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Gaza-Waffenruhe, die achte!

Palästinensische und israelische Unterhändler in Kairo einigten sich

Von Oliver Eberhardt, Tel Aviv *

Die Waffenruhe im Gaza-Krieg ist bis Montagnacht verlängert worden. Die Vermittler hoffen, bis dahin einen dauerhaften Waffenstillstand ausgehandelt zu haben.

Es ist mittlerweile ein gewohntes Bild: Zweimal am Tag landet auf dem Helipad gegenüber der Knesset ein Hubschrauber. An Bord stets: Die israelische Delegation bei den Waffenstillstandsverhandlungen in Kairo. Man telefoniere so wenig wie möglich, heißt es, denn Telefone könnten abgehört werden, und das ist derzeit ein heißes Eisen. Israels Geheimdienste haben US-Außenminister John Kerry abgehört; die Amerikaner haben in die Gespräche von Regierungschef Benjamin Netanjahu hineingelauscht. Doch man lässt sich nicht gerne in die Karten schauen, zumal das Verhältnis zu den USA am Donnerstag einen neuen Tiefpunkt erreichte. Dem »Wall Street Journal« zufolge soll das Weiße Haus mittlerweile Waffenlieferungen an Israel blockieren; Israels Regierung soll versuchen, dies zu umgehen, indem man sich direkt ans Pentagon wendet. Deshalb pendelt die Delegation derzeit, um der Politik den Stand der Dinge zu berichten und sich neue Instruktionen abzuholen.

Noch komplizierter sieht es auf der palästinensischen Seite aus. Die Verhandlungsdelegation, die aus einem Vertreter der Fatah-Fraktion von Präsident Mahmud Abbas, der offiziell die Verhandlungen führt, sowie Abgesandten von Hamas und Islamischem Dschihad besteht, muss sich in ihrem Vorgehen mit der Regierung in Ramallah, den politischen und militärischen Führungen der Hamas in Gaza und dem Hamas-Politbüro in Katar abstimmen. Ein langwieriges Prozedere, dass nun dazu geführt hat, dass der ursprünglich auf drei Tage angelegte Waffenstillstand kurz vor seinem Ende um weitere fünf Tage verlängert wurde. Für die Statistik: Es ist die achte Waffenruhe.

Kurz zuvor hatte es in der Nacht zum Donnerstag so ausgesehen, als würde es zu einem neuen Gewaltausbruch kommen. Es wurden Raketen abgefeuert; Israel bombardierte Ziele im Gaza-Streifen. Doch sowohl Hamas als auch Islamischer Dschihad sagten, sie seien für die Abschüsse nicht verantwortlich; Gruppen, die nicht unter dem Einfluss der beiden Organisationen stehen, hätten geschossen.

Die Verhandlungen sind komplex, denn es geht dabei nicht allein um ein Ende des Krieges, sondern auch um die Zukunft des Gaza-Streifens. Beiden Seiten ist bewusst, dass eine Fortsetzung der Blockade in ihrer früheren Form nicht möglich ist; in den Reihen der politischen Hamas gesteht man zudem ein, dass die Zeit der Alleinherrschaft im Gaza-Streifen wohl vorbei ist, zumal die internationale Gemeinschaft weitgehend auf eine Führungsrolle von Präsident Abbas in Gaza abzielt. Sicherheitskräfte der palästinensischen Autonomiebehörde, das ist nach außen gedrungen, werden künftig die Grenzen sichern; strittig sind nur die Details.

Ein großes Problem bei diesem Konzept ist auch Sicht der internationalen Gemeinschaft, dass es Abbas an Rückhalt in der palästinensischen Bevölkerung fehlt – weshalb mittlerweile auch Israels Regierung ernsthaft in Betracht zieht, dem Bau eines Seehafens und einer Instandsetzung des weitgehend zerstörten Flughafens zuzustimmen. Beides wären nationale Symbole und damit für Abbas ein vorzeigbarer Verhandlungserfolg, der ihn stärken würde. Doch die Infrastruktur hat aus Sicht der internationalen Gemeinschaft auch logistische Relevanz: Die Verkehrsverbindungen zum Gaza-Streifen sind weder in Israel noch in Ägypten auf die großen Mengen an Gütern angelegt, die künftig in den Landstrich befördert werden müssen. 250 Lastwagen am Tag dürfen derzeit den Streifen beliefern; bei um die 600 Ladungen am Tag sind die Kapazitätsgrenzen erreicht. Benötigt werden nach Berechnungen aber für den Wiederaufbau bis zu 1800 Lieferungen am Tag.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 15. August 2014


Feuerpause verlängert

Palästinensische Delegation will verhandeln. Netanjahu gegen UN-Kommission

Von Karin Leukefeld **


Die von Ägypten vermittelte Feuerpause zwischen Israel und dem Gazastreifen ist in der Nacht zum Donnerstag um weitere fünf Tage verlängert worden. Delegationen beider Seiten werden am kommenden Sonntag die Gespräche für eine anhaltende Waffenruhe fortsetzen. Allerdings sprechen die beiden Seiten nur indirekt miteinander, als Vermittler dient Ägypten. Israel hatte die Vereinbarung zunächst nicht bestätigt, statt dessen hatte es entlang der Grenze zum Gazastreifen Panzer und starke Truppenverbände zu einer Drohkulisse aufgebaut. Kampfjets beschossen den Küstenstreifen bis in die frühen Morgenstunden und griffen nach Armeeangaben »Raketenabschußvorrichtungen, Waffenlager und Zentren terroristischer Aktivitäten« an. Zuvor waren zwei Raketen auf den Süden Israels abgefeuert worden.

