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Bomben auf Hochhaus

Netanjahu will den Krieg gegen Gaza auch im September weiter fortsetzen. Bereits über 2100 Tote durch israelische Terrorangriffe. Massaker an Palästinensern verurteilt

Von Karin Leukefeld *

Sieben Wochen nach Beginn des israelischen Angriffes auf den Gazastreifen wird Israel arabischen Medienberichten zufolge inzwischen von drei Seiten ebenfalls unter Feuer genommen. Neben Dutzenden Raketen, die aus dem Gazastreifen auf Israel abgeschossen werden, flogen am Wochenende auch aus dem Norden und Westen Raketen auf den israelisch besetzten Golan. Schäden wurden nicht gemeldet. Am Freitag war ein vierjähriger Junge bei Aschkalon von Splittern einer Granate getötet worden, die aus dem Gazastreifen abgeschossen worden war.

Das israelische Militär bestätigte den Einschlag einer Rakete, die aus dem Süden Libanons auf den Golan abgefeuert wurde. Aus Syrien sollen fünf Raketen ebenfalls dort eingeschlagen sein. Bis Redaktionsschluß hatte niemand dafür die Verantwortung übernommen.

Die israelische Luftwaffe setzte derweil auch am Sonntag ihre Angriffe auf den hermetisch abgeriegelten Gazastreifen fort. Zerstört wurden dabei landwirtschaftlich genutzte Flächen in allen Teilen des Gebietes. Gezielt wurde ein zwölfstöckiges Wohnhaus in Rafah zerstört, deren Bewohner zehn Minuten vorher telefonisch von der israelischen Armee aufgefordert worden waren, das Gebäude zu verlassen.

Nach Auskunft von Ashraf Al-Khidra, Sprecher des palästinensischen Gesundheitsministeriums, wurden am Sonntag ein 17jähriger Jugendlicher und ein zweijähriges Mädchen getötet. Die Zahl der Toten war am Sonntag morgen auf 2108 gestiegen. Die UN gibt die Zahl der bei ihr registrierten Inlandsvertriebenen mit 460000 Menschen an.

Die palästinensische Autonomiebehörde bereitet derweil ihren Antrag auf Mitgliedschaft im Internationalen Strafgerichtshof (ISG) weiter vor. Am Wochenende unterzeichnete die Hamas eine Erklärung, die den Antrag auf Mitgliedschaft unterstützt, wie der stellvertretende Hamas-Vorsitzende Musa Abu Marzuk bestätigte. Die Unterschrift des Islamischen Dschihad steht noch aus. Alle palästinensischen Fraktionen müssen dem Beitritt zum ISG zustimmen, bevor der Präsident der Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, das Abkommen unterzeichnen kann. Ob er das dann tatsächlich tut, wird erheblich davon abhängen, ob seine Sponsoren in Washington, Berlin, Brüssel und Riad ihn dazu ermuntern. Bisher wurde Abbas davor gewarnt. Die Palästinenser wollen Israel vor dem ISG wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des aktuellen Gaza-Krieges anklagen.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu will den Krieg gegen den Gazastreifen auch im September noch fortführen, »bis die Ziele erreicht sind«, erklärte er am Sonntag. Ende August und Anfang September beginnt im Gazastreifen und in Israel wieder das Schuljahr. Während in Israel der Unterricht in Schutzräumen stattfinden kann, sind die UN-Schulen im Gazastreifen mit Kriegsflüchtlingen gefüllt. Schutzräume gibt es dort nicht.

Mitglieder des Internationalen Jüdischen Antizionistischen Netzwerkes (IJAN) haben am Wochenende in einer großen Anzeige in der New York Times das »Massaker an Palästinensern im Gazastreifen« scharf verurteilt. Als »Überlebende und Angehörige von Überlebenden und Opfern des Nazigenozids« verurteilten die 327 Unterzeichnenden die Vereinigten Staaten dafür, daß sie Israel finanziell und militärisch dabei unterstützen, den Angriff auszuführen. Die westlichen Staaten verurteile man allgemein dafür, »daß sie ihre diplomatischen Anstrengungen dafür benutzen, Israel vor einer Verurteilung zu schützen«. Mit der Anzeige reagierte IJAN auch auf eine Anzeige des Friedensnobelpreisträgers Elie Wiesel, der die palästinensische Hamas mit den deutschen Faschisten verglichen hatte. IJAN zeigte sich »angewidert und empört« darüber, wie Wiesel »unsere Geschichte benutzt, um das nicht zu Rechtfertigende zu rechtfertigen: Israels umfassenden Versuch, Gaza zu zerstören«. Israel müsse »wirtschaftlich, kulturell und akademisch boykottiert werden«, bis es die Vernichtung der Palästinenser einstelle, heißt es in dem Text weiter. »Nie wieder« bedeutet »nie wieder für jeden«.

* Aus: junge Welt, Montag 25. August 2014


Israel setzt jetzt auf Blockbuster

Komplettes Hochhaus im Gaza-Streifen eingeäschert / UNO bastelt an Resolutions-Skizze

Von Oliver Eberhardt, Tel Aviv **


Israels Luftwaffe hat ein Hochhaus im Gaza-Streifen zerstört; am Sonnabend wurden auch Raketen aus Syrien und Libanon abgefeuert. Europäische Regierungen arbeiten an einer UNO-Resolution.

