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"... missbilligt das inakzeptable und unverhältnismäßige militärische Vorgehen Russlands"

Im Wortlaut: Entschließung des Europoäischen Parlaments zum georgisch-russischen Konflikt - Dokumentation des Beschlusses des EU-Sondergipfels

Im Folgenden dokumentieren wir eine umfassende Resolution des Europäischen Parlaments zum kurzen Krieg zwischen Georgien und Russland um Südossetien. Es ist - gelinde gesagt - eine ähnlich einseitige, scharfe Verurteilung Russlands und das fast völlige Ausklammern der Verantwortung Georgiens bzw. dessen Präsidenten Saakaschwili für die entstandene Situation. Die Argumentation des Europäischen Parlaments unterscheidet sich nicht wesentlich von der Entschließung des EU-Sondergipfels vom 1. September. Diese dokumentieren wir ebenfalls (siehe Kasten). Zum Sondergipfel der EU schreibt die GRÜNEN-Abgeordnete Angelika Beer in ihrem Newsletter: "Der EU-Sondergipfel zur Kaukasuskrise war ein Gipfel der Halbwahrheiten. Zwar wurden keine Sanktionen gegen Russland verhängt, doch die Chance als neutrale Mittlerin zu wirken wurde vertan." (Newsletter von A. Beer, MdEP, vom 5.09.2008)
Vgl. zu dem Vorgang auch unsere Seite "Missbilligung Russlands ohne Sanktionen".



Entschließung des Europäischen Parlaments vom 3. September 2008 zur Lage in Georgien

Das Europäische Parlament,

– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Georgien, insbesondere diejenige vom 26. Oktober 2006 zur Lage in Südossetien(1) und seine Entschließungen vom 29. November 2007(2) und 5. Juni 2008(3) zur Lage in Georgien,

– unter Hinweis auf seine Entschließungen vom 15. November 2007 zur Stärkung der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP)(4) sowie vom 17. Januar 2008 zu einer wirkungsvolleren EU-Politik für den Südkaukasus(5) und zu einem neuen Ansatz in der Politik für den Schwarzmeerraum(6) ,

– unter Hinweis auf den mit Georgien verabschiedeten Aktionsplan der ENP, der eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit bei der Beilegung interner Konflikte Georgiens umfasst,

– unter Hinweis auf die Gemeinsame Aktion 2008/450/GASP des Rates vom 16. Juni 2008 über einen weiteren Beitrag der Europäischen Union zum Konfliktbeilegungsprozess in Georgien/Südossetien(7) und auf weitere frühere diesbezügliche Gemeinsame Aktionen des Rates,

– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland, insbesondere seine Entschließung vom 19. Juni 2008 zum Gipfeltreffen EU-Russland am 26. und 27. Juni 2008 in Khanty-Mansiysk(8) ,

– in Kenntnis des Ergebnisses der Sondertagung des Rates "Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen" vom 13. August 2008 im Zusammenhang mit der Lage in Georgien ,

– in Kenntnis des Ergebnisses der Sondertagung des Europäischen Rates(9) vom 1. September 2008 in Brüssel,

– unter Hinweis auf die Resolutionen S/RES/1781 (2007) und S/RES/1808 (2008) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, die beide die territoriale Integrität Georgiens unterstützen und deren letztere die die Dauer des Mandats der VN-Beobachtermission in Georgien (UNOMIG) bis zum 15. Oktober 2008 verlängert,

– unter Hinweis auf den Beschluss Nr. 861 des Ständigen Rates der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vom 19. August 2008 zur Erhöhung der Zahl der Militärbeobachter in der OSZE-Mission in Georgien,

– unter Hinweis auf die Erklärung der NATO anlässlich des Gipfels in Bukarest vom 3. April 2008 und das Ergebnis der Tagung des NATO-Rates vom 19. August 2008,

– gestützt auf Artikel 103 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,

A. in der Erwägung, dass die Europäische Union weiterhin für die Wahrung der Unabhängigkeit, Souveränität und territorialen Integrität Georgiens innerhalb seiner international anerkannten Grenzen eintritt,

B. in der Erwägung, dass die Ausgabe russischer Pässe an Bürger in Südossetien und die Unterstützung der separatistischen Bewegung zusammen mit der Ausweitung der militärischen Aktivitäten von Separatisten gegen Dörfer mit georgischer Bevölkerung die Spannungen in Südossetien verschärft haben, wobei umfangreiche russische Militärmanöver in der Nähe der georgischen Grenze im Juli 2008 hinzukamen,

