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Krieg gegen Gaza

Jahresrückblick 2014 Heute: Israel – Palästina. Tel Aviv setzt weiter auf Siedlungsausbau, Zerstörung und Konfrontation

Von Karin Leukefeld *

Das Jahr 2014 beginnt, bezogen auf den viele Jahrzehnte alten Nahost-Konflikt, so wie das vorhergehende endete: Ministerpräsident Benjamin Netanjahu lässt erneut mitteilen, dass er nicht vorhabe, irgendwelche Siedler aus dem von Israel besetzten palästinensischen Westjordanland zurückzuholen. Das gelte auch für den Fall, dass es zu einem Friedensvertrag mit den Palästinensern kommen sollte.

Außer dem ständigen Ausbau israelischer Siedlungen auf palästinensischem Territorium gibt es auch andere Fakten: Am ersten Tag des neuen Jahres wird ein palästinensisches Kind von israelischen Soldaten in einem Flüchtlingslager bei Bethlehem angeschossen. Ein Protestlager im Jordantal (Kanaan Protestdorf) wird von der israelischen Armee unmittelbar nach Errichtung zerstört; ein Bericht des Öffentlichen Komitees gegen Folter in Israel (PCATI) informiert, dass palästinensische Kinder in israelischen Gefängnissen »in Käfigen zur Schau gestellt«, bedroht und sexueller Gewalt ausgesetzt seien. Anwaltliche Vertretung gebe es für die Kinder nicht.

Die von US-Außenminister John Kerry initiierten Friedensverhandlungen scheitern im April 2014, der US-Sonderbeauftragte für den Nahost-Konflikt, Martin Indyk, tritt im Juni zurück. Gewalt und Gegengewalt zwischen den Palästinensern auf der einen und Siedlern und Militär auf der anderen Seite eskaliert mit vielen Verletzten und Toten vor allem auf seiten der Palästinenser. Ihre Häuser werden zerstört, Familien vertrieben. Fischer, die im Meer vor Gaza ihrer täglichen Arbeit nachgehen, werden verletzt oder erschossen, weil sie angeblich die von Israel verordnete Grenze überfahren.

Das palästinensische Zentrum für Menschenrechte (PCHR) berichtet, dass israelische Streitkräfte in der Woche vom 29. Mai bis 4. Juni 80mal ins Westjordanland und zweimal im südlichen Gazastreifen in palästinensische Orte eingedrungen seien und dabei 40 Zivilisten, darunter sieben Kinder, festgenommen habe. Die Vertreibung der Palästinenser aus Ostjerusalem und die Zerstörung ihrer Geschäfte und Wohnhäuser hielten an, so PCHR, die israelischen Streitkräfte hätten »Dutzende Kontrollpunkte« im Westjordanland aufgebaut.

Anfang Juni 2014 einigen sich Fatah und Hamas mit der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) auf die Bildung einer »Regierung der nationalen Einheit« aus Experten. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon begrüßt die Entscheidung, auch die US-Administration erkennt die neue Regierung an. Die israelische Regierung hingegen wirft ihrem bisherigen »Verhandlungspartner« Mahmud Abbas vor, mit »Terroristen« zu paktieren, und droht Konsequenzen an.

Wenige Tage später werden drei israelische Jugendliche unweit von Hebron entführt, ihr Hilferuf bei einer lokalen Polizeistation wird ignoriert. Obwohl die israelischen Behörden schon bald wissen, dass die Jugendlichen fast unmittelbar nach ihrer Verschleppung getötet worden waren, startet die Armee eine massive Verhaftungs- und Angriffswelle im Westjordanland. Netanjahu macht die Hamas für die Entführung verantwortlich und obwohl PA und Hamas Hinweise auf die möglichen Täter geben und sich von der Entführung distanzieren, werden Hunderte Menschen festgenommen. »Alles Grün in der Westbank wird ausgemerzt«, heißt es im israelischen Armeerundfunk. Grün ist die Farbe der Hamas. Der radikale, der Siedlerbewegung nahestehende Wirtschaftsminister Naftali Bennett erklärt, die Präsenz der Hamas »in Judäa und Samaria (Westjordanland) wird jedem und überall schaden«. Wer Mitglied in der Hamas sei, habe »ein Ticket zur Hölle«. International wird das Vorgehen Israels gegen die Palästinenser mit Schweigen quittiert. Aus dem Gazastreifen nimmt der Raketenbeschuss gegen Israel zu, Israel reagiert mit Luftangriffen und gezielten Morden an palästinensischen Kommandeuren.

