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Georgien trotzt rechten Europapolitikern

Dreister offener Brief von Strasbourger Abgeordneten an Premier in Tbilissi

Von Knut Mellenthin *

Die georgische Regierung hat einen dreist formulierten Einschüchterungsversuch rechter Europa-Abgeordneter zurückgewiesen. Der seit dem 25. Oktober 2012 amtierende Premierminister Bidsina Iwanischwili bezeichnete einen an ihn gerichteten offenen Brief der Parlamentariergruppe, zu der auch drei Mitglieder der CDU/CSU gehören, als »schändlich«. Der Vorsitzende des georgischen Parlaments, David Usupaschwili, warf den Abgeordneten vor, ihr Angriff bestätige, »daß die Tatsache, daß jemand seinen Wohnsitz in Europa hat, keine Garantie dafür darstellt, daß er europäischen Werten verpflichtet ist«.

In Georgien wurde am 1. Oktober vorigen Jahres die Vereinigte Nationalbewegung abgewählt. Diese Partei hatte seit einem vom Westen unterstützten unblutigen Putsch am 22. November 2003 das Land ununterbrochen allein regiert und verfügte in dieser Zeit auch über eine solide Zweidrittelmehrheit im Parlament, die ihr Verfassungsänderungen im Alleingang ermöglichte. Die Partei errichtete unter Führung von Präsident Michail Saakaschwili ein Grauzonen-System, das zwar die meisten Spielregeln einer Demokratie formal einhielt, aber sich schwerer Verstöße gegen Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit schuldig machte. Seit dem Regierungswechsel sind Ermittlungsverfahren gegen mehrere Dutzend Vertreter des alten Regimes eingeleitet worden. Es geht hauptsächlich um Machtmißbrauch in verschiedenen Formen: die Plünderung der öffentlichen Finanzen zum Zweck der persönlichen Bereicherung, Verwendung staatlicher Gelder und Ressourcen für Wahlkämpfe der Nationalbewegung, die mafiöse Erpressung privater Unternehmen zur Zahlung von Schmier- und Schutzgeldern, bis hin zu Freiheitsberaubung und körperlicher Mißhandlung von Untergebenen.

Die Aufarbeitung der Hinterlassenschaft des alten Regimes wird dadurch erschwert und kompliziert, daß Saakaschwili sein mit außergewöhnlichen Vollmachten ausgestattetes Präsidentenamt noch bis zum Oktober ausüben kann. Nach der von der Nationalbewegung geformten georgischen Verfassung bestimmt der Präsident nicht nur die Richtlinien der Außenpolitik und die Besetzung einer Reihe von sicherheitsrelevanten Posten, sondern kann auch die Regierung entlassen und ohne Einschaltung des Parlaments eine neue einsetzen. Das seit Oktober 2012 regierende Parteienbündnis Georgischer Traum strebt Verfassungsänderungen an, braucht dafür aber die Unterstützung einiger Oppositionsabgeordneter, da sie nicht ganz die erforderliche Zweidrittelmehrheit erreichte.

Vor diesem Hintergrund sucht Saakaschwili Hilfe bei seinen Freunden im westlichen Ausland. So hatten 23 Mitglieder des Europaparlaments am 6. März einen offenen Brief an Iwanischwili veröffentlicht, in dem sie dem Premierminister drohten, er mache sich durch das juristische Vorgehen gegen das alte Regime zu einer »Person, die die europäischen Türen für Georgien verschließt« und Georgiens »europäische Zukunft begräbt«. 19 der Unterzeichner gehören der Europäischen Volkspartei an, dem Dachverband rechter Landesparteien, der mit 270 Abgeordneten die stärkste Fraktion im Europaparlament stellt. Aus den Reihen der CDU/CSU haben Elmar Brok, Bernd Posselt und Joachim Zeller unterschrieben. Die Mehrheit der Unterzeichner sind Osteuropäer.

Iwanischwili veröffentlichte am Mittwoch ein langes Antwortschreiben, in dem er ausführlich die Methoden des alten Regimes darstellte. Der neue Premier drückte dabei auch seine Enttäuschung aus, daß diese Zustände, obwohl sie allgemein bekannt waren, jahrelang sehr wenig Kritik durch westliche Regierungen gefunden hatten. Der frühere US-Präsident George W. Bush hatte das Regime am 10. Mai 2005 sogar als »Leuchtturm der Freiheit« gelobt, das »demokratische Reformer inspiriert« und »eine Botschaft aussendet, deren Echo in der ganzen Welt widerhallt«.



* Aus: junge Welt, Samstag, 16. März 2013


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