C. unter Hinweis darauf, dass nach wochenlangen verstärkten Spannungen und Zusammenstößen zwischen beiden Seiten sowie Provokationen durch separatistische südossetische Kräfte mit Bombenangriffen, tödlichen Zwischenfällen, Schießereien und Granatenangriffen, die viele zivile Todesopfer und noch weitaus mehr Verletzte zur Folge hatten, die georgische Armee in der Nacht vom 7. zum 8. August 2008 einen überraschenden Artillerieangriff auf Zchinwali einleitete, auf den eine Bodenoperation mit Panzern und Soldaten folgte, um die Kontrolle über Südossetien wiederherzustellen,

D. in der Erwägung, dass Russland nach einem lange andauernden militärischen Aufmarsch sofort mit einem massiven Gegenangriff antwortete, bei dem es Panzer und Bodentruppen in das Gebiet sandte, mehrere Orte in Georgien bombardierte, unter anderem die Stadt Gori, und georgische Schwarzmeerhäfen blockierte,

E. in der Erwägung, dass rund 158 000 Menschen durch die Krise aus ihrer Umgebung gerissen und zum Verlassen ihrer Wohnungen gezwungen wurden und jetzt dabei unterstützt werden müssen, zurückzukehren, und dass durch das Vorhandensein von Streumunition, nicht explodierten Sprengmitteln und Landminen sowie durch die Warnungen von russischer Seite und den Mangel an Zusammenarbeit eine solche Rückkehr riskant ist,

F. in der Erwägung, dass die Infrastruktur in Georgien durch die russischen Militäraktionen schweren Schaden genommen hat und dass humanitäre Hilfe erforderlich ist,

G. unter Hinweis darauf, dass internationale Forscher auf dem Gebiet der Menschenrechte und Analytiker militärischer Vorgänge den Einsatz von Streumunition in Georgien durch russische Streitkräfte dokumentiert haben, in deren Folge nicht explodierte Sprengmittel zu Tausenden in den Konfliktgebieten zurückgeblieben sind, und dass Georgien ebenfalls den Einsatz von Streubomben in Südossetien in der Umgebung des Roki-Tunnels zugegeben hat,

H. in der Erwägung, dass sich die Präsidenten Georgiens und Russlands am 12. August 2008 auf der Grundlage von Vermittlungsbemühungen der Europäischen Union auf ein Abkommen verpflichtet haben, das einen unverzüglichen Waffenstillstand, den Rückzug der georgischen und russischen Streitkräfte auf ihre Positionen vor dem 7. August 2008 und die Aufnahme internationaler Gespräche über einen rasch zu schaffenden internationalen Mechanismus zur Vorbereitung einer friedlichen und dauerhaften Konfliktlösung vorsieht,

I. in der Erwägung, dass die NATO am 19. August 2008 die regelmäßigen Verbindungen mit Russland auf höchster Ebene mit der Begründung aussetzte, die Militäraktion Russlands sei unverhältnismäßig und mit seiner friedenserhaltenden Rolle in Teilen Georgiens nicht vereinbar, und es könne nicht zur Tagesordnung übergegangen werden, solange russische Truppen in Georgien verblieben,

J. unter Hinweis darauf, dass Russland am 22. August 2008 Panzer, Artillerie und Hunderte von Soldaten von den am weitesten nach Georgien vorgeschobenen Stellungen abgezogen hat, aber nach wie vor den Zugang zur Hafenstadt Poti, südlich von Abchasien, kontrolliert und dass die russische Regierung erklärt hat, dass sie Streitkräfte in einer Sicherheitszone um Südossetien belassen wird, wobei acht von russischen Streitkräften besetzte Kontrollstellen eingerichtet werden,

K. unter Hinweis darauf, dass das Oberhaus des russischen Parlaments am 25. August 2008 eine Resolution verabschiedet hat, in der der Präsident aufgefordert wurde, die Unabhängigkeit der abtrünnigen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien anzuerkennen, und dass daraufhin am 26. August 2008 die Entscheidung von Präsident Medwedew zur formellen Anerkennung der beiden Regionen als unabhängige Staaten durch Russland erfolgte,

