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Fünf Stunden für Gaza zum "Durchatmen"

Kurze Waffenpause im israelisch-palästinensischen Konflikt / Indirekte Gespräche in Kairo gehen aber weiter

Von Oliver Eberhardt, Tel Aviv *

In Gaza und Israel haben am Donnerstag aus humanitären Gründen die Waffen weitgehend geschwiegen – für fünf Stunden. Bemühungen um eine dauerhafte Waffenruhe verlaufen weiterhin im Sande.

Ja, nein, vielleicht; am Donnerstagnachmittag war die Verwirrung perfekt. Gesprächspartner sagten verschiedene Dinge: Israel und die Hamas hätten sich auf einen Waffenstillstand geeinigt; es gebe keine Vereinbarung; es sei möglich, dass es eine Vereinbarung gibt, aber das Ganze noch nicht überallhin durch- gedrungen sei.

Doch so, wie es im Moment aussieht, werden die Auseinandersetzungen in der Region zunächst einmal weitergehen. Denn Stunden, nachdem zunächst die BBC und dann mehrere Nachrichtenagenturen gemeldet hatten, beide Seiten hätten sich auf eine dauerhafte Waffenruhe ab diesen Freitag fünf Uhr MESZ geeinigt, meldeten sich Israels Außenminister Avigdor Lieberman zu Wort: Die Berichte über einen Waffenstillstand seien zum jetzigen Zeitpunkt weitab von der Realität.

Später äußerten sich, nacheinander, die einzelnen Flügel der Hamas: Nein, so die übereinstimmende Aussage, eine Einigung gebe es nicht. »Wir haben mit der Eschkol-Operation das Signal gesandt, dass wir nicht darauf warten, dass die Israelis zu uns kommen; wir kommen zu den Israelis«, sagte der Sprecher der Ezzedin-al-Kassam-Brigaden, Sami Abu Zuhri. In der Nacht zum Donnerstag hatte Israels Militär 13 Angehörige der der Hamas nahestehenden Brigaden in letzter Minute daran gehindert, durch einen Tunnel in die israelische Eschkol-Region zu gelangen.

Stunden später, um neun Uhr MESZ, trat dann eine fünfstündige sogenannte humanitäre Waffenruhe in Kraft, die den Menschen im Gaza-Streifen die Möglichkeit geben sollte, Verletzte zu versorgen und auch einfach mal für ein paar Stunden durchzuatmen. Außerdem wurden Hilfsgüter an Krankenhäuser und Ausgabestationen der Vereinten Nationen ausgeliefert. Auch einige Bankfilialen öffneten – und konnten den Tausenden, die vor der Tür warteten, kaum helfen: Bargeld ist im Gaza-Streifen ausgesprochen knapp, weil es am Ende der Konsumkette gehortet wird und von dort nicht in den Kreislauf zurückgelangt.

Am Mittwochnachmittag waren an einem Strand außerhalb von Gaza fünf Kinder bei einem Raketenangriff getötet worden; Israels Militär gesteht einen »Fehler« ein und sagt, man untersuche den Vorfall. Er hat dazu beigetragen, dass der internationale Druck, sich zu einigen, nun stärker wird. Menschenrechtsorganisationen monieren bereits seit Tagen, dass Israels Luftwaffe Ziele angreift, die ganz offensichtlich zumindest einen überwiegend zivilen Charakter haben.

So listet Human Rights Watch in einem Bericht vier Ziele auf, bei denen ganz offensichtlich hohe zivile Opferzahlen in Kauf genommen worden seien. Prominentes Beispiel ist ein Café in Khan Junis, in dem am 11. Juli neun Menschen bei einem Luftangriff starben. Die israelische Organisation B’Tselem kritisiert derweil, die Vorgehensweise, Wohnhäuser zu zerstören, verstoße auch dann gegen die Genfer Konvention, wenn die Bewohner vorher zum Verlassen aufgefordert worden sind.

Auch viele Diplomaten kritisieren dies als unethisch; in Gesprächen mit ihren israelischen Amtskollegen wird diese Thematik immer wieder angesprochen. Im Ausland wird deshalb nun sehr nachdrücklich auf eine Waffenruhe gedrungen.

