Im Land der starken Männer
Nationalismus und eine schleichende Aufrüstung sind die Kennzeichen des neuen US-Alliierten Georgien
Von Markus Bernath*
Und was ist Ihr Eindruck vom Land, ein Jahr nach der Revolution?«, fragt Elene Tewdoradse, die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses und so etwas wie die Grande Dame des georgischen Parlaments, und hat dann gleich selbst eine Antwort parat: »Wenn Sie an den Straßenecken keine dicken Polizisten mehr sehen, die Geld wollen, dann ist das schon ein großer Fortschritt.«
Anderthalb Jahre nach der »Rosenrevolution« sind die dicken Polizisten tatsächlich verschwunden und Georgiens jugendlicher Staatspräsident Michail Saakaschwili hat in dieser Woche den tatkräftig von den USA unterstützten Regimewechsel mit einem operettenhaft inszenierten Besuch von George Bush in der kleinen Kaukasusrepublik gekrönt. Doch Regierungsplakate auf den großen Landstraßen künden vom zweifelhaften Geist der neuen Zeit. »Die Polizei ist auf Seiten der Menschen«, heißt es dort, oder: »Diene deiner Heimat, liebe sie!« oder schlicht »Für den Sieg«. Soldaten der georgischen Armee im Paradeschritt sind auf diesen Aushängen zu sehen, neu eingekleidet und auf NATO-Maß trainiert von den USA.
Ein zweideutiger Ton zieht sich seit Monaten durch die Reden des georgischen Staatschefs und seines Verteidigungsministers Irakli Okruaschwili, der als Hitzkopf gilt. Vergangenen Sommer mussten beide auf Druck Washingtons und der EU die georgischen Truppen aus der Separatistenprovinz Südossetien wieder abziehen. Doch das Gespenst eines neuen militärischen Abenteuers hängt schon wieder über Tiflis. Die Versuchung, ein »window of opportunity« für einen schnellen Sturz der verachteten Regimes in Südossetien oder Abchasien zu nutzen, sei groß, glauben manche westliche Diplomaten trotz gegenteiliger Versicherungen der Regierung.
Das wichtigste Ziel des Präsidenten sei es, den »patriotischen Sinn« zu heben, räumt Elene Tewdoradse ein. Deshalb reagiere er auch so harsch auf Fälle von Disziplinlosigkeit in der Armee. Regelmäßig droht Saakaschwili unbotmäßigen Soldaten mit harten Strafen – elf armenische Georgier verließen zuletzt ihre Einheit und gingen in ihre Heimatdörfer, weil sich diskriminiert fühlten. Der Präsident hatte auch nichts gegen die Schikanierung eines Rekruten einzuwenden, der barfuß marschieren und dabei halb nackt eine Nacht lang im Freien verbringen musste.
George W. Bush wie die Regierungschefs in der EU dürften sich dieser verstörenden Signale aus der neuen Demokratie im Kaukasus sehr wohl bewusst sein. Doch die Geopolitik geht vor, und Washington wie Brüssel sind zuversichtlich, Saakaschwili und seine Equipe im Zaum halten zu können. 200 Millionen Dollar Entwicklungshilfe dürfte das Land bald im Rahmen des Millenium Challenge Account erhalten, eines Finanzprogramms, das Washington nur an ausgewählte Staaten vergibt. Georgien sei ein »Leuchtturm der Freiheit« in der Region, intonierte Bush bei seiner Rede in Tiflis – diese Freiheit breite sich nun aus vom Schwarzen bis zum Kaspischen Meer und von dort bis zum Persischen Golf. Das darf man getrost als Drohung gegen den Iran verstehen – nicht zufällig hat Washington gerade ein Abkommen über drei kleine US-Stützpunkte in Irans Nachbarstaat Aserbaidschan geschlossen. Damit wird ein weiterer Schritt getan, um den neuen kontinentalen Bogen aus proamerikanischen Ländern zu komplettieren, der inzwischen von den baltischen Staaten über die Ukraine bis in den Kaukasus und nach Mittelasien reicht (siehe Übersicht). Noch Ende Mai wird auch die neue Ölpipeline ihren Testbetrieb aufnehmen, die von Baku über Tiflis zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan reicht und den USA wie der EU mehr Unabhängigkeit von Öllieferungen aus den Golfstaaten bringen soll.