L. in der Erwägung, dass dieser Konflikt weit reichende Folgen für die regionale Stabilität und Sicherheit hat, die weit über die direkten Beziehungen zwischen allen an diesem Konflikt Beteiligten hinausgehen, was Auswirkungen auf die Beziehungen EU-Russland, die ENP, den Schwarzmeerraum und weitere Gebiete haben kann,

M. in der Erwägung, dass die Europäische Union bei der Reaktion auf die Krise in Georgien ihre umfassende politische Einheit wahren und mit einer Stimme sprechen muss, insbesondere in den Beziehungen zu Russland, und dass der Prozess einer friedlichen und stabilen Lösung der Konflikte in Georgien und im Kaukasus eine umfassende Überprüfung der ENP und ein neues Engagement in diesem gesamten Raum in Zusammenarbeit mit allen europäischen und internationalen Organisationen, insbesondere der OSZE, erfordern wird,

N. unter Hinweis darauf, dass die Regierung Georgiens in der vergangenen Woche die diplomatischen Beziehungen zu Russland abgebrochen hat und dass die Russische Föderation mit dem gleichen Schritt reagiert hat,

1. vertritt die Auffassung, dass es keine militärische Lösung der Konflikte im Kaukasus geben kann, und missbilligt mit Nachdruck die Schritte all derer, die Gewalt angewendet haben, um die Lage in den abtrünnigen georgischen Gebieten Südossetien und Abchasien zu ändern;

2. fordert Russland auf, die Souveränität, die territoriale Integrität und die Unverletzlichkeit der international anerkannten Grenzen der Republik Georgien zu achten, und missbilligt deshalb nachdrücklich die Anerkennung der Unabhängigkeit der abtrünnigen georgischen Regionen Südossetien und Abchasien durch die Russische Föderation als einen Verstoß gegen das Völkerrecht;

3. stellt fest, dass eine Entscheidung über den endgültigen Status von Südossetien und Abchasien von der Achtung der grundlegenden Prinzipien des Völkerrechts einschließlich der Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa aus 1975 (Schlussakte von Helsinki) abhängen muss, besonders was die Rückkehr von Flüchtlingen, die Achtung ihres Eigentums sowie die Gewährleistung und Achtung der Rechte von Minderheiten angeht;

4. missbilligt das inakzeptable und unverhältnismäßige militärische Vorgehen Russlands und den völkerrechtswidrigen tiefen feindlichen Einfall nach Georgien; betont, dass für Russland kein legitimer Grund für eine Invasion Georgiens, die Besetzung von Teilen dieses Landes und die Drohung, die Regierung eines demokratischen Landes zu stürzen, besteht;

5. bedauert den Verlust von Leben und das menschliche Leid, das durch den wahllosen Einsatz von Gewalt von allen am Konflikt beteiligten Seiten verursacht wurde;

6. bekundet seine tiefe Sorge über die Auswirkungen der russischen Minen auf die sozialen Aktivitäten und die Wirtschaftstätigkeit in Georgien, insbesondere vor dem Hintergrund der Sprengung einer Eisenbahnbrücke in der Nähe von Kaspi am 16. August 2008, an der Haupteisenbahnverbindung von Tiflis nach Poti, sowie der Explosion eines Zugs in der Nähe von Gori am 24. August 2008, der für den Export bestimmten Treibstoff aus Kasachstan über Poti transportierte; betont, dass mit beiden Aktionen gegen die Waffenstillstandsverpflichtung verstoßen wurde;

7. bekräftigt seine tiefe Überzeugung, dass grundsätzlich kein Drittland ein Vetorecht gegen die souveräne Entscheidung eines anderen Landes ausüben darf, sich einer internationalen Organisation oder Allianz anzuschließen, oder das Recht hat, eine demokratisch gewählte Regierung zu destabilisieren;

8. betont, dass die Partnerschaft zwischen Europa und Russland auf der Achtung der grundlegenden Regeln für die Zusammenarbeit in Europa basieren muss, die nicht nur verkündet, sondern in die Tat umgesetzt werden müssen;

9. lobt den Ratsvorsitz für die effiziente und rasche Reaktion auf diesen Konflikt und begrüßt die Einigkeit der Mitgliedstaaten bei der Vermittlung zwischen beiden Seiten, durch die diese einen Waffenstillstandsplan unterzeichnen konnten; begrüßt in diesem Zusammenhang das Ergebnis der oben genannten Sondertagung des Europäischen Rates ;

