Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

In Georgien beginnt die NATO mit dem Manöver "Cooperative Longbow/Lancer" - Russland befürchtet neuen "Kalten Krieg"

Gerüchte um möglicherweise fingierte Meuterei - Berichte und Kommentare

Am 6. Mai 2009 begann in Georgien die Nato-Übung Cooperative Longbow/Lancer, ein Manöver, das im Rahmen der sogenannten NATO-"Partnerschaft für den Frieden" stattfindet. Wie umstritten das Manöver in Georgien ist, zeigt die Meuterei einer Einheit in Ortschali - die sich indessen nur zur Hälfte als Meuterei, zur anderen Hälfte doch wohl eher als Propagandacoup des in die Enge getriebenen Staatschefs Michail Saakaschwili erwiesen hat.
Wir dokumentieren hierzu im Folgenden ein paar Artikel und Kommentare, die sich kritisch mit der Westbindung Georgiens und mit der NATO-Ostausdehnung befassen und dabei insbesondere auch den russischen Standpunkt beachten.



Manöver der NATO begann in Georgien

Russland nennt die Übungen Provokation *

Moskau/Tbilissi (dpa/AFP/ND). Die NATO hat neun Monate nach dem Südkaukasus-Krieg ungeachtet scharfer Proteste aus Russland mit einem Militärmanöver in Georgien begonnen. Die ersten rund 200 Teilnehmer hätten am Morgen (6. Mai) auf dem Militärstützpunkt Wasiani bei Tbilissi Posten bezogen, teilte das georgische Verteidigungsministerium am Mittwoch mit. Russland kritisiert die Übung in dem Konfliktgebiet als Provokation.

Insgesamt werden Soldaten aus 13 Staaten in Georgien erwartet. NATO-Sprecher James Appathurai verteidigte das bereits vor dem August-Krieg geplante Manöver in einem Interview mit dem Radiosender Echo Moskwy. »Das sind absolut transparente Übungen, alles ist völlig offen«, betonte er am Mittwoch (6. Mai). Der offizielle Beginn der Übung, die Teil der sogenannten NATO-Partnerschaft für den Frieden ist, sei für den 11. Mai geplant. Nach Abschluss des ersten Manövers am 19. Mai sei noch eine Feldübung vom 21. Mai bis Anfang Juni geplant.

Rund eine Woche nach der Ausweisung von zwei russischen Diplomaten durch die NATO in Brüssel hat Moskau am Mittwoch zwei kanadische NATO-Diplomaten ausgewiesen. Dem kanadischen Botschafter wurde nach Angaben des Außenministeriums in Moskau mitgeteilt, dass der Chef und der Stellvertreter der NATO-Repräsentanz in der russischen Hauptstadt das Land zu verlassen hätten. Die Maßnahme sei eine »Antwort auf einen unfreundlichen Akt gegen russische NATO-Gesandte «. Ein Sprecher der kanadischen Botschaft bedauerte die Entscheidung des Kremls. Diese sei »kontraproduktiv« zu den Bemühungen der NATO und Kanadas um den weiteren Dialog mit Russland.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Mai 2009

Letzte Meldung

Duma-Chef fürchtet neuen Kalten Krieg wegen Nato-Übung in Georgien

MOSKAU, 07. Mai (RIA Novosti). Die in Georgien trotz aller russischen Einwände gestartete Nato-Übung kann auf einen neuen Kalten Krieg hinauslaufen, befürchtet Boris Gryslow, Chef der russischen Staatsduma (Parlamentsunterhaus).

„Die Truppenkonzentration an Südossetiens und Abchasiens Grenze beunruhigt uns. Die Schritte der Nato gehen über den vernünftigen Rahmen hinaus, praktisch handelt es sich um Versuche, den Kalten Krieg wieder aufzunehmen“, so Gryslow am Donnerstag vor Journalisten.

Die Nato-Übung Cooperative Longbow/Lancer hatte am Mittwoch trotz der scharfen Kritik aus dem Kreml begonnen. Das georgische Verteidigungsministerium betonte, auch die jüngste Meuterei eines Panzerbataillons nahe Tiflis beeinflusse den Verlauf der Übung keineswegs.



"Wirre Fieberphantasien" in Tbilissi

Angeblich von Russland inszenierter Putsch bringt Präsident Saakaschwili in Erklärungsnot

Von Irina Wolkowa, Moskau **


Sogar kritische Medien hier in Moskau diagnostizierten den Drei-Stunden-Putsch in Georgien am Dienstag (5. Mai) mehr als eindeutig: Diktatur im letzten Stadium, letaler Ausgang unvermeidlich. Hart schlug auch das russische Außenamt zu: Behauptungen von Staatschef Michail Saakaschwili, der die Drahtzieher der angeblichen Revolte hochrangiger georgischer Offiziere in Moskau ortete, seien »wirre Fieberphantasien«, mit denen die Führung in Tbilissi versuche, Russland die Verantwortung für innenpolitische Schwierigkeiten zuzuschieben.

