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Moskau begann Georgien-Rückzug

Streit mit Tbilissi um Positionen der russischen Truppen / Zahl der Flüchtlinge steigt

Der am Montag (18. August) begonnene russische Truppenabzug beschränkt sich nach Angaben aus Moskau zunächst auf den Rückzug aus dem georgischen Kerngebiet nach Südossetien.

»Russische Truppen sind auf dem Weg zurück nach Südossetien«, teilte der stellvertretende Generalstabschef Anatoli Nogowizyn am Montag in Moskau auf einer Pressekonferenz mit. Die Kriegsmarine bleibe wegen der »instabilen Lage« vor der georgischen Schwarzmeerküste. Über die Zahl der derzeit im Konfliktgebiet im Südkaukasus stationierten russischen Soldaten machte der General keine Angaben.

Der von den Konfliktparteien unterzeichnete Sechs-Punkte-Plan schreibt vor, dass die russischen Streitkräfte sich auf die Linien vor Beginn der Feindseligkeiten zurückziehen. Das wäre für die absolute Mehrheit der auf 10 000 Soldaten im Konfliktgebiet geschätzten russischen Armee ein Rückzug hinter die eigene Staatsgrenze und nicht nur nach Südossetien.

Punkt fünf des mit Hilfe Frankreichs ausgearbeiteten Friedensplans gesteht Russland aber zu, »in Erwartung eines internationalen Mechanismus« mit seinen Friedenstruppen vorläufig »zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen« zu ergreifen. Russland hat bereits angekündigt, sein Kontingent an Friedenstruppen in Südossetien von zuletzt etwa 600 Mann verstärken zu wollen. Die Friedenstruppen stehen seit dem Waffenstillstandsabkommen von 1994 mit einem Mandat der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) an der innergeorgischen Grenzlinie zum abtrünnigen Südossetien.

Die staatliche russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti meldete am Montag (18. August), ein erster Militärkonvoi sei von der südossetischen Hauptstadt Zchinwali in Richtung der russischen Teilrepublik Nordossetien aufgebrochen. Der Chef des georgischen Sicherheitsrates, Alexander Lomaja, warf Russland hingegen vor, entgegen den Ankündigungen aus Moskau zögen sich die russischen Truppen nicht aus Georgien zurück.

Georgiens Präsident Michail Saakaschwili, dessen Einmarsch in Südossetien Auslöser der aktuellen Krise war, rief zu Verhandlungen mit Moskau über einen Ausweg aus dem Konflikt auf. »Lasst uns die Probleme mit zivilisierten Methoden lösen«, sagte er in einer Fernsehansprache. Es müsse darüber nachgedacht werden, wie eine »definitive Entfremdung« beider Länder verhindert werden könne. Als Vorbedingung für Gespräche müssten sich die russischen Truppen allerdings unverzüglich zurückziehen, sagte er.

Russlands Präsident Dmitri Medwedjew erklärte in Moskau mit Blick auf den Kaukasus-Konflikt: »Wir wollen nicht, dass sich die internationale Lage verschlechtert, aber wir fordern, dass unser Staat, unsere Nation und unsere Werte respektiert werden.«

Nach Angaben der internationalen Hilfsorganisation CARE gibt es in Georgien immer mehr Flüchtlinge. Viele Menschen seien erst zu Verwandten geflohen, kämen jetzt aber wegen knapper Lebensmittel verstärkt in die notdürftig eingerichteten Sammelunterkünfte. Bereits rund 73 000 Vertriebene, überwiegend aus der Stadt Gori, seien in mehr als 600 solcher Camps untergekommen.

Der bewaffnete Konflikt in Georgien hat die Ölexporte aus Aserbaidshan über das Kaukasus-Land nach Westeuropa inzwischen gekappt. Nachdem bereits zwei Pipelines über Georgien außer Betrieb genommen worden waren, kann nun aufgrund einer zerstörten Eisenbahnbrücke auch kein Öl mehr per Bahn durch das Land transportiert werden. Auf der betroffenen Bahnstrecke laufe keinerlei Verkehr mehr, hieß es.

* Aus: Neues Deutschland, 19. August 2008

Weitere Meldungen

Truppenabzug laut Medwedew am 22. August beendet

Der Rückzug der russischen Truppen aus Georgien soll bis zum 22. August beendet werden. Ausgenommen seien nur 500 Mann, die mit den vereinbarten zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen für die Bevölkerung betraut seien, teilten Russlands Präsident Dmitri Medwedew und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy in einer gemeinsamen Erklärung mit. Beide Staatschefs stimmten darin überein, dass das Sechs-Punkte-Abkommen dringend umgesetzt werden müsse. bekräftigte seine Zustimmung zur Entsendung von OSZE-Beobachtern.
dpa, 19. August 2008