»Elements«, Versatzstücke, heißt das Dokument, das mehrere Medien am Wochenende veröffentlichten. Ein bescheidener Name für einen Plan, der den Krieg um den Gaza-Streifen beenden soll: Deutschland, Großbritannien und Frankreich präsentieren, »skizzieren vielmehr«, wie ein britischer Diplomat sagt, darin den Entwurf für eine UNO-Resolution, die den Raketenbeschuss auf Israel und die Luftangriffe auf den Gaza-Streifen beenden und die Lebenssituation der Menschen dort nachhaltig verbessern soll. »Wir sehen, dass Waffenstillstandsverhandlungen, wie sie bisher geführt worden sind, keine Erfolgsaussicht haben«, sagt der Diplomat. Dass man einen unverbindlichen Namen gewählt habe, liege daran, dass man eine möglichst breite Unterstützung nicht nur im UNO-Sicherheitsrat, sondern auch bei den restlichen Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen anstrebe. Man könne »Elements« in einen bereits existierenden, allerdings ziemlich erfolglosen Resolutionsentwurf Jordaniens integrieren. Oder etwas ganz Neues daraus machen.

Dieser Resolutionsskizze zufolge soll der Gaza-Streifen wieder komplett unter die Kontrolle der palästinensischen Regierung gestellt werden; durch die Öffnung der Grenzen soll die wichtigste Forderung der Hamas erfüllt werden. Eine UNO-Beobachtermission soll die Einhaltung der Resolution kontrollieren und die Kommunikation zwischen beiden Seiten gewährleisten.

Auch wenn sowohl Israel als auch die palästinensische Regierung und die USA zumindest Offenheit für eine Resolution signalisieren: Ein Kriegsende scheint momentan in wirklich weiter Ferne. Am Wochenende nahm der Konflikt weiter an Intensität zu. Israels Luftwaffe zerstörte ein zwölfstöckiges Gebäude, in dem sich eine Kommandozentrale der Hamas befunden haben soll; bestätigen lässt sich das nicht. Neu dabei ist, dass das gesamte Gebäude gezielt zerstört wurde. Bisher wurden Raketen stets auf isolierte Bereiche in solchen Hochhäusern abgefeuert; das Gebäude selbst blieb meist stehen. Israelische Regierungsvertreter bestreiten nicht, dass der überwiegende Teil des Hochhauses als Wohngebäude genutzt wurde. Seine Zerstörung sei »ein Signal, dass wir nun die Handschuhe ausziehen«.

Der Raketenbeschuss auf Israel ist ebenfalls ausgeweitet worden. Auf die Kommunen im Süden und im Zentrum Israels gingen seit Freitag an die 200 Raketen nieder; am Sonnabend wurden auch aus Syrien und Libanon Geschosse abgefeuert – Zeichen dafür, dass nun auch palästinensische Gruppen dort den Kampfgruppen im Gaza-Streifen zu Hilfe kommen könnten. Man beobachte die Lage mit sehr großer Sorge, sagen Mitarbeiter der UNO-Mission in Libanon: »Raketen lassen sich ohne großen Aufwand bauen, und es ist nicht klar, ob die Hisbollah verhindern kann und will, dass sie auch abgeschossen werden.« Denn dies würde unter Umständen einen offenen Konflikt zwischen Hisbollah und Palästinensern bedeuten, von denen mehrere Hunderttausend in Libanon leben. Möglich ist aber auch eine Verlagerung nach Syrien: Dort würden palästinensische Kampfgruppen den Konflikt mit Hisbollah vermeiden.

Im Gaza-Streifen erschossen Kassam-Brigadisten in den vergangenen Tagen öffentlich mehr als 20 Menschen, die beschuldigt wurden, mit Israels Sicherheitsdiensten zusammengearbeitet zu haben. Sie hätten die Informationen geliefert, die zu den gezielten Angriffen auf Kommandeure der Kassam-Brigaden geführt haben. Die Namen der Getöteten wurden nicht bekannt gegeben, offiziell, um die Familien nicht bloßzustellen. Doch wahrscheinlicher ist, dass man damit Israels Inlandsgeheimdienst Schin Beth verwirren will, indem man ihm nicht mitteilt, welche Mitglieder seines Netzwerkes getötet wurden.

Allerdings: Die Bilder von den öffentlichen Erschießungen so kurz nach der Ermordung eines US-Journalisten in Irak haben Israels Regierung auch eine Steilvorlage geliefert. Premierminister Benjamin Netanjahu verglich die Hamas umgehend mit IS; sie strebe das gleiche Schreckensregime an. Gleichzeitig bereitete er die Öffentlichkeit darauf vor, dass der Krieg bis in den September hinein weiter gehen könnte. Israelische Medien spekulieren zudem darüber, ob eine neue Bodenoffensive bevorstehen könnte.

** Aus: neues deutschland, Montag 25. August 2014


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