen ausgesetzt wären. Selbstverteidigung ist ein unveräußerliches Recht und die Verantwortung eines jeden Staates. Es ist in der UN-Charta festgeschrieben und bleibt ein Eckpfeiler des internationalen Rechts.

Während die Untersuchung des Vorfalls weiter geht, ist ein entscheidendes Detail schon offenkundig: Diese Tragödie ist passiert, weil die Hamas regelmäßig ihre eigene Bevölkerung als menschliche Schutzschilde missbraucht. Während sie darauf wettet, dass Israel vor einem Gegenschlag in bewohnten Gebieten zurückschreckt, sichert die Hamas diese Wette mit dem Wissen ab, dass sie auch im Falle einer Verletzung von Zivilisten gewinnen würde, da Israel von den weltweiten Medien kritisiert werden würde.

Die beste Art und Weise, den Missbrauch von Palästinensern als menschliche Schutzschilde zu verhindern, wäre, dass die internationale Gemeinschaft damit beginnt, demjenigen die Schuld zuzuweisen, der sie wirklich trägt - den Hamas-Terroristen, die das Leiden ihrer eigenen Leute für politische Zwecke ausschlachten. Nur konzertierte internationale Kritik wird die Terrororganisation dazu bringen, diese perverse Praxis einzustellen.

Während ihrer Operationen in Gaza unternimmt die israelische Armee alle erdenklichen Anstrengungen, um die beiden grundlegenden Legitimitätskriterien des internationalen humanitären rechts zu erfüllen: 1. dass es sich bei den Zielen um legitime militärische Angriffsziele handelt, und 2. dass es eine Aktion der Zivilbevölkerung und ihrem Besitz voraussichtlich keinen unverhältnismäßigen Schaden zufügt.

Israel steht in Hinsicht auf die Bestimmung der Legitimität beabsichtigter Ziele einer besonderen Herausforderung gegenüber. Die Präsenz von Zivilisten in einem Konfliktgebiet macht ein militärisches Ziel noch nicht zu einem illegitimen Ziel. Dies entspricht dem Wortlaut des Gesetzes und spiegelt die staatliche Praxis wider.

Die vom Iran unterstützte Hamas weigert sich - als Teil ihrer Strategie -, eine der grundlegendsten Anforderungen des internationalen humanitären Rechts zu befolgen – die Unterscheidung zwischen militärischen Einrichtungen und zivilem Besitz zu unterscheiden.

Israel tut alles, um von Nichtkombattanten Schaden abzuwenden. Die Verantwortung für jeglichen Kollateralschaden an Zivilisten trägt die Hamas.

Außenministerium des Staates Israel, 06.01.09

Quelle: Newsletter der israelischen Botschaft in Berlin, 7. Januar 2009



Ganze Familien getötet

Von Karin Leukefeld **

Bei israelischen Angriffen auf eine Schule der Vereinten Nationen im Gazastreifen sind am Dienstag (6. Jan.) nach Angaben der britischen BBC mindestens 40 Menschen getötet worden. In dem Gebäude in Dschebalija hielten sich Flüchtlinge auf. Bereits am Montag abend hatte die israelische Armee eine Schule des UN-Hilfswerks UNWRA in der Siedlung Schati beschossen. Dort hatten mehrere hundert Palästinenser aus Gaza Zuflucht gesucht. Drei Männer wurden bei der Attacke getötet. Insgesamt waren in der Nacht auf Dienstag 23 Palästinener getötet worden. Die Zahl der Kriegstoten stieg damit auf über 630. Mehr als 2900 Menschen wurden verletzt.

Wie der arabische TV-Sender Al-Dschasira berichtete, wurden ganze Familien tot im zentralen Al Shifa-Krankenhaus eingeliefert. Ein Mann brachte seine drei toten Kinder und seine tote Frau. In einem anderen Fall wurden zwölf Angehörige einer Familie getötet, darunter sieben Kinder im Alter zwischen einem und zwölf Jahren. Die israelische Armee hatte zwei Raketen auf das Haus eines Hamas-Mitglieds geschossen, das der scheinbar gesuchte Mann mit seiner Familie bereits Ende Dezember verlassen hatte.

Nach Angaben des Arztes Mads Gilbert, der mit einem weiteren Kollegen aus Norwegen im Al-Shifa-Krankenhaus in Gaza hilft, sind bisher 117 Kinder getötet und 744 verletzt worden. »Ich habe hunderte Patienten gesehen, darunter waren nur zwei Hamas-Kämpfer.« Alle Fenster im Krankenhaus seien nach einem israelischen Angriff auf eine benachbarte Moschee zerborsten. Seit Beginn der Offensive wurden außerdem drei Krankenwagen von israelischen Flugzeugen beschossen und sieben Sanitäter getötet.

Die israelische Regierung verteidigt derweil ihren Krieg. Kein Land könne es zulassen, »daß eine Terrororganisation das Leben seiner Bürger schwer macht«, sagte Verteidigungsminister Ehud Barak. Die israelische Armee habe den Gazastreifen in zwei Teile geteilt und die Stadt Gaza eingekreist, doch der Raketenbeschuß aus dem abgeriegelten Gebiet wurde nicht gestoppt. In Sderot gingen am Dienstag erneut vier selbstgebaute palästinensische Raketen nieder, verletzt wurde niemand. Auch in der 45 Kilometer von der Grenze zum Gazastreifen entfernt liegenden Ortschaft Gedera schlug eine Rakete ein, nach Militärangaben wurde ein Säugling leicht verletzt. Über den Fortgang der Kämpfe informiert fast ausschließlich das israelische Verteidigungsministerium. Danach sollen sich die Kämpfe zwischen den israelischen Soldaten und Kämpfern der Hamas intensiviert haben. Augenzeugen berichteten von Panzern in der Nähe der Ortschaften Khan Younis und Deir el Balah. Auf israelischer Seite wurden bis Dienstag fünf Soldaten getötet. Vier von ihnen fielen eigenem Feuer zum Opfer, erklärte ein Militärsprecher.

Die Vermittlungsbemühungen einer europäischen Delegation wurden von Israel abgebügelt. Man sei »mit offenen Armen empfangen« worden, so EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner. Allerdings zeigte sich die israelische Seite nicht bereit, der EU-Forderung nach einem »humanitären Waffenstillstand von 48 Stunden« zuzustimmen, in dem »humanitäre Korridore« eingerichtet werden sollten, so die Politikerin. Dem ebenfalls in der Region vermittelnden französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy sagte der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert, er solle lieber dafür sorgen, daß im UN-Sicherheitsrat ein Aufruf für einen sofortigen Waffenstillstand verhindert wird.

** Aus: junge Welt, 7. Januar 2009


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