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Medwedjew: Nicht mit Saakashwili!

Russlands Präsident zum Kaukasuskrieg 2008

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Russland unterstütze Direktverhandlungen Georgiens mit Südossetien und Abchasien und werde solche Gespräche nie behindern, erklärte Präsident Dmitri Medwedjew in einem Interview für ausgewählte russische und georgische Medien. Unmittelbar vor dem dritten Jahrestag des Kaukasuskrieges ging Medwedjew auch auf dessen Vorgeschichte ein.

Medwedjew zufolge hatten er und Georgiens Präsident Michail Saakaschwili im Sommer 2008 die Situation im südlichen Kaukasus gleich zweimal erörtert: bei Saakaschwilis Besuch in St. Petersburg und bei einem Treffen am Rande der Feierlichkeiten zum zehnten Jahrestag der Verlegung von Kasachstans Hauptstadt nach Astana. Er, so Medwedjew, habe seinem Kollegen dabei jede erdenkliche Hilfe Russlands bei der Wiedereingliederung der abtrünnigen Regionen in den georgischen Staatsverband angeboten. Unter der Bedingung, dass dabei eine für alle befriedigende Lösung herauskommt. Saakaschwili habe bei dieser Gelegenheit sogar eine Einladung nach Sotschi angenommen, wo die Konsultationen fortgesetzt werden sollten.

Nach dem Besuch der damaligen US-amerikanischen Außenministerin Condoleezza Rice in Tbilissi habe Saakaschwili jedoch jeden Kontakt mit ihm, Medwedjew, abgebrochen. Die Behauptung, Washington habe Georgien »grünes Licht« für den militärischen Einmarsch in Südossetien gegeben, wollte der russische Präsident nicht bestätigen. Doch habe Saakaschwili seiner Meinung nach aus den Unterredungen mit Rice die Gewissheit mitgenommen, dass die USA ihn im Konfliktfall nicht im Stich lassen würden.

Eben damit erklärte Medwedjew, dass russische Truppen nach Ende der Kampfhandlungen wochenlang in georgischem Kernland standen, obwohl das unter Vermittlung von Frankreichs Präsidenten Nicolas Sarkozy ausgehandelte Waffenstillstandsabkommen den Rückzug russischer und georgischer Einheiten auf die Positionen vor Kriegsbeginn vorsah. Russland, so Medwedjew, sei dazu gezwungen gewesen, um Nachschub an Waffen zu verhindern, mit denen »Saakaschwili die Kriegsmaschinerie erneut angeworfen« hätte. Das Waffenstillstandsabkommen habe Moskau dennoch hundertprozentig erfüllt. Die Präsenz russischer Truppen in Südossetien und Abchasien sei durch Verträge »mit den neuen Subjekten des Völkerrechts« legitimiert.

Russland hatte beide Regionen gleich nach Kriegsende diplomatisch anerkannt. Bisher folgten dem Beispiel nur Venezuela, Nicaragua und das Südsee-Atoll Nauru. Der Westen unterstützt Georgien, das Südossetien und Abchasien nach wie vor als Teil seines Staatsgebietes betrachtet.

Für den Beitritt Südossetiens zur Russischen Föderation, sagte Medwedjew weiter, fehlten derzeit jedoch rechtliche und andere Voraussetzungen. Indirekt setzte er sich damit von Ministerpräsident Wladimir Putin ab, der erst vor ein paar Tagen erklärt hatte, über einen solchen Beitritt könne allein das Volk Südossetiens – knapp 70 000 Seelen, die mehrheitlich im Besitz russischer Pässe sind – entscheiden.

Direktverhandlungen mit Saakaschwili zur Normalisierung des bilateralen Verhältnisses – Tbilissi hatte im August 2008 die diplomatischen Beziehungen abgebrochen – lehnt Medwedjew nach wie vor ab. Reden will er erst mit Saakaschwilis Nachfolger, wen immer das georgische Volk dazu bestimmt. Wünschenswert, erklärte Medwedjew in Anspielung auf die Turbulenzen im Nahen Osten, wäre ein Machtwechsel mit Mitteln, die von der Verfassung gedeckt sind. Obwohl der Trend international derzeit in andere Richtungen gehe.

* Aus: Neues Deutschland, 6. August 2011


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