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Warten auf die Freiheit

Georgien: Amnestiegesetz soll auch zahlreichen politischen Gefangenen Haftentlassung bringen

Von Knut Mellenthin *

Das Parlament der Kaukasusrepublik Georgien hat am Freitag das Veto von Präsident Michail Saakaschwili gegen ein am 21. Dezember verabschiedetes Amnestiegesetz überstimmt. Die seit 2004 allein regierende Vereinigte Unabhängigkeitsbewegung des Präsidenten war am 1. Oktober von den Wählern in die Opposition geschickt worden. Saakaschwili kann aber noch bis zur nächsten Präsidentenwahl im Oktober 2013 im Amt bleiben und die Arbeit des jetzt regierenden Parteienbündnisses Georgischer Traum unter Ministerpräsident Bidsina Iwanischwili behindern.

Das Amnestiegesetz sieht ein genau definiertes breites Spektrum von Haftverkürzungen und Entlassungen aus dem Gefängnis, beispielsweise für jugendliche Ersttäter vor. Es wird erwartet, daß ungefähr 3000 Strafgefangene nach Inkrafttreten des Gesetzes freigelassen werden. Weitere 5000 bis 6000 Personen werden aufgrund der Reduzierung ihres Strafmaßes die vorzeitige Entlassung aus der Haft beantragen können. Fast alle Gefangenen, mit Ausnahme einiger Schwersttäter, können mindestens mit der Verkürzung ihrer Haftzeit um ein Viertel rechnen. Durch die Amnestie kommen außerdem 190 Personen frei, die das Parlament am 5. Dezember zu politischen Gefangenen erklärt hatte. Unter ihnen sind, neben verurteilten Demonstranten und anderen Oppositionellen, auch mehrere angebliche Spione für Rußland und zahlreiche Führer und Teilnehmer der sogenannten Meuterei von Mukhrowani im Mai 2009. Ein in diesem Ort stationiertes Panzerbataillon – rund 500 Soldaten – hatte sich damals geschlossen geweigert, zu einem Einsatz gegen regierungsfeindliche Demonstranten auszurücken. Die im Januar 2010 gesprochenen Urteile waren extrem hart: 29 Jahre Gefängnis für einen Offizier im Ruhestand, 28 Jahre für einen anderen, 19 Jahre für den Bataillonskommandeur, 10 bis 15 Jahre für sieben Zivilisten, die sich im Stützpunkt Mukhrowani aufgehalten hatten, und zahlreiche Verurteilungen zu drei Jahren Haft gegen Soldaten der Einheit.

Saakaschwili hatte seinen Einspruch gegen das Gesetz hauptsächlich mit der Amnestierung der politischen Gefangenen – solche habe es unter seiner Herrschaft überhaupt nicht gegeben – und der nahezu generellen Verkürzung aller Haftstrafen um mindestens ein Viertel begründet. Mindestens 89 Stimmen – 60 Prozent der Parlamentarier – waren notwendig, um das Präsidentenveto abzuweisen. Der Georgische Traum hat jedoch derzeit nur 83 Mandate. In der entscheidenden Sitzung am Freitag stimmten 91 Abgeordnete für das Gesetz und nur 24 dagegen. Viele Abgeordnete der Nationalbewegung, die gegenwärtig 65 Sitze hat, hatten sich nicht an der Abstimmung beteiligt. Die Stimmen, die dem Regierungsbündnis gefehlt hatten, kamen offenbar aus der Gruppe der neun »Unabhängigen«, die sich seit der Wahl von der Nationalbewegung losgesagt haben.

Das Gesetz geht nun nochmals an Saakaschwili. Falls er sich immer noch weigert zu unterzeichnen, kann Parlamentspräsident Davit Usupaschwili es mit seiner Unterschrift in Kraft setzen. Erst dann können auch die politischen Gefangenen freikommen.

Die Amnestie ist vor dem Hintergrund zu sehen, daß Georgien, umgerechnet auf die Bevölkerung, neben den USA weltweit zu den Staaten mit der größten Zahl von Strafgefangenen gehört. Im Jahr 2003, bevor Saakaschwili und die Nationalbewegung die Macht übernahmen, gab es in Georgien nur 6 119 Häftlinge. Bis Anfang dieses Jahres stieg ihre Zahl auf 24 079 und wurde durch kleine Amnestien des Präsidenten bis zum Regierungswechsel im Oktober auf 21425 verringert

* Aus: junge Welt, Montag, 31. Dezember 2012


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