NATO verschärft Haltung gegenüber Moskau

Im Georgien-Konflikt hat die NATO ihre Haltung gegenüber Russland verschärft: Die Außenminister der Militärallianz einigten bei einem Sondertreffen in Brüssel darauf, die Treffen im Nato-Russland-Rat vorerst auszusetzen. Moskau reagierte unterdessen gereizt auf die Entscheidung der NATO. Das Militärbündnis habe bei seinem Sondertreffen in Brüssel "nicht objektiv" geurteilt, sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow in Moskau. Über den Rückzug der russischen Truppen aus Georgien gab es weiter widersprüchliche Angaben.
NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer sagte, die Beratungen im NATO-Russland-Rat fänden nicht statt, "egal auf welcher Ebene", solange Russland weiter Teile Georgiens besetzt halte. Die NATO wolle das Gremium jedoch nicht verlassen, betonte er.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte, die Allianz wolle in ihrem Verhältnis mit Russland nicht einfach "zur Tagesordnung übergehen". Allerdings verlange kein NATO-Staat einen Abbruch der Gesprächskanäle nach Moskau.
Die NATO habe den georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili "in Schutz genommen" und versuche, dessen "kriminelles Regime" zu retten, sagte Lawrow weiter . Dies sei jedoch längst "bankrott". Für seine künftige Beziehung zur NATO werde Russland nun "die Schlüsse ziehen, die sich aufdrängen". Es werde Konsequenzen geben, sagte Lawrow.
Zugleich warf der russische Außenminister der NATO vor, auf eine "Wiederbewaffnung" Georgiens ausgerichtet zu sein. Der Rückzug der russischen Truppen aus dem südlichen Nachbarland hänge von der Rückkehr der georgischen Truppen in ihre Stützpunkte ab, sagte Lawrow. Er ging dabei von einem Zeitrahmen von bis zu vier Tagen aus. Lawrow unterstrich erneut die ablehnende Haltung Russlands gegenüber einem NATO-Beitritt Georgiens. Die Entscheidung des Bündnisses, die Bemühungen in Tiflis zu fördern, sei "anti-russischer" Natur, sagte der Außenminister.
In den vergangenen Tagen hatten die NATO-Staaten heftig um den künftigen Umgang mit Moskau gerungen, das seine neue Stärke im Konflikt um Südossetien demonstriert. Großbritannien, die USA und mehrere ehemalige Ostblock-Länder hatten eine härtere Linie gegenüber Russland gefordert; Deutschland und Frankreich waren um eine versöhnlichere Position bemüht.
AFP, 19. August 2008

Moskau wirft Nato Wiederaufrüstung Georgiens vor

Das russische Außenministerium hat dem Nordatlantischen Bündnis vorgeworfen, das „aggressive Regime“ in Tiflis in Schutz zu nehmen, und versprochen, Konsequenzen aus den jüngsten Nato-Entscheidungen zu ziehen.
„Das nordatlantische Bündnis hat Herrn Saakaschwili faktisch in Schutz genommen“, sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow am Dienstag mit Blick auf die jüngste Erklärung der Außenminister der Nato-Länder.
„Kein Wort ist darüber gefallen, wie alles begann, wer Georgien ausgerüstet hat“, so Lawrow. „Die Nato nimmt Kurs auf die Wiederaufrüstung der georgischen Staatsführung. Es ist klar, dass Georgiens Führung Waffen nicht für die Verteidigung kauft: Sie will weiter versuchen, das Problem der territorialen Integrität mit Gewalt zu lösen“, hieß es.
„Wir planen keineswegs, fremde Territorien zu annektieren. Unsere Friedenskräfte erfüllen ihre Funktionen gemäß den Vereinbarungen, die von allen Konfliktparteien einschließlich Georgiens unterzeichnet wurden“, betonte der russische Außenminister. Russland halte am jüngst vereinbarten Sechs-Punkte-Plan zur Kaukasus-Regelung fest: „Das setzt vor allem voraus, dass sich die georgischen Truppen in die Kasernen zurückziehen“.
„Der Rückzug der russischen Truppen wird sich danach richten, wie effektiv Georgien seinen Verpflichtungen nachgeht und wie schnell Standorte der Friedenstruppe in der Sicherheitszone eingerichtet werden. Ich glaube, das nimmt drei bis vier Tage in Anspruch“, hieß es weiter. Lawrow kritisierte auch die in Brüssel getroffene Entscheidung, auf weitere Sitzungen des Nato-Russland-Rates zu verzichten, solange Moskau den Sechs-Punkte-Plan nicht komplett erfüllt. „Ich glaube, wir ziehen entsprechende Konsequenzen“, sagte der russische Minister. „Die Absicht, Georgien in die Nato hineinzuziehen, hängt mit dem antirussischen Kurs auf den Schutz des aggressiven georgischen Regimes zusammen“, betonte Lawrow.
RIA Novosti, 19. August 2008




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