10. fordert Russland nachdrücklich auf, alle Verpflichtungen aus der auf der Grundlage der diplomatischen Bemühungen der Europäischen Union erzielten und unterzeichneten Waffenstillstandsvereinbarung einzuhalten, beginnend mit dem vollständigen und sofortigen Rückzug seiner Truppen aus Georgien selbst und der Beschränkung seiner militärischen Präsenz in Südossetien und Abchasien auf die russischen Truppen, die im Rahmen friedenserhaltender Maßnahmen in beiden Provinzen stationiert waren, bevor der Konflikt ausbrach; missbilligt die umfangreichen Plünderungen durch die russischen Invasionstruppen und die sie begleitenden Söldner;

11. fordert, dass umgehend eine unabhängige internationale Untersuchung durchgeführt wird, um die Fakten festzustellen und eine größere Klarheit in Bezug auf bestimmte Behauptungen zu schaffen;

12. fordert Georgien, das das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs ratifiziert hat, und die russische Staatsführung auf, die Anklageinstanz des Internationalen Strafgerichtshofs bei den Ermittlungen über die tragischen Ereignisse und die Angriffe auf Zivilisten während des Konflikts zu unterstützen und mit dieser Instanz uneingeschränkt zusammenzuarbeiten, damit die jeweilige Verantwortung festgestellt wird und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden;

13. fordert die russischen und die georgischen Staatsorgane auf, vollständige Informationen über die Gebiete abzugeben, in denen die jeweilige Armee Streubomben abgeworfen hat, damit die Minenräumungstätigkeiten unverzüglich beginnen können, weitere Opfer unter den unschuldigen Zivilpersonen verhindert werden und die sichere Rückkehr von Vertriebenen erleichtert wird;

14. fordert die Europäische Union, die NATO und ihre Mitgliedstaaten auf, auf der Grundlage eines gemeinsamen Standpunkts alle verfügbaren Mittel zu nutzen, um der russischen Regierung nahe zu legen, das Völkerrecht einzuhalten, was die Voraussetzung dafür ist, in der internationalen Gemeinschaft eine verantwortungsgerechte Rolle zu spielen; erinnert Russland an seine Verantwortung für eine globale Friedensordnung als VN-Vetomacht;

15. fordert den Rat und die Kommission auf, ihre Politik gegenüber Russland zu überprüfen, falls Russland seine Verpflichtungen im Rahmen der Waffenstillstandsvereinbarung nicht einhält; unterstützt deshalb den Beschluss des Europäischen Rates, die Verhandlungen über das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zu vertagen, bis die russischen Streitkräfte auf ihre Positionen vor dem 7. August 2008 zurückgezogen worden sind;

16. fordert die Kommission auf, Abkommen mit Georgien über Visaerleichterung und Rücknahme mindestens in dem Umfang voranzutreiben, wie sie mit Russland bestehen;

17. fordert die Mitgliedstaaten auf, die Ausstellung von Visa im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Aktivitäten in Südossetien und Abchasien zu überprüfen;

18. missbilligt mit Nachdruck die Zwangsumsiedlung von Georgiern aus Südossetien und Abchasien und fordert die de-facto-Organe Südossetiens und Abchasiens auf, die sichere Rückkehr der vertriebenen Zivilbevölkerung im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht zu gewährleisten;

19. begrüßt die von der OSZE unternommenen Initiativen, die Zahl der unbewaffneten Beobachter zu erhöhen; fordert eine weitere Verstärkung der OSZE-Mission in Georgien mit voller Bewegungsfreiheit im ganzen Staatsgebiet, und legt den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nahe, zu diesen Anstrengungen einen Beitrag zu leisten;

20. fordert einen robusten Beitrag der Europäischen Union zu dem vorgesehenen internationalen Mechanismus zur Beilegung des Konflikts; begrüßt die Entscheidung des Europäischen Rates über die Stationierung einer Beobachtermission im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), um die VN-Mission und die OSZE-Mission zu ergänzen, und ein Mandat der Vereinten Nationen oder der OSZE für eine ESVP-Friedensmission zu beantragen;