Mit dem Bush-Besuch müsse die »Rosenrevolution« endlich ihren Abschluss finden, empfiehlt Alexander Rondeli, ein angesehener Politikwissenschaftler in Tiflis, und berührt damit eine länger währende Debatte in Georgien: Die Reformer um den 38-jährigen Anwalt Saakaschwili können einfach nicht auf politischen Normalbetrieb umschalten, lautet der Vorwurf. Der turbulente Staatschef wirft jeden Tag Versprechen unters Volk, die er nicht einhalten kann, und fällt mit PR-Aktionen auf wie etwa der Auffahrt der neuen Polizeiwagen vor dem Rathaus von Tiflis, die bei den Bürgern weit weniger Genugtuung über das Tempo der »Reformen« als Fragen über die Kosten auslösen. »Teenager-Regierung«, spotten inzwischen schon manche Georgier wegen des kopflos anmutenden Politikstils. Laut einer Umfrage vom März ist Saakaschwilis Popularität innerhalb eines halben Jahres um 25 Prozentpunkte gefallen. Mit 38 Prozent an Zustimmung liegt der junge Staatschef immer noch weit vor allen anderen Politikern, doch der Stimmungswandel macht ihn nervös. Wiederholt mahnte er nun seine Minister öffentlich ab, weil er sie für die Kritik im Volk verantwortlich macht. Dass die Arbeitslosigkeit im ersten Regierungsjahr gestiegen ist durch die Entlassung von vielleicht 50.000 Angestellten staatlicher Dienste, die als korrupt, inkompetent oder überflüssig eingestuft wurden, lastet erheblich auf den Reformern. Die Erhöhung der Pensionen auf umgerechnet 15 Euro und der Beamtenbezüge auf 50 Euro gleicht den Unmut nicht aus.
Im zweiten Jahr der »Rosenrevolution« ist vieles unausgegoren und undurchsichtig zugleich. Da ist zum einen der mysteriöse Tod von Premierminister Surab Schwania im Februar, als die Regierung heftig aus dem Gleichgewicht kam. Schwania war am frühen Morgen in der Wohnung eines jungen Freundes gefunden worden. Eine Gasheizung hatte angeblich versagt, auch FBI-Beamte, die zur Untersuchung herangezogen wurden, schlossen auf einen Unfall. Die Umstände des Todes – Schwanias Gegner hatten immer wieder versucht, ihm homosexuelle Neigungen zu unterstellen, was in der konservativ-orthodoxen Gesellschaft Georgiens eine Ächtung sondergleichen bedeutet – lassen viele Georgier bis heute an der Unfallversion zweifeln. Fest steht, die »Rosenrevolutionäre« verloren ihren erfahrensten und am meisten auf Ausgleich bedachten Politiker.
Saakaschwili hat seither noch mehr Macht an sich gezogen. Er dirigiert die Regierung des wenig inspirierten Premiers und früheren Finanzministers Surab Nogaideli recht unverhohlen und hat keine Opposition im Parlament zu fürchten; nur 14 der 235 Abgeordneten stehen außerhalb der Regierungsfraktion oder sympathisieren nicht mit ihr. »Ein fruchtbarer Boden für eine autoritäre Herrschaft«, sagt Elene Tewdoradse, »aber der Präsident sieht wohl selbst die Gefahr«.
