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Waffenruhe ist nur von kurzer Dauer

Israel setzt Militäroffensive fort, auch Raketenbeschuss geht weiter

Von Oliver Eberhardt *

Die israelische Armee setzt ihre Angriffe im Gaza-Streifen unerbittlich fort. Ein Waffenstillstand ist nicht in Sicht

Selbst die verabredete zweistündige humanitäre Feuerpause im Gaza-Streifen wurde nach kurzer Zeit gebrochen. Die Rettungsdienste hatten gerade die ersten Verletzten abtransportiert, einige Leichen geborgen, als in Sadschaija schon wieder geschossen wurde. Eigentlich hatte die Waffenruhe am Sonntag zwei Stunden dauern sollen; beide Seiten hatten sich darauf auf Betreiben des Roten Kreuzes geeinigt. Doch bereits nach einer Stunde eröffneten palästinensische Kampfgruppen das Feuer auf israelische Soldaten, schossen auch mehrere Raketen ab. Und bereits kurz darauf wurde wieder überall gekämpft. Schwerpunkt der Auseinandersetzungen: Sadschaija, Heimat für 100 000 Menschen und größter Stadtteil von Gaza.

Für die Palästinenser in Gaza ist der Ort einer der wirtschaftlichen Mittelpunkte der Großstadt; einer der größten Märkte befindet sich hier. Für Israels Militär ist Sadschaija, das auf der Landkarte zwischen Gaza-Stadt und der Grenze zu Israel zu finden ist, indes eines der Zentren des Raketenbeschusses. Die palästinensischen Kampfgruppen schießen die Geschosse mitten aus dem dicht bevölkerten Gebiet heraus ab: Immer wieder sind seit Beginn der Auseinandersetzungen die Schweife zu sehen, die die Raketen kurz nach dem Abschuss nach sich ziehen.

Die israelische Bodenoffensive soll dem ein Ende bereiten und auch das Tunnelnetzwerk wenigstens zu einem großen Teil zerstören. Das erstreckt sich laut Israels Militär unter Gaza bis über die israelische Grenze hinaus. Die tatsächlichen Ausmaße der Tunnelsysteme sind ebenso wie die Zahl der Ausgänge in Israel weitgehend unbekannt. Die israelischen Sicherheitsorgane sagen offen, dass sie nur sehr wenig darüber wissen, gewisse Dinge könne auch die beste Überwachungstechnik nicht erfassen.

Aber: Bis zur vergangenen Woche spielten diese Tunnel unter der israelischen Grenze kaum eine Rolle. Nur selten gelangten palästinensische Kämpfer auf israelisches Gebiet. Der israelische Soldat Gilad Schalit, der 2006 von militanten Palästinensern durch einen solchen Tunnel nach Gaza entführt worden ist und dort fünf Jahre lang festgehalten worden war, ist der einzige prominente Fall, in dem dieses Tunnelsystem eine Rolle spielte – bis Mitte vergangener Woche nach Angaben des israelischen Militärs 13 Kämpfer beim Verlassen eines solchen Tunnels aufgehalten worden waren.

Mitarbeiter des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Beth gehen davon aus, dass diese Tunnel vor allem für den Schmuggel genutzt wurden, und auch Sicherheitskräfte der palästinensischen Regierung in Ramallah sagen, dass durch diese Tunnel ein erheblicher Teil der Produkte in den Gaza-Streifen eingeführt worden sei, die zum Bau jener Raketen benötigt wird, die an Ort und Stelle gebaut werden. Mittelstreckenraketen seien derweil vor allem über Ägypten geschmuggelt worden.

Israels Militär will nun so viele dieser Tunnel wie möglich zerstören. Dass man dies bei vorangegangenen Militäreinsätzen nicht tat, habe daran gelegen, dass viele der Tunnel erst später gegraben worden seien und man später den Waffenstillstand nicht habe gefährden wollen.

Die Bemühungen um eine Neuauflage einer Waffenruhe, die letzte hielt gut 19 Monate, gehen auch jetzt weiter. Vor allem Ägyptens Regierung versucht weiterhin, beide Seiten zur Annahme eines Vorschlags zu bewegen, den man bereits vor einer Woche vorgelegt hatte. Dabei gerät Kairo aber nun im eigenen Land in die Kritik. Am Sonntag wurde in Ägypten berichtet, Khaled Maschal, der Leiter des in Katar ansässigen Politbüros der Hamas, sei nach Kairo eingeladen worden. Das Büro von Präsident Abdul Fattah al-Sisi dementierte umgehend: Denn erst vor einigen Monaten hatte Ägypten die Hamas als Terrororganisation verboten. Eine Einladung an ihren obersten Anführer ist deshalb für die Unterstützer des neuen Regimes undenkbar.

