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Militärkooperation NATO–Georgien

Dokumente in Tbilissi unterzeichnet / EU-Beobachter in den Kaukasus

Georgien und die NATO haben gegen den Protest Russlands die Gründung einer Kommission für eine engere militärische Zusammenarbeit beschlossen. NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer und der georgische Regierungschef Lado Gurgenidse unterzeichneten am Montag in Tbilissi entsprechende Dokumente.

»Das ist ein Meilenstein in unseren Beziehungen«, sagte der NATO-Generalsekretär. Die Entscheidung für die Militärkommission war infolge des Kaukasuskrieges nach dem von Tbilissi provozierten Einmarsch Russlands in Georgien getroffen worden. Jaap de Hoop Scheffer kündigte an, dass die Außenminister der NATO-Mitgliedsländer im Dezember über die Aufnahme Georgiens in den »Aktionsplan für die Mitgliedschaft« (MAP) beraten werden. Dazu müsse Georgien aber noch eine Reihe von Reformen umsetzen. »Wir teilen dieselben demokratischen Werte«, versicherte Premier Gurgenidse dem Nordatlantischen Bündnis. Der Regierungschef dankte »für das klare Zeichen der Solidarität und Unterstützung«. Das Militärbündnis hielt in Georgien erstmals einen NATO-Rat ab, der aus den Botschaftern der Mitgliedsländer besteht. Das Treffen in Tbilissi war allerdings bereits vor Ausbruch der Krieges geplant. Georgien dringt mit Unterstützung der USA auf eine rasche Aufnahme in die NATO. Die MAP-Aufnahme führt nach einigen Jahren automatisch zum Beitritt. Russland sieht darin eine massive Bedrohung seiner Sicherheit.

Unterdessen schickt die EU in einer Blitzaktion 200 zivile Beobachter nach Georgien. Deutschland will ein Fünftel des Personals beitragen, also rund 40 Mann. Die unbewaffneten Beobachter sollen in den bisher von russischen Truppen besetzten Pufferzonen des Landes eingesetzt werden und am 1. Oktober einsatzbereit sein. Ein Vorauskommando ist bereits in dem Kaukasusland. Die Außenminister der 27 EU-Staaten ernannten am Montag (15. Sept.) in Brüssel den französischen Berufsdiplomaten Pierre Morel zum Sonderbeauftragten für die Georgien-Krise.

»Das ist ein Tempo, was ich bisher nicht kenne«, sagte die österreichische Außenministerin Ursula Plassnik. Sie hob das Krisenmanagement der EU in der Georgien-Krise hervor. Die Entsendung der EU-Beobachter war vor einer Woche bei einem Spitzentreffen des amtierenden EU-Ratspräsidenten Nicolas Sarkozy und dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedjew vereinbart worden. Russland hatte seinerseits einen Truppenrückzug zugesagt.

Die EU will Georgien zudem mit einer halben Milliarde Euro unterstützen. Das kündigte die EU-Kommission am Montag in Brüssel an. Die Gelder sind für den Zeitraum 2008 bis 2010 vorgesehen. In der Parlamentarischen Versammlung des Europarats haben Abgeordnete aus mehreren Ländern Sanktionen gegen Russland gefordert. Wie die Pressestelle des Rats am Montag mitteilte, will die Gruppe erreichen, dass der russischen Delegation das Stimmrecht entzogen wird. Dazu soll zum Auftakt der Herbstsitzung am 29. September ein Antrag eingereicht werden. Hinter den Sanktionsforderungen stehen bisher 24 Abgeordnete, von denen 15 aus Mittel- und Osteuropa stammen.

