Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kaltblütig erschossen

Israelische Soldaten berichten über die Kriegsverbrechen ihrer Kameraden während des jüngsten militärischen Überfalls auf den Gazastreifen

Von Karin Leukefeld *

Weil eine Mutter in die falsche Richtung ging, als sie mit ihren zwei Kindern das von israelischen Soldaten umstellte Haus verließ, wurden sie und die Kinder von einem Scharfschützen erschossen. Die Straße sei zuvor von der Armee zur Sperrzone erklärt worden, schilderte ein Soldat, der dabei war. Die Frau hatte die Anordnung mißverstanden und war nach rechts statt nach links gegangen. Der Mord geschah während des 22-Tage-Krieges im Gazastreifen. Berichtet worden war darüber schon bei einem Lehrgang in der Yitzhak-Rabin-Akademie vor einigen Wochen, in der Rekruten auf den Militärdienst vorbereitet werden. Der Mord an der palästinensischen Mutter und ihren beiden Kindern war nur ein Beispiel des terroristischen Vorgehens der israelischen Soldaten. Zivilisten seien mißhandelt worden, Häuser und Wohnungen wurden gezielt zerstört oder verwüstet, zivile Infrastruktur sei nicht tabu gewesen, wie es das Kriegsrecht vorschreibt, sondern im Gegenteil gezielt angegriffen worden. Aus den Aussagen der Soldaten, die der Direktor der Akademie, Dany Zamir, zusammengetragen hatte, sei deutlich geworden, daß während des Krieges »eine Atmosphäre herrschte, in der alle sich frei fühlten, uneingeschränkte Gewalt gegen Palästinenser anzuwenden«, sagte Zamir jetzt in einem Radiointerview. Als Soldat habe man den Eindruck bekommen, »daß das Leben von Palästinensern sehr, sehr viel weniger wert ist als das Leben unserer Soldaten«, erinnerte sich ein Soldat. Man habe ohne Vorwarnung und wahllos um sich geschossen, »weil jeder Mensch in Gaza ein Terrorist ist«, sagte ein anderer.

Verteidigungsminister Ehud Barak wiederholte auf Anfrage des öffentlichen israelischen Rundfunks hin seine Überzeugung, daß »die israelische Armee die moralischste Armee der Welt ist«. Es könne allerdings »Ausnahmen« gegeben haben, das müsse vom Militärstaatsanwalt untersucht werden.

Die israelische Armee kann auf eine »lange Geschichte von Greueltaten gegen die Zivilbevölkerung« zurückblicken, erinnert die libanesische Tageszeitung The Daily Star. Als die christliche Phalangistenmiliz 1982 in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila (Beirut) die Menschen massakrierte, riegelte die israelische Besatzungsarmee, damals befehligt vom späteren Premier und Olmert-Vorgänger Ariel Scharon, den Ort des Geschehens ab und sah zu. Wohngebiete wurden von der israelischen Luftwaffe in Grund und Boden gebombt, Phosphormunition, Streu- und Splitterbomben wurden eingesetzt. 1996 zerstörte die israelische Luftwaffe den UN-Stützpunkt Qana im Südlibanon, wo mehr als 130 Libanesen getötet wurden, während des Krieges 2006 wurden 1200 Libanesen getötet, darunter deutlich gekennzeichnete Journalisten und Sanitäter. Palästinensische Politiker wurden durch gezielte Luftangriffe ermordet, bei Protestaktionen gegen Hauszerstörungen oder die Zerstörung von Feldern und Plantagen werden Palästinenser und ausländische Friedensaktivisten angegriffen und verletzt. Vor fast genau sechs Jahren, am 16. März 2003, war die US-Amerikanerin Rachel Corrie (23) von einem israelischen Soldaten mit einem Bulldozer überrollt und getötet worden.

Die israelische Menschenrechtsorganisation Yesh Din kritisierte, daß zwei Monate nach dem Ende des Krieges, noch kein einziges Untersuchungsverfahren eingeleitet worden sei, obwohl Hunderte Palästinenser über das kriminelle Vorgehen von Soldaten Zeugnis abgelegt hätten.

* Aus: junge Welt, 21. März 2009

Gaza-Veteranen schockieren mit Aussagen über wahllose Morde **

(...) Der Befehl war so klar wie brutal: "Immer, wenn wir ein Haus stürmten, sollten wir die Tür eintreten und dann hineinschießen", berichtete ein israelischer Soldat von den Befehlen, die er im Gaza-Krieg erhielt. Er und seine Kameraden hätten Anweisung gehabt, beim Durchsuchen des Hauses auf alle Personen zu schießen, die sie fanden. "Ich nenne das Mord", so der Militär.

Explosion in Rafah nach einem Angriff der israelischen Luftwaffe: "Was die meisten Israelis gerne vergessen möchten"

In einem anderen Fall sei er Zeuge gewesen, wie sein Vorgesetzter Soldaten befohlen habe, auf eine alte Frau zu schießen, die eine Straße überquerte. "Ich weiß nicht, ob sie verdächtig oder harmlos war. Ich weiß aber, dass mein Offizier Leute aufs Dach geschickt hat, um sie auszuknipsen. Das war kaltblütiger Mord."

Das Zeugnis, das der namentlich nicht bekannte Soldat von seinem Einsatz in Gaza abgelegt hat, ist Teil eines Reports, der am Donnerstag an die Öffentlichkeit gelangt ist und Israel in eine Art Schockstarre versetzt hat. "Das hier sind Beweise aus erster Hand für etwas, was die meisten Israelis gerne vergessen möchten: So hat die Armee ihren Krieg gegen bewaffnete Terroristen geführt, während eine anderthalb Millionen zählende Zivilbevölkerung zwischen den Fronten stand", schrieb die links-liberale Tageszeitung "Haaretz" in einer ersten Reaktion.

