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Der Ton wird rauer

Beziehungen zwischen Georgien und Russland auf neuem Tiefpunkt - Streitpunkte: Südossetien und Abchasien

Im Folgenden dokumentieren wir Artikel und Meldungen der Russischen Nachrichtenagentur über die jüngste Verschärfung der russisch-georgischen Beziehungen. Der georgische Präsident brachte den Konflikt in seiner Rede vor der UN-Generalversammlung zur Sprache.



Krieg noch kalt

Georgiens Präsident droht vor der UNO Südossetien und Abchasien. Tbilissi rückt NATO-Beitritt näher

Von Knut Mellenthin *


Georgiens Präsident Michail Saakaschwili hat am vergangenen Freitag (22. September 2006) vor der UNO-Vollversammlung erneut Drohungen gegen die Republiken Südossetien und Abchasien ausgesprochen, die sich Anfang der 90er Jahre von Georgien losgesagt haben. Sollte die internationale Gemeinschaft sich den georgischen Vorstellungen zur Lösung der Streitfragen nicht anschließen, »riskieren wir, daß die Region in Dunkelheit und Konflikten versinkt«, sagte Saakaschwili. [Hier geht es zur Rede des Präsidenten.]

In Anlehnung an den Sprachgebrauch der US-Regierung sprach Saakaschwili von einer »neuen Roadmap«. Ein zentraler Punkt müsse dabei die »Entmilitarisierung« Südossetiens und Abchasiens sein, das heißt praktisch die Entwaffnung der beiden Republiken, die dann georgischen Angriffen wehrlos gegenüberstünden. Der zweite Hauptpunkt der georgischen Forderungen ist die Ersetzung der in beiden Republiken stationierten russischen Friedenstruppen durch »internationale Polizeikräfte«, insbesondere der EU. Die Regierung in Tbilissi erhofft sich dadurch eine günstigeres Klima für eine schrittweise Annektion Südossetiens und Abchasiens.

Erst nach Stationierung einer solchen »neuen Friedenstruppe« könnte Georgien zu einer Gewaltverzichtserklärung bereit sein, sagte Saakaschwili. Derzeit lehnt die georgische Regierung die Forderung Südossetiens und Abchasiens, ein gegenseitiges Nichtangriffsabkommen zu unterzeichnen, kategorisch ab.

In seiner Rede vor der UNO-Vollversammlung warf der georgische Präsident Rußland erneut vor, die beiden Republiken annektieren zu wollen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow sagte anschließend vor der Presse, er sei »schockiert über die riesige Menge entstellter Tatsachen« in Saakaschwilis Ansprache. Die Forderung nach »Entmilitarisierung« Südossetiens und Abchasiens klinge seltsam angesichts der enormen Aufrüstung Georgiens in den letzten Jahren.

Georgien sieht sich zu seinem offensiveren Auftritten offenbar durch Signale der USA und der EU ermutigt. Einen Tag vor Saakaschwilis UNO-Auftritt hatte NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer die Entscheidung des Militärbündnisses bekannt gegeben, mit Georgien einen sogenannten Intensivierten Dialog (Intensified Dialogue) aufzunehmen. Das ist ein weiterer formaler Schritt bei der Heranführung des Landes an die NATO. Nächste Station vor der Aufnahme in das Bündnis wäre ein Membership Action Plan. Scheffer wies in seiner Bekanntgabe der Entscheidung eines vorausgegangenen NATO-Ministertreffens in New York darauf hin, daß Georgien bei der »Reform« seiner Streitkräfte nach NATO-Richtlinien »erhebliche Fortschritte« gemacht habe. Ein förmlicher Beschluß über die Aufnahme des »Intensivierten Dialogs« wird voraussichtlich auf dem nächsten NATO-Gipfel fallen, der im November in Riga (Lettland) stattfinden wird.

Das russische Außenministerium hat in einer am 22. September veröffentlichten Erklärung gewarnt, daß ein NATO-Beitritt Georgiens die Interessen Rußlands beeinträchtigen und »negative Wirkung auf die komplizierte Lage im Kaukasus« haben würde. Schon in der Vergangenheit habe sich gezeigt, daß einige postsowjetische Staaten, die der NATO beigetreten sind, ihre Konflikte mit Rußland im Rahmen des westlichen Militärbündnisses zu lösen versuchen. Im Fall Georgiens sei klar, daß die Regierung in Tbilissi versuchen werde, Abchasien und Südossetien zu NATO-Themen zu machen, warnte das Moskauer Außenministerium.

* Aus: junge Welt, 25. September 2006

"Gudok": Für russisch-georgische Beziehungen schlimmer wäre nur ein Krieg

MOSKAU, 25. September (RIA Novosti). Die russisch-georgischen Beziehungen sind extrem angespannt. Schlimmer geht es nicht, genauer: Schlimmer wäre nur ein Krieg, schreibt Michail Alexandrow, Leiter der Kaukasus-Abteilung des Instituts für GUS-Länder, am Montag in der Zeitung "Gudok".

"Ich bin aber zuversichtlich, dass es dazu nicht kommen wird", fügt er hinzu. "In Tiflis wird es noch Menschen geben, die begreifen, dass ein direkter Militärkonflikt mit Russland nur mit einer Niederlage Georgiens enden kann, der eine Desintegration des Landes folgen würde."

