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Über die Klugheit der Musik und die Dummheit der Politik

Daniel Barenboim dirigierte in der Staatsoper in Berlin sein israelisch-arabisches Orchester

Von Ekkehart Krippendorff *

Das Ereignis der beiden Konzerte von Daniel Barenboims West-östlichem Divan Orchester in der Berliner Staatsoper unter den Linden hat zwei Dimensionen: Eine politische und eine musikalische - wobei die musikalische Dimension politisch und die politische musikalisch ist. Das Politische des Ereignisses besteht im Projekt dieses einzigartigen israelisch-arabischen Orchesters: Dass hier Angehörige komplex verfeindeter Kulturen durch gemeinsames Musizieren am selben Pult den Herzschlag des Nachbarn spüren und ihn nun primär als musikalisch kommunizierenden Menschen und nicht als Angehörigen einer Gruppe wahrnehmen können - eine Chance der Konfliktlösung durch Entdeckung des Gemeinsamen, die Bedingung der Möglichkeit des Dialogs. Für die professionelle Politik ist das alles naiv und blauäugig - sie setzt auf Raketen und Panzer und zerstört dabei die Grundlagen jeden Gesprächs, ohne das kein gesellschaftliches Problem nirgends gelöst werden kann. So macht sie im Falle Israel-Palästinas alles immer nur noch schlimmer.

Um einen Ausweg aus dieser Realpolitik-Falle modellhaft zu versuchen, war das von Goethes Anverwandlung der arabischen Dichtung inspirierte interkulturelle Orchester als ein »humanistisches Projekt« gegründet worden, das im August seinen zehnten Geburtstag begeht. Wie nötig diese Gründung war und wie weit der Weg noch sein wird, zeigt die Tatsache, dass es in den beiden arabischen Staaten, Qatar und Ägypten, wo es in diesen Tagen seine Botschaft vortragen wollte, aus Sicherheitsgründen nicht auftreten konnte.

Das Musikalische des Ereignisses bestand in einem einmaligen Hörerlebnis für ein ungewöhnlich spannungsgeladenes Publikum, für das die beiden Konzert-Absagen ein Glücksfall wurden: Beethovens Leonore-Ouvertüre Nr.3 und die mehr zitierte als gehörte 5. Sinfonie glaubt »man« zu kennen - aber nicht, wenn man sie an diesem Abend von diesem Orchester und in dieser angespannten Situation miterleben durfte. Obwohl die Musiker mit einer Intensität und körpersprachlich spürbaren Leidenschaft wie um ihr Leben spielten, gelang es Barenboim, das riesige Orchester geradezu kammermusikalisch zu führen und den oft gehörten Triumphalismus des Heroischen dieser beiden Stücke gerade als eine Verfälschung zu entlarven. Leonore, trotz ihrer dramatischen langen Crescendi, oder auch die Bläserlyrik des zweiten Satzes der Fünften machten eine Zartheit hörbar, die mitzuerleben eben auch eine politische Botschaft enthielt: Dies ist keine martialische Heldenmusik und kein an das Gefühl pochendes Schicksal, sondern ein Sieg der lyrischen Vernunft, mit einem Finale der Freude und des Glücksgefühls eben über diesen von der Musik der Politik vorgeschriebenen Sieg.

Selten wurden ein Orchester und ein Dirigent so ausdauernd und, wie zu vermuten ist, auch ob der humanistisch-politischen Botschaft willen gefeiert wie an diesem denkwürdigen Abend am Montag mitten in Berlin. Auf dem Bebelplatz wurden in der Pause zwischen den beiden Konzerten (wegen der enormen Nachfrage wurde das Konzert eine Stunde vor Mitternacht wiederholt - kein Profi-Orchester hätte das gemacht!) großflächig und anrührend von palästinensischen Musikern rote Kerzen der Trauer und des Protestes entzündet. »Es gibt keine militärische Lösung« hatten die Musiker in einer gemeinsamen Erklärung ihr Engagement für den musikalischen Dialog begründet.

Am Tag zuvor hatte der »Zentralrat der Juden in Deutschland« mit einer uneingeschränkten Solidaritätserklärung »mit Israel« nahezu zynisch das Gegenteil behauptet: »Es gibt keinen sauberen und ehrenhaften Krieg, wenn man gegen Terroristen kämpft.« Diese Ohren, wie die der politischen Manager und der Scharfmacher auf beiden Seiten, haben Beethoven und Brahms, womit das Konzert ausklang, nicht erreicht. Oder vielleicht noch nicht ...

* Aus: Neues Deutschland, 14. Januar 2009


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