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Kriegsrecht: "Das übliche Problem"

Verletzt Israel mit dem Krieg im Gazastreifen humanitäres Völkerrecht? Ein Gespräch mit Astrid Epiney, Professorin für internationales Recht in Freiburg

Von Yves Wegelin *

WOZ: Der israelische Botschafter in Bern hat die Schweiz kritisiert, weil sie im Uno-Menschenrechtsrat für ­eine Sondersitzung zum Gazakrieg gestimmt hat. Sie sei einseitig.

Astrid Epiney: An sich ist jeder Staat frei zu entscheiden, ob er eine Sondersitzung für sachdienlich hält - das ist ein politischer Entscheid.

Man hört häufig die Kritik, der Menschenrechtsrat ergreife stets nur gegen Israel Partei.

Das denke ich nicht. Insgesamt sind die Diskussionen mit der Schaffung des Menschenrechtsrates sachlicher geworden. Und dass es im Nahen Osten Probleme gibt, ist kaum zu bestreiten.

Israel sagt, der Gazakrieg sei ein Verteidigungskrieg. Zu Recht?

Da aus dem Gazastreifen immer wieder Raketen auf Israel abgefeuert wurden, spricht vieles dafür, dass Israel grundsätzlich berechtigt war, Gewalt anzuwenden. Eine andere Frage ist jedoch, ob das Vorgehen der israelischen Truppen Völkerrecht verletzt.

Die Raketen waren jedoch auch eine Reaktion auf die monatelange israelische Blockade des Gazastreifens. Verstösst diese Kollektivstrafe nicht gegen internationales Recht?

Die Blockade hat wenig mit dem Krieg zu tun - zumindest aus rechtlicher Sicht. Aus politischer Perspektive ist das etwas anderes. Staaten oder De-facto-Regime haben kein Recht, auf Verletzungen völkerrechtlicher Verpflichtungen, wie das möglicherweise mit der Blockade der Fall ist, mit Gewalt zu reagieren. Doch ist die Frage auch: Wahrt Israel bei seinem Vorgehen die Verhältnismässigkeit, und werden die Regeln des humanitären Völkerrechts respektiert? Tatsächlich spricht vieles dagegen.

Das IKRK kritisiert, Israel respektiere es nicht.

Ja, und wenn das IKRK das sagt, dann gehe ich davon aus, dass es die Fakten genau nachgeprüft hat. Es geht mit solchen Dingen nicht leichtfertig um.

Wie sieht es eigentlich mit den gezielten Tötungen von Hamas-Füh­rern durch die israelische Armee aus?

Über die Zulässigkeit solcher «targeted killings» laufen intensive Diskussionen. Die herrschende Ansicht dürfte dahin gehen, dass sie rechtswidrig sind - dafür gibt es gute Gründe. Sie verstossen gegen eine ganze Reihe menschenrechtlicher Garantien. Unter anderem werden Verfahrensrechte verletzt.

Beim aktuellen Krieg gibt es Stimmen, die von Kriegsverbrechen sprechen. Sollte dieser Vorwurf zutreffen: Wie kann jemand zur Rechenschaft gezogen werden?

Wenn es um den Staat Israel oder die Hamas als solche geht, dann haben wir das übliche völkerrechtliche Problem: Es existiert keine obligatorische Streitbeilegung - keine Gerichte, die man einfach so anrufen kann, wenn sich die Parteien nicht einigen können. Auch der Internationale Gerichtshof ist nur unter engen Voraussetzungen zuständig. Handelt es sich jedoch um Einzelpersonen, dann existiert das sogenannte Römer Statut: Der Internationale Strafgerichtshof ist unter bestimmten Voraussetzungen für die strafrechtliche Verurteilung schwerer Verbrechen - wie etwa Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord - zuständig. Israel hat dieses Statut jedoch nicht ratifiziert, es dürfte also schwierig sein, israelische Soldaten zur Rechenschaft zu ziehen.

Der Uno-Sicherheitsrat hat in einer Resolution die beiden Konfliktparteien zu einem Waffenstillstand aufgefordert, doch nichts ist passiert. Ist die Resolution nicht bindend?

Grundsätzlich schon. Doch es ist zu prüfen, ob diese konkrete Resolution als echte Verpflichtung oder nur als Aufruf formuliert wurde.

Zum Israel-Palästina-Konflikt gibt es schon unzählige Resolutionen . . .

Tatsächlich gibt es einige Resolutionen, die Israel zu konkreten Dingen verpflichten, etwa sich auf die Grenzen von 1967 zurückzuziehen. Natürlich sind die bindend. Doch es ist schwierig, das Recht durchzusetzen. Der Sicherheitsrat könnte theoretisch beschliessen, die Resolutionen militärisch zu erzwingen - ob so viel gewonnen würde, ist fraglich.

Die internationale Gemeinschaft hat auf Israel nie viel Druck ausgeübt.

Sie hat es schon versucht, doch die Staaten haben noch andere Interessen.

Und die wären?

Israel ist einer der engsten Verbündeten der USA, und diese haben noch andere Ziele im Nahen Osten. Und die Europäische Union ist aussenpolitisch nur beschränkt handlungsfähig.

Den Palästinensern verspricht man seit Jahren einen Staat in den Grenzen von 1967. Was fehlt dazu?

Die Staatsgewalt ist defizitär - der Gaza­streifen wie auch das Westjordanland sind viel zu stark von Israel abhängig.

Im Kosovo war es doch dasselbe?

Das Kosovo war sicherlich auch ein Grenzfall - wobei hier in verschiedener Hinsicht besondere Umstände herrschten. Palästina wurde von der internationalen Gemeinschaft nie als Staat anerkannt. Zwar ist eine solche Anerkennung für die Staatsqualität grundsätzlich nicht notwendig, trotzdem spielt sie für die Staatswerdung ­eine wichtige Rolle.

Staaten könnten also Palästina jederzeit anerkennen?

Ja. Die Frage ist, ob das sinnvoll ist und ob sie sich damit nicht in die inneren Angelegenheiten Israels einmischen würde.

Letztlich ist es also ein politischer Entscheid: Das Kosovo hat man anerkannt, weil es den eigenen Interessen diente, Palästina nicht.

Das kann man so sehen.

Die Genfer Konventionen

Das humanitäre Völkerrecht gilt in bewaffneten Konflikten und hat zum Ziel, unnötige Leiden und Schäden zu vermeiden. Verankert ist es in den sogenannten vier Genfer Konven­tionen von 1949 und ihren zwei Zusatzprotokollen von 1977. Es legt für die Konfliktparteien Folgendes fest:
  • Zivilpersonen und zivile Objekte dürfen unter keinen Umständen angegriffen werden.
  • Der Angriff auf militärische Ziele ist verboten, wenn mit unverhältnismässigen Verlusten unter der Zivilbevölkerung oder unverhältnismäs­sigen Schäden an zivilen Objekten oder der Umwelt zu rechnen ist. Die Konfliktparteien müssen alle möglichen Vorsichtsmassnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung und ziviler Objekte treffen.
  • Der Gebrauch von Zivilpersonen als Schutzschilder ist verboten.
  • Der Missbrauch der in den Genfer Konventionen festgelegten Embleme ist verboten.
  • Waffen, die unnötige Leiden oder massive Umweltschäden verursachen, sind verboten - so etwa biologische und chemische Waffen, Antipersonenminen und Brandwaffen.
Quelle: Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA)



* Aus: Schweizer Wochenzeitung WOZ, 15. Januar 2009


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