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Saakaschwili war's

EU-Kommission weist Georgien die Schuld am August-Krieg 2008 zu

Von Knut Mellenthin *

Die Kommission, die im vergangenen Jahr von der Europäischen Union eingesetzt wurde, um die Ursachen des Südossetien-Krieges zu untersuchen, wird voraussichtlich in der nächsten Woche ihren Bericht veröffentlichen. Nach der ursprünglichen Planung hätte die von der Schweizer Diplomatin Heidi Tagliavini geleitete Arbeitsgruppe ihre Schlußfolgerungen schon Ende Juli vorlegen sollen, also noch vor dem ersten Jahrestag des georgischen Überfalls am 7. August 2008. Mit der Begründung, es seien erst kürzlich neue Dokumente aufgetaucht, wurde der Abschlußbericht jedoch um zwei Monate verschoben.

Wie der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe unter Berufung auf Brüsseler EU-Diplomaten berichtet, gibt die Kommission Georgien die Schuld am Kriegsausbruch. Andererseits werde in dem noch unter Verschluß gehaltenen Report geurteilt, daß Rußland durch den massiven Einsatz seiner Truppen Verantwortung für die Eskalation des Krieges trage. Die EU hatte sich damals einseitig mit dem georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili solidarisiert und Moskau als Aggressor verurteilt. Saakaschwili hatte behauptet, er habe mit seinem Angriffsbefehl einem unmittelbar bevorstehenden Einmarsch russischer Panzertruppen zuvorkommen müssen. Der Spiegel hatte schon im Juni mit Bezug auf Insiderquellen berichtet, daß mehrere Kommissionsmitglieder dies für eine unwahre Schutzbehauptung hielten. Dagegen hatte sich Tagliavini verwahrt und betont, daß sie den Abschlußbericht allein verfassen werde.

Als Reaktion auf die Meldung von der bevorstehenden Präsentation des Reports veröffentlichten mehrere europäische Politiker und Autoren am Dienstag einen offenen Brief in der britischen Tageszeitung Guardian. Zu den Unterzeichnern gehören der französische Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit, der frühere tschechische Präsident Vaclav Havel, die französischen Publizisten André Glucksmann und Bernard-Henri Lévy, der ehemalige litauische Präsident Vytautas Landsbergis und der polnische Journalist Adam Michnik. Die meisten von ihnen sind neben ihrer Feindseligkeit gegen Rußland auch durch ihr Eintreten für die Aggressionskriege der NATO und ihre Nähe zu den US-Neokonservativen einschlägig bekannt.

Mit pathetischen, aber unpassenden historischen Analogien (Münchner Abkommen von 1938, deutsch-sowjetischer Nichtangriffspakt 1939) rufen die Unterzeichner zur Unterstützung Georgiens bei der »Rückgewinnung« von Abchasien und Südossetien auf. Mit Blick auf den Bericht der Tagliavini-Kommission schreiben die Verfasser des offenen Briefs, daß es nicht darauf ankomme, welches Land »den ersten Schuß abgegeben« habe. Hitler habe für seinen Überfall auf Polen schließlich auch einen Vorwand erfunden. Dahinter steht offenbar die Absicht, den Inhalt des Reports zugunsten Saakaschwilis zu beeinflussen -- oder anderenfalls eine Kampagne gegen die Kommission einzuleiten.

Unterdessen hat die Europäische Überwachungsmission in Georgien (EUMM) angekündigt, daß sie ab sofort ihre Patrouillen an den Grenzen zu Südossetien und Abchasien verstärken wird. Es handele sich um eine »prophylaktische Maßnahme« im Vorfeld der Veröffentlichung des Untersuchungsberichts, erklärte der deutsche EUMM-Chef Hansjörg Haber. Die EUMM besteht aus 220 unbewaffneten Sicherheitsexperten; sie wurde nach dem Augustkrieg 2008 gebildet.

* Aus: junge Welt, 23. September 2009


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