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Machtkampf Hamas - UNO in Gaza

Gewerkschaftsführer nach Treffen mit palästinensischem Ministerpräsidenten entlassen

Von Martin Lejeune, Gaza-Stadt *

Sämtliche UNRWA-Schulen im Gaza-Streifen blieben am Mittwoch (5. Okt.) geschlossen. Stattdessen demonstrierten rund 6000 Lehrer vor dem Hauptquartier des UNRWA in Gaza-Stadt mit einem Sit-In.

Die Angestellten des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) wollten mit ihrer gestrigen Protestaktion ein Zeichen gegen die Entlassung ihres Gewerkschaftsführers Suhail al-Hindi durch die UNO-Behörde setzen.

Das UNRWA beschäftigt Zehntausende Mitarbeiter als freiwillige Helfer. Es ist der größte institutionelle Arbeitgeber im Nahen Osten. Es besteht aus sieben voneinander unabhängigen Einheiten: den fünf Dependancen in Syrien, Libanon, Jordanien, im Gaza-Streifen und im Westjordanland sowie den zwei Hauptquartieren in Gaza-Stadt und Amman. Vor allem im Gaza-Streifen hat sich das UNRWA in den letzten Jahren zu einem Machtfaktor entwickelt, der mit der Hamas-Administration auf vielen Feldern konkurriert.

So streiten zum Beispiel die Hamas-Schulen und die UNRWA-Schulen um Schüler ebenso wie um Förderungen aus EU-Töpfen. Allein das reguläre Budget des UNRWA im Gaza-Streifen beträgt 450 Millionen Dollar. Deutschland ist zusätzlich zu den Beiträgen, welche es über die EU an das UNRWA zahlt, der zweitgrößte direkte Geldgeber. Es gibt Stimmen, die am UNRWA kritisieren, dass aus dem Hilfswerk ein Hilfskonzern geworden sei.

Die Hamas bezichtigt die EU, das UNRWA als Mittel zur Schwächung der Palästinenserorganisation zu benutzen, besonders auf sozialem Gebiet. Im Sommer nun beklagte die UNRWA in der »New York Times« Überfälle auf UNO-Sommercamps, die sie von der Hamas nicht ausreichend geschützt sieht. Tatsächlich veranstaltet die Hamas im Sommer ebenfalls Camps und möchte die Jugend lieber dort versammeln. Die Hamas wiederum kritisiert, das Hilfswerk mische sich in interne Angelegenheiten des palästinensischen Gemeinwesens ein.

Nun führte das Treffen von Suhail al-Hindi mit Ismail Haniya, 2006/07 palästinensischer Ministerpräsident, zum Eklat. Hindi, Vorsitzender der UNRWA-Mitarbeitergewerkschaft im Hauptquartier in Gaza-Stadt, wurde vor zwei Wochen unmittelbar nach Bekanntwerden der Zusammenkunft gefeuert.

Seitdem blockiert ein Protestzelt mit Hindi und seinen Kollegen die Haupteinfahrt zur UNRWA-Zentrale. Die palästinensische Belegschaft der UNRWA steht nahezu komplett hinter Hindi. Gegenüber dieser Zeitung rechtfertigte er sein Treffen: »Es gehört zu den Aufgaben des Vorsitzenden der größten Gewerkschaft des Gaza-Streifens, sich sowohl mit Vertretern der Zivilgesellschaft als auch mit Vertretern der Regierung zureden, um die Interessen unserer Mitglieder wirkungsstark zu vertreten.« Er habe gegen keine Regeln oder Verträge verstoßen. Hindi sieht sich durch die UNRWA in seinen Rechten verletzt.

Adnan Abu Hassan, der Sprecher des UNRWA-Hauptquartiers in Gaza-Stadt, war trotz zahlreicher Kontaktaufnahmen des Autors nicht zu einer Stellungnahme bereit.

* Aus: neues deutschland, 6. Oktober 2011


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