21. begrüßt es, dass die Europäische Union alle internationalen Anstrengungen um eine friedliche und dauerhafte Lösung des Konflikts fortlaufend aktiv unterstützt, und begrüßt vor allem die Entschlossenheit des Rates, alle Bemühungen der Vereinten Nationen, der OSZE und sonstiger Akteure, den Konflikt beizulegen, zu fördern; begrüßt insbesondere die Entscheidung, einen Sondervertreter der Europäischen Union für die Krise in Georgien einzusetzen;

22. begrüßt es, dass die Kommission sechs Millionen EUR als humanitäre Soforthilfe für die Zivilbevölkerung bereitstellt, die auf der Grundlage einer Bedarfsermittlung vor Ort durch weitere Finanzmittel aufgestockt werden muss; stellt fest, dass in der Folge des Konflikts ein dringender Bedarf an Wiederaufbauhilfe besteht;

23. begrüßt den Beschluss des Rates, eine internationale Geberkonferenz für den Wiederaufbau in Georgien einzuberufen, und fordert den Rat und die Kommission auf, die Möglichkeit eines umfangreichen EU-Plans zu prüfen, durch den der Wiederaufbau in den georgischen Gebieten, die vom Krieg betroffen sind, finanziell unterstützt und für eine stärkere politische Präsenz der Europäischen Union in Georgien und in dem gesamten Raum gesorgt wird;

24. fordert alle Konfliktparteien auf, vollständigen und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe für die Opfer, einschließlich Flüchtlinge und Binnenvertriebene, zu gewähren;

25. vertritt die Auffassung, dass eine stärkere Internationalisierung von Konfliktbeilegungsmechanismen dem Bemühen um Lösungen für den Konflikt in Georgien ebenso wie für die anderen ungelösten Konflikte im Südkaukasusraum förderlich sein wird; empfiehlt daher, dass die Europäische Union als Schlüsselelement dieses Prozesses eine "Transkaukasische Friedenskonferenz" einberuft; ist der Ansicht, dass auf einer derartigen Konferenz internationale Garantien für die umfassende Achtung der bürgerlichen und politischen Rechte und die Förderung der Demokratie durch die internationale Rechtsordnung erörtert werden sollten; betont, dass die Konferenz auch Gelegenheit bieten sollte, die Stimmen der nicht vertretenen oder zum Schweigen gebrachten Gruppierungen im Kaukasusraum zu hören;

26. fordert den Rat und die Kommission auf, die ENP durch deren bessere Anpassung an die Bedürfnisse der Partner im Osten auszuweiten – einschließlich eines verstärkten Engagements der Europäischen Union am Schwarzen Meer –, den Vorschlag des Europäischen Parlaments für einen "Europäischen Wirtschaftsraum Plus" oder den schwedisch-polnischen Vorschlag für eine "Partnerschaft mit dem Osten", insbesondere in Bezug auf Georgien, die Ukraine und die Republik Moldau die Errichtung einer Freihandelszone zu beschleunigen; weist darauf hin, dass bei der Liberalisierung der EU-Visumspolitik gegenüber diesen Ländern berücksichtigt werden muss, dass Russland diesbezüglich bessere Bedingungen eingeräumt wurden als den genannten Ländern;

27. betont, dass eine Reihe von Problemen im Südkaukasusraum in einer Wechselbeziehung stehen und dass eine umfassende Lösung in Form eines Stabilitätspakts unter Einbeziehung der wichtigen externen Akteure gefunden werden muss; hebt hervor, dass die Zusammenarbeit mit den Nachbarländern des Schwarzmeerraums durch die Einrichtung einer speziellen institutionellen und multilateralen Einrichtung wie einer Schwarzmeer-Union und die Abhaltung einer internationalen Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit im Südkaukasusraum verbessert werden muss; fordert die Kommission daher auf, dem Parlament und dem Rat einen speziellen Vorschlag zur Schaffung eines multilateralen Rahmens für den Schwarzmeerraum, der auch die Türkei und die Ukraine betrifft, zu unterbreiten; ist der Auffassung, dass benachbarte Staaten wie Kasachstan im Interesse der Stabilität und der Energieversorgung in dem gesamten Raum darin einbezogen werden sollten;

28. weist darauf hin, dass die NATO auf dem Gipfeltreffen vom 3. April 2008 in Bukarest übereingekommen ist, dass Georgien Mitglied des Bündnisses werden könne;