Der Report ist die Mitschrift einer Diskussion, die am 13. Februar in der Militärakademie Itzak Rabin im israelischen Tivon stattfand. Alle zu Wort kommenden Soldaten sind Absolventen der Akademie, in dessen Informationsblatt ihre Aussagen nun veröffentlicht wurden.

Das Protokoll wirft ein Schlaglicht auf die Realität eines Krieges, zu dem die internationale Presse - wegen einer von Israel verhängten Blockade - keinen Zugang hatte. Die aufgelisteten Aussagen stehen im krassen Widerspruch zu der oft beschworenen moralischen Überlegenheit der israelischen Armee (IDF). Es ist das erste Mal, dass eine große Gruppe von Soldaten fast geschlossen Kritik an ihren Einsatzbefehlen und an der Duldung zweifelhaften Verhaltens durch ihre Vorgesetzen übt. (...)

** Auszug aus: Spiegel-online, 19. März 2009 (Autorin: Ulrike Putz, Beirut)



Israelische Soldaten klagen an

Tötung wehrloser Zivilisten im Krieg gegen Hamas: »Jeder Mensch in Gaza ein Terrorist« ***

Beim jüngsten Krieg im Gaza-Streifen haben israelische Soldaten nach Angaben von Kameraden wehrlose Zivilisten getötet. Das geht aus Augenzeugenberichten von Soldaten der Militärakademie Jitzhak Rabin hervor, die israelische Medien am Donnerstag (19. März) veröffentlichten.

Jerusalem (Agenturen/ND). Die Anklagen kommen aus den eigenen Reihen: Im Rundbrief der Militärakademie Jitzhak Rabin erschienen Augenzeugenberichte aus dem Gaza-Krieg, die nun in den Medien verbreitet wurden.

Einer der Kommandeure erzählte etwa von einer Anweisung, eine ältere Palästinenserin zu erschießen, die in etwa 100 Meter Entfernung von einer israelischen Stellung auf der Straße ging. Er sprach dabei von »kaltblütigem Mord«. Ein anderer Kommandeur berichtete, wie ein Scharfschütze eine Mutter und ihre zwei Kinder erschoss, weil sie versehentlich eine falsche Straßenabbiegung nahmen. »Ich glaube nicht, dass er sich besonders schlecht fühlte, weil er aus seiner Sicht nur nach seinen Vorschriften handelte.«

Insgesamt habe der Eindruck vorgeherrscht, »dass das Leben von Palästinensern sehr, sehr viel weniger wichtig ist als das Leben unserer Soldaten«, sagte er. Beim Stürmen von Häusern, in denen sich Zivilisten aufhielten, hätten Soldaten häufig wahllos und ohne Vorwarnung um sich geschossen. »Die Vorgesetzten sagten uns, dies sei in Ordnung, weil jeder, der dageblieben ist, ein Terrorist ist«, erzählte einer der Soldaten. »Ich habe das nicht verstanden – wohin hätten sie denn fliehen sollen?« Andere Soldaten hätten ihm gesagt, man müsste alle töten, »weil jeder Mensch in Gaza ein Terrorist ist«.

Viele Soldaten hätten auch mutwillig den Besitz palästinensischer Familien zerstört, »weil es ihnen Spaß macht«. »Wir können sagen, so oft wir wollen, dass die israelische Armee moralisch überlegen ist, aber im Feld ist das einfach nicht so.« Die israelische Organisation Rabbiner für Menschenrechte nannte die Vorfälle einen »moralischen Tsunami« und rief zur nationalen Trauer und Buße auf.

Akademie-Direktor Dany Zamir sagte im Rundfunk, die »sehr harten« Aussagen seien an den Generalstab übergeben worden, damit dazu ermittelt werden könne. Ein Armeesprecher sagte, die Streitkräfte wollten prüfen, wie glaubwürdig die Aussagen seien, dann werde gegebenenfalls eine Untersuchung eingeleitet. Verteidigungsminister Ehud Barak verteidigte die israelischen Soldaten. Die israelische Armee sei die »moralischste der Welt«, sagte Barak im Radio. Sicherlich könne es Ausnahmen geben, daher würden die Aussagen untersucht.

Während des dreiwöchigen Kriegs im Gaza-Streifen zum Jahreswechsel wurden nach Angaben der palästinensischen Menschenrechtsorganisation PCHR insgesamt 1434 Palästinenser getötet und weitere 5303 verletzt. Unter den Todesopfern seien 960 Zivilisten, teilte die Organisation vor einer Woche zum Abschluss einer Untersuchung in Gaza mit. Israel wollte mit dem Einsatz den Raketenbeschuss israelischer Ortschaften durch militante Palästinenser aus dem Gaza-Streifen unterbinden. Die Angriffe gehen weiter.

Unterdessen erhöhte Israel nach den gescheiterten Verhandlungen mit der Hamas über einen Gefangenenaustausch den Druck. In der Nacht zum Donnerstag wurden nach Angaben der Armee zehn ranghohe Hamas-Mitglieder festgenommen. Die Hamas sprach von zwölf Festgenommenen, darunter fünf Hamas-Parlamentsabgeordnete. Bei einem israelischen Luftangriff auf den Gaza- Streifen sind zwei Palästinenser getötet worden. Die beiden Männer hätten den Al-Aksa-Brigaden angehört, dem bewaffneten Arm der Fatah-Bewegung von Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas, teilte der palästinensische Rettungsdienst am Donnerstag mit.

*** Aus: Neues Deutschland, 20. März 2009


Zurück zur Gaza-Seite

Zur Israel- Seite

Zurück zur Homepage