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Sowjetmacht hinter den sieben Bergen

In Südossetien (Georgien) finden am Sonntag (12. November 2006) Unabhängigkeitsreferendum und Präsidentenwahlen statt

Von Werner Pirker *

Südlich des Kaukasus-Hauptkammes liegt Südossetien, auf der anderen Seite des Gebirges Nordossetien. Nordossetien gehört zur Russischen Föderation. Südossetien möchte sich ihr anschließen. Davor will das von Georgien beanspruchte Gebiet – nicht zum ersten Mal – seine Unabhängigkeit erklären. Dieser Wille soll in einem Referendum, das am Sonntag abgehalten wird, Bekräftigung finden. Georgien wird den Austritt Südossetiens aus seinem Staatsgebiet nicht akzeptieren. Rußland wird die südossetische Sezession wohlwollend zur Kenntnis nehmen und die Krisenregion als Druckmittel gegen Georgien zu nutzen wissen.

Die Teilung Ossetiens erfolgte im 19. Jahrhundert unter der Ägide des russischen Zarenreiches, wobei Georgien und die südossetischen Gebiete unter die einheitliche Verwaltung Transkaukasiens gerieten, während Nordossetien dem Nordkaukasischen Militärbezirk unterstellt wurde. Diese territoriale Gliederung wurde in der Sowjetunion beibehalten. Nordossetien bildete eine autonome Republik innerhalb der Russischen SFSR, Südossetien erhielt einen Autonomiestatus im Verband der Georgischen SSR. Das war eine für die Osseten durchaus akzeptable Lösung, zumal die beiden Landesteile durch das Kaukasusgebirge als natürliche Grenze getrennt sind. Mit den verstärkten Bestrebungen nach staatlicher Unabhängigkeit Georgiens 1989 und dem faktischen Austritt aus der Sowjetunion veränderte sich die Situation grundlegend.

Im September 1990 verabschiedeten die Volksdeputierten des autonomen südossetischen Gebiets eine Deklaration über die Gründung der »Unabhängigen Republik Südossetien«. Die Regierung in Tbilissi reagierte auf die aus ihrer Wahrnehmung illegale Lostrennung mit einer massiven Militärintervention. Nach einem zweijährigen Krieg wurde im Juni 1992 ein Waffenstillstand vereinbart. Zur Friedenssicherung rückten russisch-georgisch-ossetische Truppen in der Region ein. Georgien, Südossetien, Rußland und Nordossetien bildeten eine gemischte Kontrollkommission.

Mit dem Regierungsantritt des gegenwärtigen georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili 2004 allerdings spitzte sich die Situation erneut zu. Insbesondere Georgiens Streben nach einer Mitgliedschaft in der NATO, das seiner Außenpolitik zwangsläufig eine antirussische Stoßrichtung verleiht, bewirkt ein Auftauen der »eingefrorenen« Konflikte in Abchasien und Südossetien. Die abtrünnigen Gebiete, die von Tbilissi als »russischer Pfahl im Fleische Georgiens« empfunden werden, sollen auf dem Weg in die NATO noch schnell einkassiert werden. Saakaschwili fordert den Abzug der russischen Truppen aus den Krisenregionen und ihre Ersetzung durch eine »internationale Friedenstruppe« – am besten unter NATO-Kommando.

Moskau argumentiert, daß auch Abchasen und Osseten ein Recht auf staatliche Unabhängigkeit hätten, sollte den Kosovo-Albanern ein solches gewährt werden. Doch läßt sich die Situation der Abchasen und Osseten in Georgien weniger mit der der Albaner im Kosovo vergleichen als mit der der Serben in Kroatien und Bosnien-Herzegowina, die nach der Auflösung des gesamtjugoslawischen Zusammenhangs ihr Selbstbestimmungsrecht außerhalb der gegen ihren Willen gegründeten unabhängigen Republiken realisieren wollten. Zudem ist der Anspruch Serbiens auf das Kosovo historisch begründet, der Georgiens auf Abchasien und Südossetien nicht. Die Osseten, die eine iranische Sprache sprechen, unterscheiden sich ethnisch deutlich von den Georgiern.

Es ist nicht das erste Unabhängigkeitsreferendum, das in Südossetien stattfindet. Bereits 1992 votierte die Mehrheit der Bevölkerung in einer Volksabstimmung für die Selbständigkeit. Gleichzeitig mit dem Referendum stellt sich Südossetiens Präsident Eduard Kokojty zur Wiederwahl. Er bezeichnet das Gebiet als Teil Rußlands. Doch die das Land bewegende Idee ist nicht die russisch-imperiale, sondern die sowjetische. Die politische Führungsrolle wird von der Kommunistischen Partei ausgeübt. Die südossetische Nationalidee definiert sich über die Nichtanerkennung der Auflösung der Sowjetunion und der Aufhebung des Sozialismus. Es ist, als wäre tief im Kaukasus ein Stück Sowjetmacht erhalten geblieben.