Natürlich werde Russland nach einem Sturz des jetzigen Regimes unter dem georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili nichts unternehmen, um die zentrifugalen Prozesse zu stoppen, die dann auf dem gesamten Territorium Georgiens beginnen würden. "Einmal hatten wir dieses Land bereits gerettet, was wir noch vor der Machtübernahme Saakaschwilis 100 Mal bereut haben", schreibt der Experte.

1994 hatten die bewaffneten Kräfte Abchasiens eine reale Möglichkeit, die georgische Stadt Poti einzunehmen. In diesem Fall wäre Tiflis in eine Wirtschaftsblockade geraten und hätte die Kontrolle über die Regionen verloren. Um das zu verhindern, hat der damalige russische Präsident Boris Jelzin die Anweisung erteilt, Marineinfanteristen der Schwarzmeerflotte nach Poti zu entsenden, womit er faktisch die territoriale Integrität Georgiens rettete. Wäre Georgien damals zerfallen, hätten Abchasien und Südossetien längst eine Anerkennung ihrer Unabhängigkeit erlangt. Der Rest Georgiens wäre dann in eine Reihe von Autonomien zerfallen, so dass Georgien keine Bedrohung mehr für die Sicherheit Russlands dargestellt hätte.

In Russland dominierte über lange Zeit das Konzept, eine Destabilisierung in den an Russland grenzenden Staaten dürfe nicht zugelassen werden. Nun wird aber klar, dass gerade die jetzige Regierung in Georgien, die eine Russland-feindliche Politik betreibt, eine Bedrohung für Russland darstellt. Gerade diese Regierung provoziert Spannungen in Abchasien und Südossetien. Auch ist sie bemüht, das Land unter die Nato-Flagge zu bringen. Somit ist eine starke zentralisierte Macht in Georgien für Russland viel schädlicher als eine Zergliederung dieses Landes in mehrere Mini-Republiken.

Der "Präzedenzfall Kosovo" wäre zweifellos eine Variante für die Lösung der Konflikte um die nicht anerkannten Republiken, meint der Experte. Heute ist der Westen in eine Art Sackgasse geraten. Die einzige Variante einer legitimen Durchsetzung der Unabhängigkeit der Provinz Kosovo wäre ein entsprechender Beschluss des UN-Sicherheitsrats. Dort hat aber Russland das Veto-Recht. Moskau könnte eine Paketlösung vorschlagen: Entweder sollen neben dem Kosovo auch Abchasien, Südossetien und Transnistrien unabhängig werden - oder niemand.

Quelle: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 25. September 2006; http://de.rian.ru

Georgien wirft Russland eine "schleichende Annexion" vor

TIFLIS, 21. September (RIA Novosti). Georgien wirft Russland eine "schleichende Annexion" der abtrünnigen georgischen Gebiete vor.

Am Donnerstag äußerte das Amt des georgischen Staatsministers für Konfliktbeilegung darüber die Besorgnis, dass Moskau "die separatistischen Regimes" in Georgien unterstütze. Das Ministeramt kritisierte scharf das jüngst unterzeichnete Kooperationsabkommen zwischen der Moskauer Stadtverwaltung und der Leitung der südossetischen Hauptstadt Zchinwali. "Ziel dieses Abkommens ist es, Spannungen in der Region zu schüren", hieß es. Das Amt des georgischen Ministers drückte dabei die Hoffnung aus, dass die Weltgemeinschaft "Russlands destruktive Politik" verurteilt.

Im Konflikt zwischen Georgien und seiner abtrünnigen Teilrepublik Südossetien hatte Russland wiederholt seine Vermittlungshilfe angeboten. Wie das russische Außenministerium verkündete, "ist Russland bereit, den beiden Konfliktparteien bei der Suche nach einer Lösung zu helfen, um eine Entspannung herbeizuführen. Moskau rief beide Konfliktparteien zur Zurückhaltung auf, um neue Vorfälle zu vermeiden, welche in einen militärischen Konflikt münden könnten.

Quelle: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 21. September 2006; http://de.rian.ru

Südossetien: Präsident Kokojty kandidiert für eine neue Amtszeit

MOSKAU, 21. September (RIA Novosti). Der Präsident von Südossetien, Eduard Kokojty, kandidiert für eine neue Amtszeit. Am 12. November stehen in dieser nicht anerkannten Republik die Präsidentenwahlen an.

Um sich als Präsidentschaftskandidat registrieren zu lassen, muss Kokojty eintausend Unterschriften zu seiner Unterstützung sammeln, teilte Irina Gaglojewa, Leiterin des Informations- und Pressekomitees Südossetiens, mit. Ihr zufolge leben etwa 70 000 Menschen in der Kaukasus-Republik. An den jüngsten Parlamentswahlen nahmen 35 000 von ihnen teil.

Bei den bevorstehenden Präsidentenwahlen will auch Maja Tschigojewa Zaboschwili antreten, die in Georgiern der oppositionellen Partei der Industriellen vorsteht.

Eduard Kokojty wurde 2001 zum Präsidenten Südossetiens gewählt. In diesem Jahr läuft seine Amtszeit ab.

Gleichzeitig mit der Präsidentenwahl ist in Südossetien auf den 12. November ein Unabhängigkeitsreferendum angesetzt.

Quelle: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 21. September 2006; http://de.rian.ru




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