Gemeint war das Dauermeeting der Opposition. Bis zu 150 000 Menschen hatten am 9. April den sofortigen Rücktritt von Saakaschwili verlangt und anschließend mehrere Tage den Verkehr im Zentrum Tbilissis lahmgelegt. Neue Massenproteste waren für Dienstag dieser Woche geplant. Per Ultimatum sollte Saakaschwili zum Rücktritt innerhalb von 72 Stunden gezwungen werden. Nicht Russland, so der ehemalige Staatsminister Georgi Chaindrawa, habe den Putsch angezettelt. Der Präsident selbst habe ihn inszeniert, um sich einen plausiblen Vorwand für Ausnahmeregelungen zu verschaffen, mit denen Versammlungsfreiheit und andere Grundrechte außer Kraft gesetzt werden können.

Andere Oppositionsführer, die meisten davon sind ebenfalls ehemalige Weggefährten Saakaschwilis, treiben ähnliche Befürchtungen um. Zu Recht: Die zeitlichen Abläufe und andere Details des angeblichen Putsches bringen Saakaschwili in erhebliche Erklärungsnot.

So stellen sich ehemalige Generale, die sich vom georgischen Staatsfernsehen dabei mit versteckter Kamera filmen ließen, bei potenziellen, aber ihnen persönlich bis dato unbekannten Sympathisanten namentlich vor, bitten um Unterstützung, die pro Nase mit 50 000 Dollar honoriert werden soll, und geben Details des Planes für den Umsturz preis, noch bevor dieser begonnen hat. Demzufolge sollte ein Panzerbataillon in Tbilissi einrücken und mit Unterstützung der Opposition Regierungsgebäude besetzen. Dabei sollten sie von russischen Truppen aus Südossetien verstärkt werden. Saakaschwili sollte angeblich physisch liquidiert werden, Georgien auf einen NATO-Beitritt verzichten, in die UdSSR-Nachfolgegemeinschaft GUS zurückkehren und dem von Russland und Belarus geplanten Unionsstaat beitreten. Misstrauisch macht jedoch nicht nur, dass sogar Moskau und Minsk das Vorhaben inoffiziell längst beerdigt haben.

Nach Darstellung des georgischen Staatsfernsehens putschte als erste eine Einheit in Ortschali. Deren Kommandeur aber konnte sich, als Truppen des Innenministeriums die Kaserne bereits umzingelt hatten, zu dem Panzerbataillon absetzen, das Tbilissi nehmen sollte. In Begleitung des Kamerateams! So jedenfalls erzählte es der Publizist Juri Watschnadse dem Korrespondenten des US-Auslandssenders Radio Liberty. Wieso im Fernsehen die Panzer bereits gen Tbilissi rollten, obwohl sie noch im Kasernenhof standen, als Saakaschwili drei Stunden nach Beginn der »Meuterei« höchstselbst vorfuhr, um mit den Putschisten über deren bedingungslose Kapitulation zu verhandeln, können sich die Georgier ebenfalls nicht zusammenreimen.

Es kommt noch besser. Einer der Putschisten, so der frühere Verteidigungsminister Gia Karkaraschwili gegenüber einem oppositionellen Fernsehkanal, habe ihn in der Tat vor drei Wochen kontaktiert und in das Komplott eingeweiht. Er habe die Unterredung jedoch mitgeschnitten und sofort eine Kopie an Sicherheitsminister Gia Torgomadse geschickt. Auf dessen Antwort warte er bis heute.

Bewusst, so Erossi Kizmarischwili - Botschafter in Russland, bis Tbilissi im September die diplomatischen Beziehungen abbrach -, habe Saakaschwili den angeblichen Putsch auf den Tag vor dem Beginn von NATO-Manövern in Georgien datiert. Damit habe der Präsident der NATO wieder einmal die angeblich akute Bedrohung seines Landes vor Augen führen, dessen Beitritt zur Allianz erzwingen und dadurch auch seine eigene politische Zukunft retten wollen. Die hält der ehemalige Diplomat allerdings in spätestens drei Wochen für beendet.

** Aus: Neues Deutschland, 7. Mai 2009


"Militärverschwörung" in Georgien

Präsident Saakaschwili will mit unglaubwürdigen Behauptungen von innenpolitischen Problemen ablenken

Von Knut Mellenthin ***


Zehn Militärs und 13 Zivilisten befinden sich laut Angaben des georgischen Innenministeriums in Haft, nachdem die Regierung am Dienstag (5. Mai) die Zerschlagung einer angeblichen Verschwörung zum Staatsstreich bekanntgegeben hatte. Drei hochrangige Offiziere oder Exoffiziere werden noch mit Haftbefehl gesucht. In ersten Berichten war von »Dutzenden« oder mindestens 50 verhafteten Militärs die Rede gewesen.