Bei den Gesprächen habe man sich »in vielen Punkten« geeinigt, sagte Assam Al-Ahmad, der Leiter der palästinensischen Verhandlungsdelegation in Kairo. Man brauche aber »noch mehr Zeit«. Der Delegation gehören Vertreter der Hamas, des Islamischen Dschihad und der Palästinensischen Autonomiebehörde an.

Das Wall Street Journal hatte derweil berichtet, daß die US-Regierung die Lieferung von »Hellfire«-Raketen für Kampfhubschrauber an Israel wegen der hohen zivilen Opfer­zahlen gestoppt habe. Bei einem Telefonat zwischen US-Präsident Barack Obama und seinem israelischen Amtskollegen Benjamin Netanjahu am Mittwoch sei es zu heftigem Streit gekommen, so das Wall Street Journal. Viele US-Beamte hielten die israelische Regierung für rücksichtslos und unglaubwürdig. Regierungschef Netanjahu hatte die Bildung einer UN-Kommission zur Untersuchung von Kriegsverbrechen zurückgewiesen. Das Gremium sei »in Sünde geboren«, sagte die israelische Justizministerin Zipi Livni am Donnerstag. Die israelische Armee will nun selber untersuchen, ob ihre Soldaten während des Gaza-Krieges das humanitäre Völkerrecht gebrochen haben.

Auf palästinensischer Seite werden die grundlegenden Forderungen von allen politischen Fraktionen unterstützt. Es geht um den Abzug der israelischen Streitkräfte aus dem Gazastreifen und darum, daß die palästinensischen Bauern ihr Land komplett – bis an den israelischen Grenzzaun – bebauen dürfen und Israel die dort eingerichtete »Pufferzone« abbaut. Weiterhin sollen die Palästinenser freigelassen werden, die im Austausch für den israelischen Soldaten Gilad Schalit freikamen, danach aber wieder verhaftet wurden. Die Palästinenser fordern die Öffnung aller Grenzen des Gazastreifens, wobei der Grenzübergang Rafah nach Ägypten international überwacht werden soll. Gefordert wird das Ende der israelischen Belagerung, die Wiederöffnung des internationalen Flughafens unter UN-Kontrolle, die Öffnung des Hafens von Gaza und der Industriezone sowie die Erweiterung der von Israel eingeschränkten Fischereigebiete. Israel soll zudem eine zehnjährige Waffenruhe zusagen, der Luftraum über dem Gazastreifen soll für israelische Flugzeuge gesperrt werden und die Bewohner sollten die Erlaubnis bekommen, zum Gebet in die Al-Aksa-Moschee nach Jerusalem fahren zu dürfen.

Die zwischen den beiden Delegationen vermittelnden Unterhändler hatten vorgeschlagen, daß die Frage des Hafens und des Flughafens erst einen Monat nach Beginn einer Waffenruhe neu aufgegriffen werden sollten. Das geht aus einem Papier hervor, das der Nachrichtenagentur AFP offenbar zugespielt wurde. Auch die Übergabe von zwei getöteten israelischen Soldaten im Austausch mit palästinensischen Gefangenen soll später verhandelt werden. Dem Papier zufolge soll die Pufferzone an der Grenze zu Israel nach und nach reduziert und von Sicherheitskräften der Autonomiebehörde bewacht werden. Die kooperieren bereits jetzt im besetzten Westjordanland eng mit der israelischen Armee. Israel stimmt einem Wiederaufbau nur zu, wenn der Gazastreifen komplett entwaffnet wird. Das wird von palästinensischer Seite abgelehnt.

Die parteiunabhängige palästinensische Menschenrechtsorganisation Al-Haq hat derweil einen Bericht über die Verwendung von DIME-Munition durch die israelischen Streitkräfte veröffentlicht. Diese Waffen enthalten eine Mischung aus Sprengstoff, Kobalt, Nickel, Eisen und Wolfram und verursachen schwerste Verletzungen. Aus Gaza wurden Fälle berichtet von ganzen Körpern, die in zwei Hälften zerschnitten wurden, und von Haut, Muskeln und Knochen, die aufgrund der zerstörerischen Verbrennungen verkohlt wurden.

** Aus: junge Welt, Freitag, 15. August 2014


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