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Männergesangsverein ohne Verbündete

Gaza: Die islamistische Hamas hat im Nahen Osten kaum Rückhalt. Israel braucht sie als Ordnungsmacht

Von Gerrit Hoekman *

Es gibt einen Unterschied zwischen echten Widerstandskämpfern, die wir unterstützen, und Amateuren, die nur die Maske des Widerstands tragen«, sagte der syrische Präsident Baschar Al-Assad barsch in einer Rede Mitte Juli. Gemeint war die Hamas. Das Tischtuch zwischen der Regierung in Damaskus und der palästinensischen »Islamischen Widerstandsbewegung« ist zerschnitten, seitdem letztere sich politisch auf die Seite der Rebellen in Syrien gestellt hat.

Jahrelang hielt der säkulare Assad die Hand über die islamistische Hamas. Aus strategischen Gründen, politisch haben beide wenig gemeinsam. Er schaute zu, als die Fundamentalisten im großen palästinensischen Flüchtlingslager Jarmuk in Damaskus immer mehr Einfluß gewannen und die Linken zurückdrängten. »Die Muslimbrüder haben uns wiederholt verraten«, sagte der Präsident nun laut der Tageszeitung Al-Akhbar unlängst bei einem Treffen mit arabischen Journalisten. Die Hamas war 1988 als Zweig der ägyptischen Muslimbruderschaft entstanden. 1982 hatte der syrische Ableger der Organisation in Hama zum islamischen Aufstand gegen das Regime aufgerufen. Der damalige Präsident Hafis Al-Assad, der Vater seines Nachfolgers, schlug die Revolte blutig nieder.

Auch beim zweiten großen Machtfaktor in Syrien, der Miliz »Islamischer Staat«, hat die Hamas keine Freunde. Selbst als die israelischen Angriffe auf Gaza immer heftiger wurden, gab es keine Demonstrationen der Solidarität im Herrschaftsbereich der radikalen Gotteskrieger. Der »Islamische Staat« hält den Kampf der Hamas für einen palästinensischen Staat für Zeitverschwendung, denn am Ende ginge Palästina aus Sicht der Gruppe ohnehin in dem Kalifat auf, das die Fundamentalisten in Teilen Syriens und des Iraks ausgerufen haben. Die militanten Salafisten betrachten die Hamas außerdem als Abtrünnige vom Islam. »Ihr Kampf ist kein Heiliger Krieg, sondern die Verteidigung der Demokratie«, verkündet ein Anhänger des Islamischen Staats auf Twitter.

Vor dem Hintergrund der lange sehr liberalen palästinensischen Gesellschaft mag das reaktionäre Staatsmodell der Hamas besonders überkommen und vorgestrig erscheinen. Im Vergleich mit dem Weltbild des »Islamischen Staats« wirkt die Hamas jedoch wie ein religiöser Männergesangsverein. Hier könnte ein Grund liegen, warum Israel die Bodenoffensive beendet hat, ohne den Gegner militärisch zu vernichten. Die Hamas wird noch als Ordnungsmacht in Gaza gebraucht, um deutlich radikalere Gruppen in Schach zu halten.

Im Internet sind in letzter Zeit Videos aufgetaucht, in denen sich vorgeblich palästinensische Fedajin zum »Islamischen Staat« bekennen. Ihre Zahl scheint im Moment noch recht überschaubar, aber es ist nicht ausgeschlossen, daß sich hier die ersten Keimzellen einer bald schon größeren Bewegung bilden. Die Hamas muß also zu schwach sein, um Israel anzugreifen, aber immer noch stark genug, um mit den noch viel unangenehmeren Kräften fertig zu werden.

Fürs erste hat Israel seine Bodentruppen abgezogen: Mission erfüllt, alle Tunnel sind angeblich zerstört. Für Palästinenser, die vor dem Krieg in Syrien auf der Flucht sind, ist das jedoch eine schlechte Nachricht. Denn durch die unterirdischen Röhren schmuggelte die Hamas nicht nur Waffen nach Gaza, sondern schleuste auch mehr als 1000 palästinensische Flüchtlinge aus Syrien ein. Das schreibt die bekannte Nahost-Korrespondentin Inge Günther auf dem Onlineportal Al-Qantara. Die Hamas heißt die neuen Bewohner ausdrücklich willkommen. Das ist anders als im Libanon oder in Jordanien, wo die meisten der grob geschätzt 70000 Palästinenser untergekommen sind, die Syrien bis jetzt verlassen haben. In den Nachbarländern sind sie nur geduldet, in Gaza kümmern sich die Islamisten um die Neuankömmlinge und geben ihnen, so weit möglich, bezahlte Arbeit.

Die Hamas ist dort nicht nur eine extrem konservative politische Organisation, sie ist auch eine soziale Bewegung, die Krankenhäuser, Kinderheime und Kantinen für die Armen unterhält. Auch wenn Bedürftige oft kein Geld für die Leistungen bezahlen müssen, ist der Service nicht umsonst – die Islamisten erwarten im Gegenzug Gehorsam gegenüber der Religion und ihren rigiden Regeln.

* Aus: junge Welt, Freitag 8. August 2014


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