Unter den Gesuchten sind zwei Führungsoffiziere eines Panzerbataillons, das am Dienstag der Meuterei bezichtigt worden war. Die rund 500 Soldaten der Einheit ließen sich am Abend widerstandslos entwaffnen, nachdem ihr Stützpunkt in Mukhrowani, nahe der Hauptstadt Tbilissi, von Dutzenden Panzern und Panzerfahrzeugen abgeriegelt worden war. Alle Soldaten wurden in der Kaserne einer anderen Einheit unter Arrest gestellt und verhört. Da das Bataillon den Stützpunkt zu keinem Zeitpunkt verlassen hatte, handelte es sich offenbar nicht um einen Putsch. Den Angehörigen der Einheit wird lediglich Befehlsverweigerung vorgeworfen. Bisher ist nicht bekannt, um was für Befehle es sich dabei gehandelt hat. In Oppositionskreisen wird spekuliert, daß das Bataillon sich möglicherweise geweigert hat, an geplanten Polizei- und Militäraktionen gegen die seit einem Monat laufende Protestbewegung zum Sturz von Präsident Michail Saakaschwili teilzunehmen.

Die georgische Regierung stellt die Auflehnung des Panzerbataillons als Teil einer großen Verschwörung dar, die von Rußland finanziert und gelenkt worden sei. Namhafte Militärs, hauptsächlich Ruheständler, sollen daran beteiligt gewesen sein. Offiziell genannt werden insbesondere Gia Gwaladse (Kommandeur einer Spezialeinheit des Verteidigungsministeriums in den 1990er Jahren), David Tewsadse (Verteidigungsminister 1998-2004), Jemal Gakhokidse (ehemaliger Sicherheitsminister), Koba Kobaladse (ehemaliger Kommandeur der Nationalgarde) und Gia Karkaraschwili (ehemaliger Verteidigungsminister und Armeekommandeur im Krieg gegen Abchasien 1992). Karkaraschwili gehört jetzt zum Kreis um den Oppositionsführer Irakli Alasania, den ehemaligen Botschafter Georgiens bei der UNO. Koba Kobaladse ist Vorsitzender des Klubs der Generäle, dem ebenfalls Verbindungen zur Opposition nachgesagt werden.

Zentrales »Beweismittel« der Regierung für die Existenz einer Verschwörung ist ein angeblich mit versteckter Kamera gefilmtes Video. Zu sehen ist Gwaladse, der sich über die angeblichen Putschvorbereitungen ausläßt und die Namen seiner »Mitverschworenen« aufzählt. Unter anderem ist der Redner auch zu hören mit ganz erstaunlichen Sätzen wie: »Die Russen werden uns zur Hilfe kommen, mit insgesamt 5000 Mann, die solche Führer wie Innenminister Wano Merabischwili liquidieren werden« und »Wenn der Putsch erfolgreich verläuft, wird Georgien mit Rußland wiedervereinigt.«

Tina Khidascheli, eine führende Politikerin der oppositionellen Republikanischen Partei, kommentierte: »Es gibt viele Versionen, was wirklich passiert ist, aber die von der Regierung angebotene ist die am wenigsten glaubwürdige.«

*** Aus: junge Welt, 7. Mai 2009

Nicht nur Theaterdonner

Von Olaf Standke ****

Die NATO und Russland werfen sich in diesen Tagen gegenseitig Spionagevorwürfe an den Kopf und Diplomaten der jeweils anderen Seite aus dem Land, als hätte uns die Zeitmaschine in den Kalten Krieg zurückgebeamt. Aber nicht nur deshalb hat Moskau die Mitte Mai geplante Sitzung des NATO-Russland-Rates abgesagt. Es wäre die erste gewesen, nachdem die Allianz die Zusammenarbeit wegen des Kaukasus-Konflikts im Vorjahr auf Eis gelegt hatte. Tbilissi spielt auch bei den aktuellen Verstimmungen wieder eine wichtige Rolle. Das Manöver, das gestern in Georgien begann, ist Teil der NATO-Partnerschaft für den Frieden. Doch es stiftet Unfrieden. Russland reagiert mit scharfer Kritik auf die Militärübung der mehr als 1110 Soldaten aus 13 Staaten vor seiner Haustür. Während NATO-Sprecher Appathurai von »absolut transparenten« Aktivitäten spricht, verurteilt Moskau das Manöver als »offene Provokation«. Und als wollte der im eigenen Land überaus umstrittene Präsident Saakaschwili dessen Notwendigkeit und vor allem auch die eines schnellen NATO-Beitritts Georgiens inszenieren, ließ er am Vorabend einen angeblich von Moskau gelenkten »Soldatenaufstand« niederschlagen. Von diesem Theaterdonner abgesehen, ist das Manöver allerdings schon ein eindeutiges Signal Richtung Moskau: Der Nordatlantik-Pakt demonstriert hier militärisch das große geopolitische Interesse der wichtigsten westlichen Industriestaaten an der rohstoffreichen Region.

**** Aus: Neues Deutschland, 7. Mai 2009 (Kommentar)




Zurück zur Georgien-Seite

Zur NATO-Seite

Zur Russland-Seite

Zurück zur Homepage