Als Unterhändler wird die ägyptische Regierung von den Regierungen Katars und der Türkei unterstützt, nachdem die Hamas eine alleinige Vermittlung durch Kairo abgelehnt hat. Aus Sicht der Hamas versucht Ägyptens Präsident Abdelfattah al-Sisi die Interessen Israels durchzusetzen, während Ankara und Doha der Hamas nahestehen. Die Gespräche in Kairo werden indirekt geführt: Die Delegationen beider Seiten befinden sich also in verschiedenen Räumen, zwischen denen die Vermittler hin und her wechseln.

Sisi traf sich am Donnerstag auch mit Palästinas Präsident Mahmud Abbas; Inhalte des Gesprächs waren am Nachmittag noch nicht bekannt.

* Aus: neues deutschland, Freitag 18. Juli 2014


Kurzes Durchatmen in Gaza

UN erreichen fünfstündige Feuerpause. Hamas fordert Lockerung der Isolation **

Israel und die Hamas stehen möglicherweise vor einem Waffenstillstand im Gazastreifen. Bei Verhandlungen beider Seiten in Kairo gab es am Donnerstag nach übereinstimmenden Berichten eine deutliche Annäherung. Ein israelischer Regierungsvertreter berichtete zunächst, eine Einigung stehe. Demnach sollen die Waffen ab Freitag, 6 Uhr (Ortszeit), schweigen. Später schränkte er ein, das Sicherheitskabinett unter Leitung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu müsse noch zustimmen.

Bei den schweren Luftangriffen auf den Gazastreifen sind in den vergangenen Tagen nach palästinensischen Angaben mindestens 224 Menschen ums Leben gekommen, die meisten von ihnen Zivilisten. Aus Gaza wurden israelischen Angaben zufolge mehr als 1300 Raketen auf Israel abgefeuert. Dabei wurde am Dienstag ein Israeli getötet. Während die israelische Führung weiterhin von Selbstverteidigung spricht, verurteilte Großbritanniens stellvertretender Premierminister Nick Clegg die israelischen Luftangriffe auf Gaza als »bewußt unverhältnismäßige« Form einer kollektiven Strafe. Er forderte ein Ende der Bombardements der dicht bewohnten Palästinensergebiete.

Am Donnerstag gab es auf Initiative der Vereinten Nationen hin von 10 bis 15 Uhr Ortszeit eine kurze Feuerpause. Die Waffenruhe wurde weitgehend eingehalten. Allerdings warfen die israelischen Streitkräfte der Hamas vor, Granaten über die Grenze gefeuert und damit die Vereinbarung gebrochen zu haben. Die Feuerpause beweise, daß Kompromisse möglich seien, erklärte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Sie zeige, »daß ein Ende der Feindseligkeiten erreicht werden kann, wenn alle Seiten den nötigen Willen zeigen und den Anliegen der Zivilisten, die die Hauptlast des Konflikts tragen, Priorität geben«, so Ban am Donnerstag in New York. Die Menschen in Gaza bekämen so »die Möglichkeit, das alltägliche Leben für eine Weile zurückkehren zu lassen und Reparaturen vorzunehmen«. Die Israelis hätten »eine Atempause von den Raketenangriffen«.

Viele Bewohner des Gazastreifens nutzten die Feuerpause derweil, um einzukaufen oder ihren Lohn abzuholen. Auf den Straßen, die in den vergangenen Tagen fast leer waren, waren wieder viele Menschen unterwegs. Eine erste von Ägypten vorgeschlagene Waffenruhe war in dieser Woche noch gescheitert. Die ägyptische Regierung trat in dem Konflikt schon mehrfach als Vermittlerin auf, hat sich nach dem Sturz des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi im vergangenen Jahr aber mit der Hamas überworfen. Die neue Regierung in Kairo hat den Grenzverkehr beschränkt und Schmugglertunnel zerstört. Die Maßnahmen haben die Wirtschaftskrise im verarmten und isolierten Gazastreifen verschärft. Die Hamas fordert von Ägypten und Israel, daß über die Grenzübergänge wieder mehr Waren und Personen in das Gebiet gelangen können, das etwa halb so groß wie Hamburg ist.

** Aus: junge Welt, Freitag 18. Juli 2014


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