29. hebt die Bedeutung hervor, die Georgien für die Verbesserung der Energieversorgungssicherheit der Europäischen Union hat, weil es beim Energietransit eine Alternative zu Russland bietet; erachtet es als entscheidend, die bestehenden Infrastrukturen wie die Baku-Tbilisi-Ceyhan-Pipeline wirksam zu schützen, und fordert die Kommission auf, Georgien diesbezüglich alle erforderliche Unterstützung zu geben; erwartet ein nachhaltiges politisches und haushaltsmäßiges Engagement der Europäischen Union in Bezug auf das Nabucco-Pipeline-Projekt, das als vorrangiges Projekt der Europäischen Union, das georgisches Hoheitsgebiet durchqueren würde, anerkannt ist und das als tragfähigste Alternative zu den in Zusammenarbeit mit Russland durchgeführten Projekten dient, die durchweg dazu angetan sind, die wirtschaftliche und politische Abhängigkeit der Mitgliedstaaten von Russland zu vergrößern;

30. fordert den Rat und die Kommission auf, sich weiterhin darum zu bemühen, eine gemeinsame Energiepolitik der Europäischen Union zu verabschieden, die unter anderem der Notwendigkeit zur Diversifizierung der Versorgungsquellen Rechnung trägt;

31. vertritt die Auffassung, dass die Zusammenarbeit im Südkaukasusraum nicht sich gegenseitig ausschließende Einflusszonen zwischen der Europäischen Union und Russland (so genannte "Interessensphären") zum Inhalt haben sollte;

32. vertritt die Auffassung, dass die Rolle der Europäischen Union in der gegenwärtigen Krise die Notwendigkeit der Stärkung der europäischen Außen-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik deutlich macht und dass der Vertrag von Lissabon, einschließlich der Schaffung der Position des Hohen Vertreters, der Solidaritätsklausel und der EU-Politik für die Energieversorgungssicherheit, dazu das richtige Mittel ist;

33. betont die Notwendigkeit, die Stabilität im Südkaukasusraum zu gewährleisten, und fordert die armenische und die aserbaidschanische Regierung auf, zur Verwirklichung dieses Ziels beizutragen und dabei alle ihre internationalen Verpflichtungen einzuhalten;

34. bekräftigt, dass der Grundsatz der pluralistischen und demokratischen Staatsführung mit funktionierenden Oppositionsparteien und unter Achtung der Menschenrechte und Bürgerrechte die besten Garantien für Stabilität im gesamten Südkaukasusraum bietet;

35. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Mitgliedstaaten, den Präsidenten und den Parlamenten Georgiens und der Russischen Föderation, der NATO, der OSZE und dem Europarat zu übermitteln.

Fußnoten
  1. ABl. C 313 E vom 20.12.2006, S. 429.
  2. Angenommene Texte, P6_TA(2007)0572.
  3. Angenommene Texte, P6_TA(2008)0253.
  4. Angenommene Texte, P6_TA(2007)0538.
  5. Angenommene Texte, P6_TA(2008)0016.
  6. Angenommene Texte, P6_TA(2008)0017.
  7. ABl. L 157 vom 17.6.2008, S. 110.
  8. Angenommene Texte, P6_TA(2008)0309.
  9. Rat der Europäischen Union, Dokument 12594/08.

