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Georgien debattiert Austritt aus der GUS

Mehrheit für Opppositionsantrag im Parlament – Regierung hält sich noch zurück

Von Irina Wolkowa, Moskau*

Während die Massen in der georgischen Hauptstadt Tbilissi in der vergangenen Woche den zweiten Jahrestag der »Revolution der Rosen« feierten, beschloss das Parlament mit großer Mehrheit, eine Debatte über die Zweckmäßigkeit des Austritts aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) einzuleiten.

Georgien war der 1991 gegründeten Nachfolgegemeinschaft der UdSSR ohnehin erst drei Jahre später beigetreten und hatte deren Ineffizienz von Anfang an kritisiert. Eine weitere Mitgliedschaft des Landes in der GUS, erklärte David Berdsenischwili, Chef der Demokratischen Front, der den Antrag eingebracht hatte, sei mit Bemühungen zur Aufnahme in NATO und EU nicht vereinbar und laufe daher strategischen nationalen Interessen zuwider.

Zwar gehört die Demokratische Front der Opposition an, doch der Antrag zur Debatte wird auch durch die Nationale Bewegung von Präsident Michail Saakaschwili und die Vereinten Demokraten um Parlamentspräsidentin Nino Burdshanadse unterstützt. Beide Parteien vereinigten sich Anfang 2004 und stellen im georgischen Parlament die mit Abstand stärkste Fraktion. Dennoch will Burdshanadse möglichst alle Fraktionen für einen Beschluss gewinnen. Regierung und Opposition müssten bereit sein, gemeinsam die Verantwortung für die eventuellen Risiken eines Austritts aus der GUS zu übernehmen.

Risiken gibt es in der Tat. Unbestrittene Führungsmacht der GUS ist Russland, wo man den Austritt Georgiens als neuen Affront an die eigene Adresse sieht. Ohnehin ist beider Verhältnis nachhaltig gestört: Moskau gilt in Tbilissi als heimliche Schutzmacht der Separatisten in Südossetien und Abchasien, wo die georgische Zentralregierung seit Anfang der 90er Jahre nichts mehr zu sagen hat. Die von Tbilissi ebenfalls nur bedingt kontrollierte Pankisi-Schlucht dagegen, wo die Kistinen – ethnische Verwandte der Tsche-tschenen – die Bevölkerungsmehrheit stellen, dient tschetschenischen Separatisten seit Jahren als Rückzugsgebiet. Für weiteren Ärger sorgte der außenpolitische Kurswechsel der »Revolutionäre«. Saakaschwili ist ergebenster Diener der USA, die mit Russland um den Einfluss im Kaukasus und in Zentralasien rivalisieren.

Entsprechend ungehalten reagierte Moskau auf die Debatte über einen Austritt Georgiens aus der GUS. So diktierte Gasprom dem georgischen Regierungschef bei Verhandlungen über Energielieferungen für das kommende Jahr am Donnerstag Weltmarktpreise. Tags zuvor hatte die Duma bereits mit einem Wirtschaftsembargo gedroht. Wohl wissend, dass sie damit gute Chancen hat, den ungeliebten Saakaschwili, der in den Augen der georgischen Bevölkerung als Hoffnungsträger ohnehin weitgehend versagt hat, schon mittelfristig scheitern zu lassen.

Dessen rohstoffarme Republik ist nicht nur von russischen Gaslieferungen abhängig, auch an den Kraftwerken hält Russlands Strommonopolist EES (Vereinigte Energiesysteme) die Mehrheit. Dazu kommt, dass bis zu einer hal-ben Million Georgier in Russland als Gastarbeiter ihr Geld verdienen. Zwar führten beide Regierungen auf Drängen Moskaus schon 2003 die Visumspflicht für Bürger des jeweils anderen Staates ein. Doch durch die Einreise über die Nachbarrepublik Aserbaidshan sind die Beschränkungen in der Praxis bisher wirkungslos. Bei Austritt aus der GUS wäre es damit vorbei.

Die Regierung in Tbilissi ist deshalb weitaus zurückhaltender als das Parlament: Ministerpräsident Surab Nogaideli brachte einen möglichen Austritt seines Landes beim Treffen der GUSMinisterpräsidenten am Freitag in Moskau nicht zur Sprache.

* Aus: Neues Deutschland, 28.11.2005


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