* Aus: Neues Deutschland, 16. September 2008

NATO-Preisfragen

Von Olaf Standke **

Georgien wird in unserer Allianz sein.« Diesen Satz von US-Vizepräsident Cheney beim kürzlichen Tbilissi-Besuch muss Präsident Saakaschwili im Ohr gehabt haben, als er gestern die Tonlage für die Gespräche mit dem NATO-Rat vorgab. Georgiens Staatschef tut so, als wäre die Aufnahme längst gegessen. Und das bereitet einigen Paktmitgliedern weiter Bauchschmerzen. Beim NATO-Gipfel im April hatte man sich in eine Kompromissformel gerettet: keine umgehende Aufnahme in den »Aktionsplan für die Mitgliedschaft«, doch werde man später über den Zeitpunkt eines NATO-Beitritts entscheiden. Was nach sibyllinischer Lösung klang, hat zur Konflikteskalation im Kaukasus beigetragen. Russland sah seine strategischen Interessen missachtet, Georgiens Präsident glaubte einen Freifahrtschein zur Rückeroberung abtrünniger Provinzen erhalten zu haben. Für die NATO geht es jetzt nicht nur um Georgien. Sie selbst ist zerstritten. Trotzdem profiliert sich ihr Generalsekretär als Scharfmacher, auch gegenüber der EU und ihren »Moskau-freundlichen« Friedensplänen. Obwohl die Beziehungen zum einstigen Erzfeind so frostig sind wie seit Ende des Kalten Krieges nicht mehr, schickt man Geld, Berater, Militärgerät und Waffen in den Kaukasus. Wie warnte doch gestern Moskaus NATO-Botschafter: Die Allianz riskiere, »in einen fremden Krieg hineingezogen zu werden«, mit Russland als Gegner. Das wäre ein überaus hoher Preis für ihre weitere Ostausdehnung.

** Aus: Neues Deutschland, 16. September 2008 (Kommentar)



NATO-Rat tagt in Georgien

Tbilissi erhält von EU »Soforthilfe« in Höhe von 500 Millionen Euro

Von Knut Mellenthin ***


In der georgischen Hauptstadt Tbilissi setzen am heutigen Dienstag (16. Sept.) die Vertreter des NATO-Rats ihren am Vortag begonnenen zweitägigen Besuch fort. Die Delegation von 26 Botschaftern aller Mitgliedsstaaten des Militärbündnisses steht unter Leitung von dessen Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer. Während des Treffens soll offiziell die NATO-Georgien-Kommission gegründet werden. Ihre Einrichtung wurde nach dem georgischen Überfall auf Südossetien beschlossen, um die Integration der Kaukasusrepublik in das westliche Bündnis voranzutreiben und die Unumkehrbarkeit dieses Prozesses zu bekunden. Am Rande der Begegnung wurde bekanntgegeben, daß Georgien von der EU bis 2010 als »Soforthilfe« 500 Millionen Euro erhalten soll. Die US-Regierung hatte zuvor schon eine Milliarde Dollar zugesagt. Die versprochenen Finanzmittel der NATO-Staaten für die Wiederaufrüstung und Modernisierung der georgischen Streitkräfte sind in diesen Summen noch nicht enthalten.

Im Vorfeld des Besuchs hatte der NATO-Generalsekretär in einem Interview mit der Financial Times die Ankündigung von Rußlands Präsident Dmitri Medwedew kritisiert, daß künftig in Südossetien und Abchasien jeweils rund 3800 russische Soldaten stationiert werden, um die von Moskau anerkannten Republiken vor neuen georgischen Angriffen zu schützen. Das entspreche nicht dem von Frankreich vermittelten Waffenstillstandsabkommen, behauptete De Hoop Scheffer. Auch die österreichische Außenministerin Ursula Plassnik sieht darin einen »Anlaß zur Besorgnis«.

Zugleich zeichnet sich ab, daß es um die vereinbarte Entsendung von 200 EU-Beobachtern - unter denen voraussichtlich 40 Deutsche sein werden - noch Streit geben wird. Obwohl sie laut Abkommen außerhalb von Südossetien und Abchasien auf georgischem Gebiet stationiert werden sollen, mehren sich die Stimmen von EU-Politikern, die darin nur einen »ersten Schritt« sehen wollen und von einer »zweiten Phase« sprechen, in der auch die beiden unabhängigen Republiken in das Mandat der Beobachter einbezogen werden müßten. Das vor einer Woche geschlossene Abkommen zwischen EU und Rußland sieht aber nur die Fortsetzung der in den frühen 1990er Jahren beschlossenen Beobachtermissionen von UNO und OSZE in Abchasien und Südossetien vor.

*** Aus: junge Welt, 16. September 2008


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