Quelle: Website des Europäischen Parlaments; www.europarl.europa.eu

AUSSERORDENTLICHE TAGUNG DES EUROPÄISCHEN RATES VOM 1. SEPTEMBER 2008 IN BRÜSSEL

SCHLUSSFOLGERUNGEN DES VORSITZES

Brüssel, den 1. September 2008
12594/08

Der Tagung des Europäischen Rates ging ein Exposé des Präsidenten des Europäischen Parlaments, Herrn Hans-Gert Pöttering, voraus, an das sich ein Gedankenaustausch anschloss.
  1. Der Europäische Rat ist zutiefst besorgt über den in Georgien ausgebrochenen offenen Konflikt, die damit verbundene Welle der Gewalt und die unverhältnismäßige Reaktion Russlands. Dieser Konflikt hat auf beiden Seiten großes Leid verursacht. Derartige militärische Aktionen sind keine Lösung und sie sind nicht hinnehmbar. Der Europäische Rat bedauert die Verluste an Menschenleben, das Leid der Bevölkerung, die hohe Zahl der Vertriebenen und Flüchtlinge sowie den entstandenen beträchtlichen Sachschaden.
  2. Der Europäische Rat verurteilt entschieden den einseitigen Beschluss Russlands, die Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens anzuerkennen. Dieser Beschluss ist inakzeptabel und der Europäische Rat appelliert an die übrigen Staaten, diese Unabhängigkeitserklärungen nicht anzuerkennen und ersucht die Kommission zu prüfen, welche konkreten Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Er weist darauf hin, dass eine friedliche und dauerhafte Lösung der Konflikte in Georgien auf der uneingeschränkten Achtung der durch das Völkerrecht, die Schlussakte der Konferenz von Helsinki über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und die Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen anerkannten Grundsätze der Unabhängigkeit, der Souveränität und der territorialen Unversehrtheit beruhen muss.
  3. Der Europäische Rat unterstreicht, dass jeder Staat in Europa das Recht hat, unter Achtung des Völkerrechts und der Grundsätze gutnachbarschaftlicher Beziehungen und der friedlichen Zusammenarbeit seine Außenpolitik und seine Bündnisse frei zu bestimmen. Ebenso ist es legitim, dass die Sicherheitsinteressen eines jeden berücksichtigt werden, solange die Grundprinzipien der Achtung der Souveränität, der territorialen Unversehrtheit und der Unabhängigkeit der Staaten geachtet werden.
  4. Der Europäische Rat begrüßt es, dass das am 12. August 2008 infolge der Vermittlungsbemühungen der Europäischen Union geschlossene Sechs-Punkte-Abkommen zu einem Waffenstillstand, einer besseren Beförderung der humanitären Hilfe zu den Opfern und zu einem substanziellen Rückzug der russischen Streitkräfte geführt hat. Dieser Sechs-Punkte- Plan muss vollständig umgesetzt werden. Der Europäische Rat ruft beide Seiten auf, die vollständige und aufrichtige Umsetzung des von ihnen unterzeichneten Abkommens fortzusetzen. Die Streitkräfte, die sich noch nicht auf die Linien vor Ausbruch der Feindseligkeiten zurückgezogen haben, müssen dies unverzüglich tun. Neben der Unterstützung für die Opfer ist es jetzt dringend erforderlich, den unter Punkt 5 des Abkommens vorgesehenen internationalen Überwachungsmechanismus zu errichten, um die zusätzlichen russischen Sicherheitsmaßnahmen in den an Südossetien angrenzenden Gebieten zu ersetzen; die Union ist bereit, sich an diesem Mechanismus zu beteiligen. Ferner ist es vordringlich, die unter Punkt 6 des Abkommens vorgesehenen internationalen Gespräche über die Modalitäten für Sicherheit und Stabilität in Abchasien und Südossetien aufzunehmen.
  5. Die Europäische Union ist bereit, sich - auch durch Präsenz vor Ort - zu engagieren, um sämtliche Bemühungen im Hinblick auf eine friedliche und dauerhafte Lösung der Konflikte in Georgien zu unterstützen. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union werden deshalb in erheblichem Maße zur Stärkung der Beobachtungsmission der OSZE in Südossetien beitragen, indem sie Beobachter entsenden und substanzielle materielle und finanzielle Beiträge leisten. Die Europäische Union hat außerdem beschlossen, unverzüglich eine Erkundungsmission zu entsenden, die Informationen sammeln und die Modalitäten für ein verstärktes Engagement der Europäischen Union vor Ort im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik genauer bestimmen soll. Der Europäische Rat fordert die zuständigen Ratsgremien auf, die notwendigen Vorarbeiten insgesamt abzuschließen, damit der Rat ab dem 15. September entsprechend der Entwicklung der Lage vor Ort und in enger Abstimmung mit der OSZE und den Vereinten Nationen gegebenenfalls einen Beschluss über die Entsendung der Beobachtungsmission fassen kann. Der Europäische Rat ersucht den Präsidenten des Rates und den Generalsekretär/Hohen Vertreter, alle hierfür notwendigen Kontakte aufzunehmen und alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