Am 8. Juli 2014 beginnt die israelische Armee offiziell den Krieg gegen den Gazastreifen, der am 26. August 2014 durch Vermittlung Ägyptens beendet wird. Weil der Küstenstreifen seit Jahren hermetisch von Israel abgeriegelt ist, kann niemand fliehen. Nach Angaben der UN-Organisation für die Koordination humanitärer Hilfe (OCHA) werden auf israelischer Seite 73 Personen getötet, 66 von ihnen waren Soldaten. Auf palästinensischer Seite zählt man mehr als 2.200 Tote, darunter 493 Kinder und 253 Frauen. Unter den zertrümmerten Häusern werden noch Wochen später Leichen geborgen.

Das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) gibt kurz vor Weihnachten 2014 an, dass mehr als 96.000 Wohnungen und Häuser von Flüchtlingen im Gazastreifen durch die israelischen Angriffe zerstört wurden. Rund 30 Geberländer und ebenso viele internationale und private Hilfsorganisationen wollen den Wiederaufbau des palästinensischen Gazastreifens finanzieren. Das ist das Ergebnis einer internationalen Konferenz, die im Oktober auf Einladung von Norwegen und Ägypten in Kairo stattfand. Insgesamt wurden 5,4 Milliarden US-Dollar (4,3 Milliarden Euro) zugesagt. Die Hälfte des Geldes ist für den Wiederaufbau vorgesehen, die andere Hälfte fließt in den Haushalt der Palästinensischen Autonomiebehörde, um bis 2017 die laufenden Kosten, Gehälter und Sicherheitskräfte zu finanzieren. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hatte insgesamt 8,5 Milliarden US-Dollar gefordert

Ende 2014 nimmt die Gewalt zu, nachdem die israelische Armee den Palästinensern den Zugang zur Al-Aksa-Moschee (Ostjerusalem) untersagt und gleichzeitig Siedlern den Zugang ermöglicht. Palästinenser greifen Israelis und Siedler an, bei einem Anschlag in einer Synagoge sterben vier Gläubige beim Gebet.

Ende des Jahres zerbricht die Regierung von Benjamin Netanjahu, der Neuwahlen ankündigt, bei denen er wieder kandidieren wird. EU und USA verstärken ihren verbalen Druck gegen die israelische Regierung, die in Ostjerusalem und im besetzten Westjordanland völkerrechtswidrig und ungebremst neue Siedlungsbauten beschließt und genehmigt. Gleichzeitig stocken die USA ihr strategisches Waffenarsenal in Israel auf.

Kurz vor Jahresende wird eine Resolution im UN-Sicherheitsrat knapp abgelehnt, in der die Gründung eines palästinensischen Staates für Ende 2016 sowie ein schrittweiser Rückzug der israelischen Besatzungstruppen gefordert werden. Daraufhin beantragt die PA die Mitgliedschaft im Internationalen Strafgerichtshof (Den Haag), was von Israel mit dem Einfrieren von Steuergeldern quittiert wird, die es von Palästinensern kassiert und verpflichtet ist, an diese zu überweisen. Das erste Verfahren, das die Palästinenser vor dem ISG anstreben wollen, sollen nach Auskunft der Menschenrechtsgruppe Al-Haq (Ramallah) die Verbrechen sein, die Israel seit Juni 2014 im Westjordanland und während des Gaza-Krieges im Sommer 2014 verübt hat. Außerdem soll gegen den anhaltenden Siedlungsbau in den palästinensischen Gebieten geklagt werden, die Israel 1967 im Sechs-Tage-Krieg besetzt hat.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 8. Januar 2015


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