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Kriegserklärung aus Tbilissi

Georgisches Parlament will Existenz abgespaltener Republiken "beenden". Regierung Abkommen zu Südossetien und Abchasien kündigen

Von Knut Mellenthin*

Das georgische Parlament hat am Dienstag einstimmig eine Resolution verabschiedet, die als Kampfansage nicht nur an die abgespaltenen Republiken Südossetien und Abchasien, sondern auch an Rußland anzusehen ist. Der Inhalt der Resolution war schon in der vergangenen Woche bekanntgeworden, an der Annahme bestand kein Zweifel. Der Text überrascht aber dennoch durch seine aggressive Schärfe, mit der Georgien seinen eigenen politischen Spielraum einengt. Die Regierungen der beiden Republiken werden als »kriminelle, diktatorische Regimes« bezeichnet, deren Existenz beendet werden müsse. Rußland wird vorgeworfen, die Annektion der beiden Republiken voranzutreiben. Gegen die russischen Sicherheitsdienste wird gar die Anklage gerichtet, »terroristische und subversive Gruppen« zu unterstützen.

Kern der Resolution ist die Aushebelung der internationalen Vereinbarungen, die seit den frühen 90er Jahren den Status quo zwischen Georgien und den beiden Republiken garantieren. Vorangegangen waren Bürgerkriege mit Tausenden Toten und Verletzten. Seither sind in Abchasien und Südossetien russische Friedenstruppen stationiert, denen Georgien schon lange Einseitigkeit zugunsten der Separatisten vorwirft.

In der Entschließung werden Rußland Fristen gesetzt, »sein Verhalten zu ändern«. Für Südossetien ist das der 10. Februar nächsten Jahres, für Abchasien der 1. Juli. Das Parlament verpflichtet die Regierung in Tbilissi, unmittelbar nach Verstreichen dieser Fristen den Abzug der russischen Friedenstruppen zu fordern und alle internationalen Abkommen zum Status der beiden Republiken zu kündigen. Im Hintergrund steht die Hoffnung, die USA und die EU zu einer stärkeren Einmischung in den Konflikt drängen zu können.

Das russische Außenministerium hat schon in der vorigen Woche den Resolutionsentwurf als »Provokation« zurückgewiesen. Die Friedenstruppen würden Abchasien und Südossetien nur mit Zustimmung der dortigen Regierungen verlassen. Der abchasische Präsident warnte, daß ein Infragestellen der internationalen Vereinbarungen zu einer Wiederholung des Bürgerkriegs von 1992/93 führen könnte.

Die Resolution wurde mit 143 Stimmen verabschiedet. Getragen wird sie aber nur von der nationalistischen Einheitspartei des Präsidenten Michail Saakaschwili. Die rund 90 Abgeordneten der Opposition – Konservative, Republikaner und Neue Rechte – ermöglichten die einstimmige Annahme der Resolution, indem sie der Abstimmung fernblieben. Konservative und Neue Rechte, letztere eine Unternehmerpartei mit sehr guten Beziehungen zu US-Stellen, hatten sich für eine noch schärfere Entschließung ausgesprochen. Demnach sollte der Abzug der russischen Friedenstruppen spätestens bis Jahresende verlangt werden. Nur der Sprecher der Republikaner warnte, daß die Bezeichnung der Regierungen Südossetiens und Abchasiens als »Kriminelle« weitere Verhandlungen mit ihnen unmöglich mache.

* Aus: junge Welt, 13. Oktober 2005


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