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Medwedjew sorgt für Überraschungen

Spekulationen über Südossetien-Besuch

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Am Dienstag (14. Juli) verließen die letzten UN-Militärbeobachter Abchasien. Russland hatte die Fortführung der Mission, die seit über 15 Jahren die Einhaltung der Waffenruhe zwischen Georgien und der abtrünniger Schwarzmeer-Region überwacht, durch sein Nein im Sicherheitsrat verhindert.

Russland begründete seinen Einspruch gegen die Fortführung der UN-Mission damit, dass die Weltorganisation Abchasien nach wie vor als Teil Georgiens betrachtet. Damit werde die Anerkennung der Unabhängigkeit Abchasiens durch zwei Staaten - Russland und Nicaragua - ignoriert. Erst zu Wochenbeginn machte Präsident Dmitri Medwedjew wieder deutlich, dass Moskau am Zustand, wie er sich nach dem Kaukasuskrieg im August 2008 herausgebildet hat, nicht rütteln lässt: Überraschend tauchte er in Südossetien auf. Sogar dessen Präsident Eduard Kokoity soll erst 30 Minuten vor Eintreffen vom Besuch des Gastes erfahren haben.

Überrascht - allerdings unangenehm - war auch Georgiens Staatschef Michail Saakaschwili. Dass der Präsident einer Großmacht sich mit einem »ungewaschenen Bandenchef und Mörder« treffe, sei »der dunkelste Punkt« in der Geschichte der russischen Diplomatie, die er einst studiert habe, sagte Saakaschwili in Ankara. Dort waren gerade die Abkommen zum Nabucco-Projekt unterzeichnet worden - einer Pipeline, mit der die EU sich Zugriff auf die Gasvorkommen der Kaspi-Region unter Umgehung Russlands sichern will.

Vor allem Angst vor Nabucco, meinte Saakaschwili, habe Medwedjew zum Blitzbesuch in Südossetien bewogen. Russische Experten dagegen halten das Pipeline-Projekt für aussichtslos, weil noch unklar ist, wie die 31 Milliarden Kubikmeter Erdgas jährlich zusammenkommen sollen, mit denen die Leitung erst rentabel wird. Sie erklären den Besuch mit Absprachen, die Medwedjew und Regierungschef Wladimir Putin mit USA-Präsident Barack Obama vergangene Woche in Moskau getroffen haben sollen: Washington werde russische Interessen im Südkaukasus stärker berücksichtigen, erwarte dafür aber Unterstützung für ein härteres Vorgehen gegen Iran und dessen Nuklearprojekte.

Georgien will aus Obamas Äußerungen in Moskau eine ganz andere Botschaft herausgehört haben: Washington werde sich weiter schützend vor seinen Juniorpartner in Tbilissi stellen. Tatsächlich hatte Obama Georgiens Recht auf territoriale Integrität bekräftigt. Zugleich aber erklärte er, die USA würden die demokratischen Werte, mit denen sie sichtlich erfolgreich seien, niemandem aufzwingen. Das gelte auch für Georgien und die Ukraine und deren Absichten, der NATO beizutreten. Entgangen ist Georgien offenbar auch, dass Washington und dessen europäische Verbündete aus mancherlei Gründen daran interessiert sind, das getrübte Verhältnis zu Russland aufzuhellen. Das macht auch der Stimmungswandel in der EU-Sonderkommission deutlich, die unter Leitung der Schweizerin Heidi Tagliavini klären soll, wer im Augustkrieg der Aggressor war. Was aus dem Bericht, der im September erwartet wird, bisher bekannt wurde, belastet vor allem Georgien. Russland wird indes unverhältnismäßige Reaktion vorgeworfen.

Licht ins Dunkel der noch immer verworrenen Abläufe könnten Befragungen von Saakaschwilis USA-Beratern bringen. Dazu allerdings, fürchtet ein westlicher Diplomat in Moskau, dürfte nicht nur der Eidgenossin, sondern auch der EU der Mut fehlen.

* Aus: Neues Deutschland, 16. Juli 2009

Letzte Meldung

EU kritisiert Medwedew wegen Südossetien-Besuch

Der schwedische EU-Vorsitz hat den russischen Präsidenten Dmitri Medwedew wegen seiner Reise nach Südossetien kritisiert. Diese ehemalige Provinz Georgiens war 2008 von Russland als unabhängiger Staat anerkannt worden.

Die Europäische Union betrachte diesen Besuch als einen Verstoß gegen das Prinzip der territorialen Einheit, der die internationalen Bemühungen um eine Stabilisierung in der Region beeinträchtigen könne, hieß es am Donnerstag in einer in Brüssel verbreiteten Erklärung. Darin wurde betont, dass die EU die Souveränität und die territoriale Integrität Georgiens unterstütze.

Medwedew hatte am 13. Juli Südossetien besucht. Er besichtigte kriegszerstörte Gebäude in der Hauptstadt Zchinwali und sicherte dem jungen Kaukasus-Staat weitere Wiederaufbau-Hilfe zu.

Südossetien hatte sich nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 von Georgien gelöst und existierte viele Jahre als international nicht anerkannter De-facto-Staat. Im vergangenen August schickte Georgien Truppen in seine abtrünnige Provinz, um diese zurückzuerobern. Der Angriff, bei dem die südossetische Hauptstadt Zchinwali weitgehend zerstört wurde, kostete nach südossetischen Angaben Hunderte Zivilisten das Leben. Zehntausende Südosseten mussten nach Russland fliehen.

Daraufhin entsandte Russland, das viele Jahre Garant der Waffenruhe im Konfliktgebiet war, seine Truppen, um die georgische Armee aus der Region zu drängen. Nach dem Fünf-Tage-Krieg erkannte Russland Südossetien und den anderen De-facto-Staat in Georgien, Abchasien, offiziell an. Georgien brach daraufhin die diplomatischen Beziehungen zu Russland ab und erklärte Südossetien und Abchasien zu besetzten Gebieten. Westliche Staaten kritisierten Russlands Vorgehen im Kaukasus.

Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 16. Juli 2009; http://de.rian.ru




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