* Aus: neues deutschland, Montag 21. Juli 2014


Dauerfeuer auf Gaza

Israel weitet Offensive im Gazastreifen aus. Mindestens 87 Tote in einer Nacht. UN-Generalsekretär will Waffenstillstand. Hamas fordert Ende der Belagerung

Von Karin Leukefeld **


Bei den schwersten Angriffen der israelischen Armee seit Beginn der Offensive im Gazastreifen, wurden in der Nacht zum Sonntag nach Angaben der örtlichen Rettungskräfte mindestens 87 Menschen getötet. Allein in dem Wohnviertel Sadschaija im Osten von Gaza-Stadt starben mindestens 60 Menschen. Parallel dazu weitete die Armee ihre am Donnerstag gestartete Bodenoffensive aus. Augenzeugen berichteten von gleichzeitigem Artilleriebeschuß, Luftangriffen und Raketen, die von der See aus abgeschossen wurden. Einige Häuser seien zehnmal hintereinander getroffen worden. Der Direktor des Schifa-Krankenhauses sagte, mindestens 400 Menschen seien im Bombenhagel verletzt worden. Unter den Toten in Sadschaija waren der palästinensische Kameramann Khaled Hammad und der Rettungssanitäter Fuad Jaber. Der Kameramann trug eine Schutzweste, auf der »Presse« stand. Beide wurden in einem deutlich gekennzeichneten Rettungsfahrzeug getötet.

Eine Sprecherin der israelischen Armee erklärte, man habe die Menschen von Sadschaija schon vor zwei Tagen aufgefordert, ihre Wohnungen zu verlassen. Wo sich die Menschen im dem abgeriegelten Küstenstreifen in Sicherheit bringen sollten, sagte sie nicht. Die israelische Armee begründet ihre Angriffe auf die dichtbewohnten Gebiete damit, daß die Hamas ihre Waffenlager und Raketenabschußrampen dort versteckt hätte.

Auf Drängen des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) stimmte die israelische Regierung am Sonntag morgen einer zweistündigen Feuerpause zu, die ausschließlich für Sadschaija galt. Eine Armeesprecherin bestätigte ein »humanitäres Fenster zwischen 13.30 und 15.30 Uhr«. Das IKRK hatte eine dreistündige Waffenruhe gefordert, der die Hamas zuvor zugestimmt hatte. »Wir haben alles versucht, um die Evakuierung der Toten und Verletzten sicherzustellen«, sagte ein IKRK-Sprecher der Nachrichtenagentur AFP. Helfer bargen 50 Leichen aus den Trümmern, darunter 17 Kinder, 14 Frauen und vier alte Menschen. Während der Bergung setzten die israelischen Streitkräfte ihr Bombardement in den benachbarten Vierteln sowie in anderen Teilen des Gazastreifens fort. Der stellvertretende palästinensische Gesundheitsminister, Yussef Abu Rish, sagte am Sonntag, daß bisher 410 Palästinenser bei der israelischen Offensive getötet wurden. 3020 Menschen wurden verletzt. Auf israelischer Seite stieg die Zahl der getöteten Soldaten in der Nacht zu Sonntag auf sieben. Ein Hamas-Kommando hatte am Samstag – vermutlich durch einen Tunnel – auf israelischem Boden Streitkräfte angegriffen und vier Soldaten getötet.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon traf am Sonntag in Katar ein, wo er sich mit dem Auslandschef der Hamas, Khalid Meschaal, traf. Ziel der Vermittlungsbemühungen des UN-Generalsekretärs ist offenbar, daß sich Hamas und Fatah auf einen von Ägypten vorgelegten Waffenstillstandsvorschlag einigen. Beide Parteien hatten sich Anfang Juni auf eine Regierung der nationalen Einheit verständigt. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte daraufhin die von den USA vermittelten Gespräche mit der Palästinensischen Autonomiebehörde abgebrochen. Die Hamas fordert eine vollständige Aufhebung der israelischen Belagerung des Gazastreifens und die Öffnung aller Grenzen, des Flughafens sowie eines internationalen Hafens. Außerdem soll die Bevölkerung in Gaza wieder die international gültigen zwölf nautischen Seemeilen vor der Küste für den Fischfang nutzen können.

** Aus: junge Welt, Montag 21. Juli 2014


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