Saakaschwili sei eben der Einzige, der jetzt das Land führen könne, meint Tea Tutberidse, Gründerin der Studentenbewegung Kmara, die im November 2003 die Georgier zum Protest gegen den damaligen Präsidenten Schewardnadse und die Wahlfälschungen mobilisiert hatte. Die frühere Studentenführerin, die für das US nahe »Liberty«-Institut arbeitet, und die Bürgerrechtlerin und Abgeordnete Tewdoradse ziehen eine eher durchwachsene Bilanz der georgischen Revolution. Für Letztere ist der Kampf gegen das System der Bestechlichkeit und des unerlässlichen Schmiergelds die größte Errungenschaft. »Erstmals erfahren die Georgier, dass man ohne Korruption leben kann.« Sie übersieht großzügig den Druck auf die Medien, die nicht freundlich genug über die Reformer berichten, und lobt einen Rechtsstaat, den die Saakaschwili-Regierung mehr als einmal nach ihrem Gutdünken gebeugt hat. Die Fälle von Folter in den Gefängnissen haben mittlerweile abgenommen, meint Tea Tutberidse im Duktus der immer noch streitbar respektlosen Studentenführerin – doch »illegale Haft« bleibe in Georgien weiter ein Problem.
Erst langsam und gegen den zähen Widerstand der Regierung, die keine Einsicht in die Finanzierungspraktiken von Teilen ihres Staatshaushaltes duldet, ist eine Affäre aus den ersten Monaten der »Rosenrevolution« in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Damals, Anfang 2004, ließen Innenminister und Generalstaatsanwalt reihenweise Gefolgsleute des Schewardnadse-Regimes unter dem Vorwurf der Steuerhinterziehung und des Betrugs in Untersuchungshaft nehmen. Die Beschuldigten – frühere Minister, Politiker oder Geschäftsmänner – konnten sich gegen riesige Summen rasch freikaufen. 15 Millionen Dollar soll etwa Schewardnadses Schwiegersohn Gia Dshokhtaberidse, Chef des georgischen Mobiltelefonunternehmens Magtikom, bezahlt haben. Wohin, ist nicht ganz klar; und ob die verbreitete Summe in Wahrheit nicht noch viel höher war, steht auch zur Debatte. »Freiwillige« Verkäufe von Unternehmen und Immobilien an den Staat werden nach und nach nun auch aus anderen Städten des Landes gemeldet. Die Summen, so die offizielle Version, seien in den Staatshaushalt geflossen und zur Zahlung ausstehender Gehälter und Pensionen, aber auch für den Wiederaufbau der Armee verwendet worden. Wohl eher vorwiegend für die Armee, glauben auch Anhänger der Regierung. Das Verteidigungsbudget, so erklärt Minister Okruaschwili barsch, müsse nicht öffentlich gemacht werden. Eine parlamentarische Untersuchung zu den Zahlungen gebe es nicht, sagt Elene Tewdoradse, weil die übergroße Mehrheit der Abgeordneten hinter dem Präsidenten steht. Und die privaten Medienunternehmer halten ihre Journalisten an, keine unbequemen Nachforschungen anzustellen, die geschäftsschädigend sein könnten.
»Wären Sie etwa nicht bereit, Ihr Heimatland zu verteidigen?«, fragt Nino Burdschanadse, die Parlamentspräsidentin, scharf und bügelt Einwände gegen den latenten Nationalismus und die verborgen gehaltene Aufrüstung ab. Die friedliche Lösung der Separatistenkonflikte sei »die erste Priorität« der Regierung. Dann kommt das große »Aber«: »Wir haben 300.000 Flüchtlinge im Land, Südossetien und Abchasien sind Teil unseres Landes und unserer Herzen. Wenn die Menschen einmal ihre Hoffnung verlieren, ist es schwierig, sie zu stoppen.«
US-Militärpräsenz im Kaukasus und in Zentralasien
Kirgisien – Luftwaffenbasis in Manas, nahe der Hauptstadt Bishkek, stationiert sind dort 3.000 Soldaten.
Usbekistan – Luftwaffenbasis in Qarshi Hanabad, die US-Truppenstärke schwankt seit 2001 zwischen 1.500 und 2.000 Mann.
Tadschikistan – Kooperationsvertrag mit den USA, der eine Dislozierung amerikanischer Verbände in die Stadt Chorog an der Grenze zu Afghanistan und in der Hauptstadt Duschanbe ermöglicht.
Georgien – Seit 2002 stellt die US-Armee 200 Ausbilder, um in gesonderten Camps georgische Sicherheitskräfte im Anti- Terror-Kampf zu unterweisen.
* Aus: Freitag 19, 13. Mai 2005
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