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Irgendwann wollen sie zurückkehren

Viele Siedler finden sich mit Evakuierung nicht ab

Von Martin Lejeune, Be'er Scheva *

Als ihr Ministerpräsident Sharon sie zum Verlassen ihrer auf geraubtem Land errichteten Siedlungen zwang, wehrten sich viele der Bewohner bis zuletzt erbittert. Nicht wenige von ihnen haben den Gedanken an eine Rückkehr nie aufgegeben.

Uri Amit ist einer von 8000 Siedlern, die am 15. August 2005 von Soldaten der israelischen Armee mit Gewalt aus Gaza vertrieben wurden. Der orthodoxe Jude wohnte mir seiner Familie in der Siedlung Neve Dekalim und will sich bis heute mit seiner Evakuierung nicht abfinden: »Meine Frau ist in Gaza geboren, und dort wird sie auch sterben«, ist sich Amit gewiss. »Wir kehren zurück, sobald Gott uns von den unsäglichen Qualen unseres Exils erlöst haben wird.« Aus seinem tiefen Gottesvertrauen speist der Ex-Siedler, der heute unfreiwillig mit seinen vier Kindern in einer provisorischen Unterkunft in Tsurim nahe Kiriat Maalachi lebt, seine Hoffnung auf die von vielen so sehr ersehnte Rückkehr nach Gaza.

Vor allem im Süden des Landes ist der Unmut der Bevölkerung über den Abzug groß. Für die Menschen hier steht fest, dass der Abzug es der Hamas vereinfacht habe, den Gaza-Streifen zu übernehmen und den Raketenbeschuss auf den Süden Israels zu intensivieren. »Die Hamas ist verantwortlich für den Abschuss mehrerer tausend Raketen aus dem Gaza-Streifen, eine Tatsache, die über eine Million Israelis seit Jahren in unzumutbaren Umständen leben lässt«, klagt ein Bäcker in Be'er Scheva, einer der größten Städte des Landes.

Am Vorabend des fünften Jahrestages des Rückzugs aus Gaza, ist von den Bewohnern Be'er Schevas häufig zu hören, dass der einseitige Abzug Israels nach 38 Jahren Besatzung hauptsächlich negative Folgen mit sich gebracht und dem Land nur noch mehr Probleme bereitet habe. »Die Islamisten kontrollieren jetzt die Grenzübergänge nach Israel und Ägypten und herrschen über die Schmuggeltunnel. Das hat es vorher nicht gegeben«, meinte eine der Kundinnen in der Bäckerei.

Als Israel aus Gaza abzog, musste Liad Levy-Mousan gerade seine Wehrpflichtzeit ableisten. So passierte es, dass der junge Soldat zum Einsatz gegen die Siedler herangezogen wurde. Für Levy-Mousan war der Abzug »insgesamt eine gute Sache, weil er endlich klare Verhältnisse schuf in Gaza und die komplizierte Situation zwischen Israelis und Palästinensern dort beendete. Außerdem wurde mit dem Abzug die Besetzung des Gaza-Streifens beendet, und Israel hat weniger Verantwortung.«

Doch auch ihn plagen heute bei der Beurteilung des Abzuges ambivalente Gefühle wegen des Raketenbeschusses: »Es wurde die Gelegenheit versäumt, eine bilaterale Kooperation mit Ägypten zu vereinbaren, um Kairo zu verpflichten, den Waffenhandel zu verhindern.« Levy-Mousan würdigt allerdings die historische Bedeutung des Abzugs: »Es war das erste Mal, dass Israel so klar gegen die Siedlerbewegung vorging. Viele aus dem rechtsnational-religiösen Lager hatten nicht gedacht, dass dies jemals passieren würde.«

Allerdings habe der Abzug den Entfremdungsprozess zwischen rechtsnational-religiösen Zionisten und staatlichen israelischen Institutionen beschleunigt. Für diese Zionisten sei die Evakuierung Gazas ein großes Trauma. Dieses halte an -- noch immer gebe es Demonstrationen gegen den Abzug. Doch nicht nur bei den Zivilisten, auch in der Armee sind die Meinungen gespalten in Bezug auf den Abzug Israels, wie Arye Shalicar, Pressesprecher der Armee gegenüber ND bestätigt. Für Shalicar hat sich die Lage nach der »Operation Gegossenes Blei«, dem jüngsten Gaza-Krieg, jedoch ein wenig beruhigt: »Seit Anfang des Jahres sind nur etwa 100 Raketen auf Israel abgefeuert worden. Doch insbesondere wegen dieses endlosen Terrors der Hamas fragen sich nicht wenige Israelis, ob der Abzug eine gute Entscheidung war.«

* Aus: Neues Deutschland, 16. August 2010


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