  6. Die Europäische Union hat bereits Soforthilfe geleistet. Sie erklärt sich bereit, den Wiederaufbau in Georgien einschließlich der Regionen Südossetien und Abchasien zu unterstützen. Sie ist außerdem bereit, vertrauensbildende Maßnahmen und die Entwicklung der regionalen Zusammenarbeit zu fördern. Ferner beschließt sie, ihre Beziehungen zu Georgien zu vertiefen, wozu auch Visaerleichterungen und die etwaige Errichtung einer uneingeschränkten und umfassenden Freihandelszone gehören können, sobald die Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Sie wird die Initiative ergreifen und in Kürze eine internationale Konferenz zur Unterstützung des Wiederaufbaus Georgiens einberufen; sie ersucht den Rat und die Kommission, mit deren Vorbereitung zu beginnen.
  7. Der Europäische Rat nimmt besorgt zur Kenntnis, dass die gegenwärtige Krise Auswirkungen auf die gesamte Region hat. Nach Auffassung der Europäischen Union ist es heute notwendiger denn je, die regionale Zusammenarbeit zu fördern und ihre Beziehungen zu ihren östlichen Nachbarn zu vertiefen, was insbesondere durch ihre Nachbarschaftspolitik, die Entwicklung der "Schwarzmeersynergie" sowie durch eine "Östliche Partnerschaft" erreicht werden soll, deren Annahme der Europäische Rat im März 2009 plant; er ersucht die Kommission deshalb, ihm bereits im Dezember 2008 entsprechende Vorschläge vorzulegen. Der Europäische Rat unterstreicht in diesem Zusammenhang die Bedeutung, die dem nächsten Gipfeltreffen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine am 9. September zukommt.
  8. Der Europäische Rat beschließt, einen Sonderbeauftragten der Europäischen Union für die Krise in Georgien zu ernennen, und fordert den Rat auf, die hierfür erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
  9. Die jüngsten Ereignisse haben gezeigt, dass Europa seine Bemühungen im Bereich der Sicherheit der Energieversorgung verstärken muss. Der Europäische Rat ersucht den Rat, in Zusammenarbeit mit der Kommission, die diesbezüglich zu ergreifenden Initiativen, insbesondere im Bereich der Diversifizierung der Energieversorgung und der Lieferwege, zu prüfen.
  10. Durch die Krise in Georgien stehen die Beziehungen der Europäischen Union zu Russland an einem Scheideweg. Angesichts der gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen der Europäischen Union und Russland sowie in Anbetracht der globalen Probleme, mit denen beide Seiten konfrontiert sind, gibt es für den Europäischen Rat keine wünschenswerte Alternative zu starken Beziehungen zwischen beiden Seiten, die auf Zusammenarbeit, Vertrauen und Dialog sowie auf der Achtung des Rechtsstaatsprinzips und der durch die Charta der Vereinten Nationen und die OSZE anerkannten Grundsätze beruhen. Deshalb haben wir im vergangenen Juli Verhandlungen über ein neues Rahmenabkommen zwischen der Union und Russland eingeleitet.
  11. Wir rufen Russland auf, mit uns diese grundsätzliche Entscheidung für unsere gemeinsamen Interessen, für Verständigung und für Zusammenarbeit zu treffen. Wir sind davon überzeugt, dass es in Russlands ureigenstem Interesse liegt, sich nicht von Europa zu isolieren. Die Europäische Union ihrerseits hat ihre Bereitschaft zu Partnerschaft und Zusammenarbeit unter Achtung der ihr zugrunde liegenden Prinzipien und Werte bekundet. Wir erwarten von Russland ein verantwortungsvolles Handeln im Einklang mit all seinen Verpflichtungen. Die Union wird weiterhin wachsam sein; der Europäische Rat beauftragt den Rat, gemeinsam mit der Kommission die Lage sowie die verschiedenen Dimensionen der Beziehungen der EU zu Russland aufmerksam und eingehend zu prüfen; diese Bewertung muss unverzüglich eingeleitet und insbesondere mit Blick auf das für den 14. November 2008 in Nizza geplante nächste Gipfeltreffen durchgeführt werden. Der Europäische Rat erteilt seinem Präsidenten das Mandat, die Gespräche im Hinblick auf die vollständige Umsetzung des Sechs-Punkte- Abkommens fortzusetzen. Hierzu wird sich der Präsident des Europäischen Rates zusammen mit dem Präsidenten der Kommission und dem Generalsekretär/Hohen Vertreter am 8. September nach Moskau begeben. Solange sich die Truppen nicht auf die Positionen zurückgezogen haben, die sie vor dem 7. August innehatten, werden die Treffen zur Aushandlung des Partnerschaftsabkommens verschoben.
Quelle: Website der französischen Ratspräsidentschaft; www.ue2008.fr




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