Die Organisation »Ossetia Solidarity International« bezeichnet das südossetische Streben nach nationaler Selbstbestimmung als Teil des weltweiten Kampfes gegen den Imperialismus. Südossetien bewahre mit seiner staatlichen Sozialpolitik auf einem kleinen Stück Land das Beste vom Erbe des »großen Sowjetlandes«, heißt es, und verdiene deshalb die Solidarität aller fortschrittlichen Kräfte. In diesem Sinn hat die Organisation Wahlbeobachter nach Südossetien eingeladen. Der georgische Verteidigungsminister Irakli Okruaschwili hingegen soll nicht, wie angekündigt, Silvester in der südossetischen Hauptstadt Zchinwali feiern.

* Aus: junge Welt, 11. November 2006

L e t z t e M e l d u n g e n der Russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti

Russische Beobachter für Unabhängigkeitsreferendum in Südossetien

MOSKAU, 09. November (RIA Novosti). Acht Abgeordnete der Staatsduma (Unterhaus des russischen Parlaments) werden als unabhängige Beobachter das bevorstehende Unabhängigkeitsreferendum in Südossetien, einer abtrünnigen Republik in Georgien, überwachen.
Wie der Duma-Vorsitzende Boris Gryslow am Donnerstag vor Journalisten mitteilte, entsendet die Duma keine offizielle Beobachterdelegation. Acht Abgeordnete begeben sich aus eigenem Antrieb nach Südossetien, um das Abstimmungsverfahren inoffiziell zu überwachen.
Am Sonntag, dem 12. November, finden in dem de facto unabhängigen Südossetien Präsidentschaftswahlen und ein Referendum statt. Den Wählern wird dabei die Frage gestellt, ob Südossetien seinen Status als unabhängiger Staat beibehalten und weiterhin um eine internationale Anerkennung werben solle.

Südossetien: Strafverfahren gegen Organisatoren der "alternativen" Präsidentenwahl

TIFLIS, 09. November, (RIA Novosti). Die Generalstaatsanwaltschaft Südossetiens hat mehrere Strafverfahren gegen die Organisatoren von so genannten "alternativen" Präsidentenwahlen in dieser abtrünnigen Teilrepublik eingeleitet. Wie der Untersuchungsrichter der Generalstaatsanwaltschaft Alexej Lipin am Donnerstag im republikanischen Fernsehen mitteilte, waren diese Prozesse gegen den Vorsitzenden der "alternativen" Zentralen Wahlkommission, Urusmag Karkussow, den Leiter der so genannten "Union der nationalen Befreiung Südossetiens", Wladimir Sanakojew, und alle vier "alternative" Präsidentschaftskandidaten eingeleitet worden.
Wie die Nachrichtenagentur "Novosti-Grusia" berichtete, waren diese Personen Lipin zufolge "der Gründung von extremistischen Organisationen, des Heimatverrats und des Putschversuchs" beschuldigt worden. "Die Rechtsschutzorgane befassen sich mit der Untersuchung der Handlungen der Angeklagten", so der Untersuchungsrichter.
In Südossetien sind für den 12. November Präsidentenwahlen und gleichzeitig ein Volksentscheid über die Zweckmäßigkeit der nationalen Souveränität anberaumt. Wladimir Sanakojew, der im September seine "Union der nationalen Befreiung Südossetiens" gegründet hatte, brachte seinerseits die Absicht zum Ausdruck, am selben Tag "alternative" Wahlen des Republikchefs durchzuführen. "Es wird keine "alternative" Präsidentenwahl geben", erklärte der bevollmächtigte Vertreter des Präsidenten der abtrünnigen Teilrepublik, Dmitri Medojew, am 3. November auf einer Pressekonferenz. "Am 12. November werden bei uns laut Gesetz nur eine Wahl des Präsidenten der Republik und nur ein Unabhängigkeitsreferendum stattfinden", versicherte er.

NATO gegen Wahlen und Referendum in Südossetien

BRÜSSEL, 11. November (RIA Novosti). Die NATO sei gegen die für den 12. November geplanten Präsidentschaftswahlen und das Unabhängigkeitsreferendum in Südossetien, teilte NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer mit. "Im Namen der NATO schließe ich mich anderen internationalen Führern an, um das so genannte "Referendum" und die "Wahlen", die in Südossetien durchgeführt werden, zurückzuweisen. Solche Aktionen verfolgen nur ein Ziel - die Spannung im Südkaukasus weiter zu verschärfen", heißt es in einer Erklärung des NATO-Generalsekretärs, die am Samstag (11. Nov.) bei RIA Novosti einging. "Die internationale Gemeinschaft hat fest und unabänderlich ihre Unterstützung für die territoriale Unverletzlichkeit Georgiens erklärt. Ich rufe alle Seiten dazu auf, guten Willen zu zeigen und Verhandlungen mit dem Ziel einer politischen Einigung aufzunehmen. Die Findung einer Lösung mit friedlichen Mitteln ist die einzige Möglichkeit, dauerhaften Frieden und Stabilität in der Region des südlichen Kaukasus' zu erreichen", wird in der Erklärung unterstrichen.




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